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Psychotherapeutenjournal 3/2005 (.pdf)

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Mitteilungen der Psychotherapeutenkammer<br />

Hamburg<br />

se würden sich nach eigenen Angaben<br />

über eine verstärkte Zusammenarbeit mit<br />

niedergelassenen KollegenInnen freuen.<br />

Therapie-Zentrum für Suizidgefährdete<br />

(TZS) am<br />

Universitätsklinikum<br />

Eppendorf, Hamburg<br />

Interview mit Frau PD Dr. Benigna<br />

Gerisch<br />

(Ulrich Wirth): Frau Gerisch, das „Suizidzentrum“,<br />

wie es inzwischen genannt<br />

wird, ist in Hamburg eine Institution, es<br />

wird in diesem Jahr 15 Jahre alt. Sie sind<br />

Psychologische Psychotherapeutin und<br />

schon seit Beginn dabei. Wie ist es zu dieser<br />

besonderen Einrichtung gekommen ?<br />

(BG) Es war eine ungewöhnliche Geburt:<br />

Eine Hamburger Unternehmerin gab 1990<br />

an Professor Götze, den späteren Leiter,<br />

eine große Spende, um ein niedrigschwelliges,<br />

psychotherapeutisches Angebot für<br />

akut und chronisch suizidale Patienten zu<br />

schaffen. Der Bund hat noch Gelder für<br />

dieses Modellprojekt dazugegeben, ursprünglich<br />

für 5 Jahre. Danach sind wir von<br />

der KV als Institutsambulanz anerkannt worden.<br />

Das Angebot stieß in eine Versorgungslücke.<br />

Es gab Kliniken und Beratungsstellen<br />

als Anlaufpunkte, aber – und das<br />

gilt weit und breit bis heute – es gab keine<br />

explizit psychotherapeutisch orientierte Einrichtung<br />

für suizidale Menschen. Durch die<br />

Begleitforschung wurde klar, dass u.a. viele<br />

Klinikaufenthalte vermieden werden<br />

konnten, insofern spart unsere Arbeit auch<br />

Kosten im Gesundheitswesen.<br />

Außerdem hat das Zentrum präventive Wirkung<br />

sowohl für die Menschen, die sich<br />

suizidal erleben, aber bisher noch keinen<br />

Suizidversuch unternommen haben als<br />

auch im Sinne der Rückfallprophylaxe. Oft<br />

wird unterschätzt, dass der Suizid eine häufige<br />

Todesursache ist. Bei den 20 bis 40-<br />

jährigen ist der Suizid, nach den Unfällen,<br />

die zweithäufigste Todesursache.<br />

Denn jeder Dritte, der bereits einen Suizidversuch<br />

unternommen hat, versucht es<br />

später noch einmal. Nicht selten wenden<br />

sich ehemalige Patienten in erneuten Krisen<br />

auch wieder an uns, das werten wir<br />

als ein positives Zeichen. Und unsere<br />

katamnestischen Untersuchungen zeigen,<br />

daß sich die von uns behandelten Patienten<br />

zwar in Krisenzeiten durchaus noch<br />

suizidal erleben, aber der Handlungsdruck<br />

deutlich abnimmt.<br />

(UW): In jüngerer Zeit gab es hier und<br />

da Fragezeichen, ob und wie die Arbeit<br />

des Zentrums fortgesetzt werden kann.<br />

(BG) Ja, schon. Das erfordert mitunter erheblichen<br />

Aufwand, die zukünftige Arbeit<br />

zu sichern und nimmt natürlich Kapazitäten<br />

vom eigentlichen psychotherapeutischen<br />

Tun weg. Oft ist aber vermittelbar,<br />

dass diese Arbeit eine spezifische Struktur<br />

des Angebotes braucht. Für die Niedergelassenen<br />

ist es meist ein ziemliches Problem,<br />

akut Suizidalen einen Platz anzubieten.<br />

Nicht selten werden wir auch von Kollegen<br />

in Anspruch genommen, wenn es<br />

in deren laufenden ambulanten Behandlungen<br />

zu einer suizidalen Entwicklung<br />

kommt.<br />

(UW) „Spezifische Struktur“ heißt, Sie<br />

müssen rasch reagieren können, vermute<br />

ich. Wie sieht Ihr Angebot aus ?<br />

(BG) Wir haben 3 Stellen in der Krankenversorgung,<br />

die sich auf 3 ÄrztInnen und<br />

