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Genussmagazin 3/2011 - Genussakademie

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Titelthema<br />

verdiente – und mit dem Sohn am Herd ist das Drei-Sterne-<br />

Restaurant vielleicht sogar noch etwas besser geworden. Schön,<br />

das würde der Maître selbst wohl sofort zurückweisen, sagen wir<br />

es also höflicher: Im L ’Auberge de l ’Ill baut die nächste Generation<br />

immer noch weiter aus. Wohlgemerkt, nicht von Umbau ist<br />

hier die Rede: Wer sich auf eine derartige Tradition zu berufen<br />

die Ehre hat, der erfindet das Rad nicht neu. Wozu denn auch?!<br />

Marc Haeberlin kocht den einst von seinem Vater erfundenen<br />

Schaum von Froschschenkeln (La Mousseline de Grenouilles<br />

„Paul Haeberlin“) mit der gleichen Hingabe, mit der er die Terrine<br />

von geröstetem Tee mit Jakobsmuscheln zubereitet.<br />

Genaugenommen lässt sich das Sprichwort vom Auf- und<br />

Ausbau überhaupt nicht auf Marc Haeberlin anwenden. Wir<br />

befinden uns bereits in der vierten Generation, die Herberge<br />

gibt es schon seit über 150 Jahren. Damals, schreibt Marc<br />

Haeberlin in seinem Buch „l ’Alsace Gourmande“, begründete<br />

die Familie einen kleinen landwirtschaftlichen Betrieb<br />

in Illhaeusern, baute Riesling an und eröffnete zugleich einen<br />

kleinen Landgasthof, den Grünen Baum. Die Aufteilung der<br />

Arbeit verlief damals klar entlang der Geschlechtergrenzen:<br />

Die Männer bewirtschafteten das Land, die Frauen wirtschafteten<br />

in der Küche des Landgasthofs. Marc selbst erinnert sich<br />

noch, wie seine Großmutter hier mit den Zutaten der Region<br />

bodenständig kochte, so wie vor ihr die Urgroßmutter. Das<br />

lockte schon Gourmets aus den umliegenden Städten an, als<br />

der Guide Michelin noch Ladestationen für Auto-Batterien<br />

auswies. In Marcs Erinnerung kommt Oma Haeberlin zwar<br />

als Herrin über die Töpfe vor, doch das war sie damals in den<br />

Fünfzigern bereits nur noch ideell. Längst hatte Marcs Vater<br />

Paul die Regie übernommen und den Grundstein dafür gelegt,<br />

dass der Name des 700-Seelen-Örtchens Illhaeusern heute bei<br />

Gourmets in aller Welt bekannt ist.<br />

Vom Grünen Baum zur Auberge de l ’ Ill<br />

Das Restaurant hieß damals auch schon nicht mehr Grüner<br />

Baum oder auf französisch L ’Arbre Vert, sondern bereits wie<br />

heute L ’Auberge de l ’Ill. Diese Zäsur hatte zwei ganz unterschiedliche<br />

Anlässe. Einen furchtbaren, der nur ein paar Tage<br />

dauerte, und einen wunderbaren, der sich über viele Jahre<br />

hinzog. Der furchtbare war die Schlacht um das Elsass, das die<br />

in Wahrheit längst geschlagene deutsche Wehrmacht am Ende<br />

des Zweiten Weltkriegs erst nach erbittertem Kampf verließ. Die<br />

Brücke über die Ill war zerstört, ebenso der Rest des Dorfes mitsamt<br />

dem Gasthof. Die Haeberlins bauten alles wieder auf, bauten<br />

aus, rekonstruierten das Fachwerk, legten einen englischen<br />

Garten am Ufer der Ill an und begründeten das Gasthaus an der<br />

Ill. Der andere Grund waren die beiden Söhne der Familie: Paul,<br />

der Koch, der mit 14 Jahren seine Lehre bei Edouard Weber –<br />

vormals Koch der Romanov-Zaren und am Hofe des Königs<br />

von Griechenland – im Pépinièrre in Ribeauvillé begonnen<br />

hatte. Und Jean-Pierre, der Oberkellner, der eigentlich Künstler<br />

werden wollte, die Hochschule der schönen Künste absolvierte<br />

und der bis heute für den exzellenten Service in der Auberge<br />

verantwortlich ist. Die beiden führten das Haus zu seinem<br />

heutigen Rang in der Welt der Spitzengastronomie. 1950 eröffneten<br />

sie die Auberge, 1952 hatte sich Paul bereits den ersten<br />

Michelin-Stern verdient, es folgten 1957 der zweite und 1967<br />

der dritte Stern, „die Weihe“, schreibt Marc Haeberlin in seinem<br />

Buch. Das hatte Paul Haeberlin nur zwei Jahre nach Paul Bocuse<br />

erreicht, dem Urbild des modernen Küchenchefs. Und ebenfalls<br />

wie bei Bocuse hat die Familie diesen hohen Standard bis heute<br />

bewahrt. Das ist Verdienst von Marc Haeberlin: Er übernahm<br />

die Leitung in der Küche bereits 1976 von seinem Vater Paul.<br />

Marc stellte sich mit beiden Beinen fest auf den Boden des<br />

Moderne Architektur trifft klassische Küche<br />

Familienanwesens und der familiären Tradition. Doch hätte<br />

er seine drei Sterne bestimmt niemals halten können, hätte er<br />

sich nicht an die behutsame Erneuerung der Karte gewagt. Mit<br />

beiden Beinen im Elsass hatte Marc einen festen Stand, um sich<br />

sodann in aller Welt umschauen zu können. Vor allem aus den<br />

Gärten des tropischen Südostasien und aus den Gewürzregalen<br />

des Orients bedient sich der Maître gerne. Gänsestopfleber – die<br />

berühmte Foie Gras der Haeberlins – mit Kardamom und Ananas<br />

oder Krebsfleisch mit Thaikräutern, Gurken und Muscheln<br />

der Saison können am Ende einer solchen Weltreise stehen, die<br />

– wo sonst? – daheim beginnt und hier auch wieder endet.<br />

Es heißt, sein Vater, der ihm immerhin noch über 30 Jahre<br />

lang als Seniorpartner über die Schulter schaute, sei mit solchen<br />

Neuerungen gar nicht immer glücklich gewesen. Und wer weiß:<br />

Vielleicht hat der kritische Blick des Seniors dafür gesorgt, dass<br />

nur die wirklich perfekten Kreationen des Juniors es bis auf die<br />

Tische der Gäste schafften. Die sind begeistert, damals wie heute,<br />

einige bereits seit Jahrzehnten. Franzosen wie ausländische Gäste<br />

freuen sich über Vater Pauls Klassiker, den berühmten gebackenen<br />

Hummer Prinz Vladimir mit Champagnersauce ebenso wie<br />

über Sohn Marcs neuere Kreation, gebratenen Kaisergranathummer<br />

an grünem Curry. Schupfnudeln und Sauerkraut wissen<br />

sie genauso zu goutieren wie iranischen Kaviar, Hecht aus dem<br />

Rhein oder Rehmedaillons von einem Tier, das womöglich ein<br />

Jugendfreund von Marc irgendwo in den Wäldern nördlich von<br />

Colmar geschossen hat. Als Kind wollte Marc Haeberlin eigentlich<br />

viel lieber Wildhüter werden, später wurde es zumindest für<br />

lange Zeit ein Hobby. Zwischen Kochtöpfen herumzuwuseln,<br />

GenussMAGAZIN 3 /<strong>2011</strong><br />

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