Psychotherapeutenjournal 3/2005 (.pdf)
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Zur Diskussion: Welche Rolle kann empirische Validierung für die psychotherapeutische Praxis spielen?<br />
rapieverfahren ein, kann man festhalten,<br />
dass der Nachweis für die psychoanalytische<br />
Therapie als erbracht gilt. Im Forum<br />
der Psychoanalyse, März 2004, wird der<br />
Stand der empirischen Forschung zu den<br />
psychoanalytischen Verfahren ausführlich<br />
dargestellt. Der Wissenschaftliche Beirat hat<br />
im Deutschen Ärzteblatt (PP), Januar <strong>2005</strong>,<br />
auf der Grundlage dieser Darstellung eine<br />
Stellungnahme abgegeben, in der die wissenschaftliche<br />
Anerkennung der Wirksamkeit<br />
von psychodynamischen bzw. psychoanalytischen<br />
Psychotherapien für ein breites<br />
Spektrum von Anwendungsbereichen<br />
festgestellt wird.<br />
Eigentümlich erscheint an Grawes Argumentationsfigur,<br />
zunächst Kriterien für Wirksamkeitsnachweise<br />
verschiedener Therapieverfahren<br />
aufzustellen, um anschließend<br />
den Sinn der „empirischen Validierung<br />
von Therapiemethoden“ in Frage zu<br />
stellen. Für die Praxis ist die Forderung abwegig,<br />
bisherige Methoden aufzugeben<br />
und sich nur noch auf Wissenschaftsmodule<br />
oder Manuale zu stützen. Damit<br />
wird jedes Erfahrungswissen entwertet und<br />
negiert.<br />
Für die Forschung wird die Entwicklung von<br />
Forschungstendenzen verkürzt dargestellt.<br />
Wirksamkeitsstudien untersuchen ja längst<br />
mehr als nur die Frage, ob etwas wirkt. Wie<br />
etwas wirkt und unter welchen Bedingungen,<br />
steht im Zentrum der Aufmerksamkeit.<br />
Es geht nicht nur um Ergebnisforschung,<br />
sondern auch um Prozessforschung.<br />
Die Standards der Psychotherapieforschung<br />
werden unter Wissenschaftlern<br />
durchaus auch kontrovers diskutiert und<br />
unterliegen Wandlungen. Während in der<br />
ersten Hälfte der neunziger Jahre noch<br />
randomisierte Studien als ‚Goldstandard‘<br />
galten, hat sich inzwischen die Einsicht verbreitert,<br />
dass mit randomisierten Studien<br />
nur eingeschränkt praxisrelevante Forschung<br />
betrieben werden kann. Das führte<br />
u. a. dazu, dass Studien mit einem naturalistischen<br />
Design heute höher bewertet<br />
werden, als damals, weil mit ihnen Wirksamkeit<br />
in der Praxis untersucht wird.<br />
Ich möchte die Bedeutung von verfahrensspezifischen<br />
Studien, in denen differenzierte<br />
Hypothesen zu Ergebnis, Verlauf und<br />
Zusammenhängen von Veränderungen<br />
durch den therapeutischen Prozess einbezogen<br />
werden, am Beispiel der von Grawe<br />
kritisierten PAL aufzeigen:<br />
In dieser Studie werden zwei Therapieverfahren<br />
(Psychoanalyse und tiefenpsychologisch<br />
fundierte Psychotherapie) hinsichtlich<br />
ihrer Wirksamkeit untersucht (nebenbei<br />
bemerkt, wird damit das erste von Grawe<br />
aufgestellte Kriterium erfüllt, die Überprüfung<br />
zweier Verfahren gegeneinander): Anhand<br />
klassischer standardisierter Skalen wird<br />
der Outcome überprüft. Gleichzeitig werden<br />
im Verlauf der Behandlungen analysespezifische<br />
Veränderungen untersucht: Mit dem<br />
Instrument der Operationalisierten Psychodynamischen<br />
Diagnostik (OPD) werden das<br />
Beziehungserleben, die Konfliktthematik<br />
und (persönlichkeits-) strukturelle Aspekte<br />
zu Beginn und dann zunächst viertel-, später<br />
halbjährlich im Therapieverlauf erhoben.<br />
Damit wird das Ziel verfolgt, nicht nur<br />