zwei Psychologinnen verteilen. Zwei weitere<br />

Stellen dienen explizit der wissenschaftlichen<br />

Begleitung und Forschung.<br />

Sehr wichtig sind auch zwei Dokumentationsassistentinnen,<br />

die am Telefon erste<br />

Ansprechpartnerinnen sind, dann aber<br />

in möglichst kurzer Zeit das Gespräch an<br />

einen Therapeuten vermitteln. Wir sind<br />

während der Sprechzeit zwischen 8.30 und<br />

16.30 Uhr in der Lage, Patienten die ad<br />

hoc in akuten Notfällen spontan kommen,<br />

zu sehen. Bei Überweisungen aus dem niedergelassenen<br />

Bereich findet eine telefonische<br />

Absprache mit uns statt. Dies erspart<br />

den Patienten überflüssige Wege und<br />

Zwischenstationen. Denn die Nachfrage ist<br />

deutlich größer als die Behandlungskapazität,<br />

auch wenn wir immerhin im Schnitt<br />

zwischen 60 und 80 Patienten in Behandlung<br />

haben. Wir arbeiten auf der Basis psychoanalytischer<br />

Konzepte und versuchen,<br />

die aktuelle Krise oder das suizidale Erleben<br />

in einem psychodynamischen Kontext<br />

zu verstehen, also auf die Verschränkung<br />

von äußerer Situation, Auslöser und der<br />

inneren Konfliktthematik zu fokussieren.<br />

Wichtig ist sich klarzumachen, dass nicht<br />

alle Menschen auf den gleichen äußeren<br />

Auslöser suizidal reagieren. Es muss noch<br />

andere Gründe geben, warum jemand<br />

glaubt, die Krise nicht anders lösen zu können<br />

als durch einen Suizid. Dies versuchen<br />

wir in den Therapien gemeinsam mit dem<br />

Patienten zu erarbeiten. Die Therapien umfassen<br />

im günstigen Fall zwischen 15 und<br />

50 Sitzungen, aber auch kürzere Behandlungen<br />

können hilfreich sein. In Einzelfällen<br />

sind auch längere Behandlungsangebote<br />

indiziert. Wichtig ist auch, dass wir im<br />

Zentrum in der Lage sind, situativ oder begleitend<br />

medikamentös zu behandeln.<br />

Selbstverständlich können nicht alle suizidalene<br />

Patienten von diesem spezifischen,<br />

ambulanten Angebot profitieren.<br />

Grenzen finden sich besonders, wenn eine<br />

Psychose oder eine Suchterkrankung im<br />

Vordergrund steht.<br />

(UW) Diese Arbeit fordert Sie sicher auch<br />

in spezifischer Weise. Wie gehen Sie damit<br />

um – und das schon über 15 Jahre ?<br />

(BG) Es bedarf eines wirklich gut funktionierenden<br />

Teams. Wir sprechen oft miteinander,<br />

nicht nur in den regelmäßigen<br />

Fallkonferenzen und den Fallsupervisionen,<br />

die unverzichtbar sind. Zu unserem Konzept<br />

gehören auch Möglichkeiten zu einem<br />

unmittelbaren kollegialen Austausch. Wichtig<br />

ist auch zu wissen, dass das zwischendurch<br />

potentiell geht, auch wenn ich es<br />

nicht immer in Anspruch nehmen muss.<br />

(UW) Wie kommen die Betroffenen zu<br />

Ihnen ? Könnte es sein, dass bestimmte<br />

Menschen eher einen Zugang zu Ihrem<br />

Angebot finden ?<br />

(BG) Der Selbstmord ist „demokratisch“ !<br />

Der zieht sich durch alle Schichten der<br />

Bevölkerung und inzwischen kommen<br />

auch fast alle. Vom plötzlich gekündigten<br />

Top-Manager, für den es mit Mitte 50 plötzlich<br />

auch in der Familie total kriselt, bis zum<br />

langzeitarbeitslosen Hilfsarbeiter. Eine besondere<br />

Gruppe sind die älteren Menschen,<br />

die tun sich schwer, überhaupt psychotherapeutische<br />

Hilfe in Anspruch zu<br />

nehmen. Die sind jedoch verstärkt gefährdet,<br />

die älteren Männer, wie aber auch die<br />

älteren Frauen. Im Rahmen eines<br />

280<br />

<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 3/<strong>2005</strong>

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