symptombezogene Veränderungen zu erfassen,<br />
sondern die Zusammenhänge zu<br />
Veränderungen im Beziehungserleben und<br />
-verhalten, zur Bewusstwerdung von Konfliktthematiken<br />
oder der Behebung persönlichkeitsstruktureller<br />
Defizite zu verstehen.<br />
Darüber hinaus können mit diesem<br />
Vorgehen Prozesse von Veränderungen bei<br />
Einzelfallverläufen sowie Typologien von Verläufen<br />
erfasst werden.<br />
Mit dieser Forschungsmethode werden differenziert<br />
verfahrensspezifische (psychoanalytische)<br />
Konstrukte empirisch überprüft<br />
und ggfls. korrigiert. Mit der Anwendung<br />
der OPD werden die Konstrukte der<br />
Psychoanalyse operationalisiert und damit<br />
auch für Nicht-Psychoanalytiker kommunizierbar<br />
gemacht.<br />
Es ist deshalb sinnvoll und notwendig, innerhalb<br />
eines Therapieverfahrens (Wirksamkeits-)<br />
Untersuchungen durchzuführen,<br />
weil nur so komplexe Zusammenhänge<br />
von Veränderungen und die Komplexität<br />
des Verlaufs erfasst werden können. Damit<br />
trägt die Studie aber auch dazu bei,<br />
Diskussionsprozesse zwischen Forschern<br />
und Praktikern anzuregen, da Praktiker für<br />
die Durchführung guter Therapien v. a.<br />
Wissen über Verläufe und Prozesse benötigen.<br />
Ergänzend möchte ich noch kurz einige wichtige<br />
Aspekte des Designs der erwähnten PAL<br />
skizzieren. (Eine genauere Darstellung findet<br />
sich in Rudolf et. al. (2001) und wäre auch<br />
für Grawe zugänglich gewesen, er hätte sich<br />
nicht auf spätere Pressemitteilungen stützen<br />
müssen.) Die Ergebnisse der Abschlussuntersuchung<br />
werden in Kürze veröffentlicht.<br />
(Grande, Dilg et. al., <strong>2005</strong>)<br />
In der Studie werden in einem prospektiven<br />
Design sowohl prae-post als auch Verlaufs-<br />
und Katamnesemessungen (1 und<br />
3 Jahre nach Therapieende) durchgeführt.<br />
In diesem naturalistischen Design werden<br />
unter realistischen Bedingungen Therapien<br />
niedergelassener Therapeuten untersucht.<br />
Die Untersuchungsdimensionen<br />
beinhalten vier Perspektiven: Patientenselbsteinschätzungen,<br />
Therapeuteneinschätzungen,<br />
Einschätzungen bzw. Ratings<br />
durch unabhängige Untersucher und objektive<br />
Daten zum Inanspruchnahmeverhalten<br />
(z. B. Arbeitsunfähigkeitszeiten und<br />
Krankenhausaufenthalte), mit denen Kosten-Nutzen-Fragen<br />
untersucht werden.<br />
Zusammenfassend ist verfahrensspezifische<br />
Forschung deshalb weiterhin sinnvoll<br />
und notwendig, da nur so die Dynamik<br />
von Veränderungen auf dem Hintergrund<br />
der jeweiligen Theorien, Methodik<br />
und Interventionstechnik verstanden werden<br />
kann.<br />
Grawe erscheint mit seiner radikalen Ablehnung<br />
gewachsener Strukturen wie ein<br />
Wissenschaftler, der den Urwald roden will,<br />
um neuen anzupflanzen. Dahinter steht ein<br />
Denken, unter dessen Einfluss Erfahrungswissen<br />
vernichtet würde.<br />
Verfahrensspezifische psychotherapeutische<br />
Tätigkeit nutzt<br />
ein breites Spektrum von<br />
Erfahrungswissen und erprobten<br />
Interventionstechniken<br />
Grawe stellt ja nicht nur für die Forschung<br />
in Frage, dass Therapieverfahren eine sinnvolle<br />
Untersuchungseinheit seien, sondern<br />
er zieht auch für die Praxis die Schlussfolgerung,<br />
dass „die Orientierung an Therapiemethoden<br />
eine Sackgasse“ sei.<br />
Ist es vertretbar und zeugt es von verantwortlichem<br />
Denken, die gewachsenen<br />
248 <strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 3/<strong>2005</strong>