25.12.2013 Aufrufe

Magazin 198611

Magazin 198611

Magazin 198611

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Das Baby<br />

schwieg ...<br />

Fortsetzung aus Heft tOlll6<br />

Als wir von Ferne den Trecker kommen<br />

hOrten, liel uns ein Stein vom Herzen,<br />

und das Baby hörte für kurze Zeit mit<br />

dem Brüllen auf. Diesmal wateten zunächst<br />

fünf Männer zu uns durch den<br />

Schlamm, um die Lage zu klären. Nach<br />

einer schier endlosen Debatte mit Justin<br />

stapften sie zurück. Der Anhänger wurde<br />

abgekoppelt, das Zugfahrzeug schlug<br />

sich rechts in die Büsche und kam nach<br />

einer Weile vor uns wieder raus, walzte<br />

rückwärts auf uns zu und kettete das<br />

Fahrzeug an. Justin setzte sich ans Steuer,<br />

ein kräftiger Ruck, und der Toyota<br />

schlitterte hinter dem Trecker her, bis der<br />

Boden wieder hart und trocken war. Wir<br />

bedankten uns bei dem Fahrer, drückten<br />

ihm ein kräftiges Trinkgeld in die Hand,<br />

sammelten unsere .Familie" ein und<br />

hockten uns schlammverkrustet inS Wageninnere.<br />

Dasselbe Spiel exerzierten wir<br />

noch zweimal bis gegen 20 Uhr (um 19<br />

Uhr war die Sonne untergegangen). Dann<br />

machte uns der Traktorlahrer den Vorschlag,<br />

daß wir uns an seinen Anhänger<br />

anketten sollten, er würde uns bis nach<br />

Somanga ziehen, von da an würde es<br />

viel besser laufen.<br />

Somanga: Das war der halbe Weg nach<br />

Rom oder, genauer, die Hälfte der<br />

Strecke nach Lindi. Für diese 20 Kilometer<br />

ab unserem letzten Schlammeinbruch<br />

berechneten uns unsere Armbanduhren<br />

vIereinhalb Stunden. Dreimal riß die Kette,<br />

zweimal wurden wir mitsamt dem Anhänger<br />

vor uns abgekoppelt, weil der<br />

Trecker einen Tanklastzug und einen<br />

Lastwagen aus dem Dreck ziehen mußte.<br />

Das Baby schlief, aber in der Ferne hörten<br />

wir die Löwen brüllen. Eine halbe<br />

Stunde nach Mitternacht verabschiedete<br />

sich die Traktormannschaft von uns. Wir<br />

standen zwischen den Hütten von Somanga<br />

und beschlossen, die Nacht Im<br />

Fahrzeug zu verbringen. Der einZige, der<br />

wie ein Stein sofort einschlief, war Justin.<br />

unser Fahrer.<br />

Der Freitagmorgen graute gegen 5.30<br />

Uhr, und um 6.15 Uhr stürzten wir uns<br />

ungewasch'!.n, unrasiert, (bis auf Justin)<br />

unausgeschTaien und hungrig in die zu<br />

erwartenden und vor uns liegenden<br />

Schlammlöcher. Um es kurz zu machen:<br />

Einmal schaufelte uns die Einwohnerschaft<br />

des Dorles Miteja frei, einmal half<br />

uns ein Caterpillar der Straßenbaubehörde,<br />

dreimal halfen wir uns selbst, und<br />

zweimal zogen uns vorbeikommende Armeelastwagen<br />

aus dem Dreck.<br />

Um 15 Uhr fuhren wir in Kilwa ein, der<br />

58 ZS-...... GAZIN 11-1211l6<br />

einst so berühmten Hafenstadt mit seiner<br />

goldenen Moschee, die im 15. Jahrhundert<br />

als eine der schönsten Afrikas galt.<br />

In Kilwa machten sie alle Station, die Portugiesen,<br />

die Holländer, die Engländer,<br />

alle, die nach Aden wollten, nach Hormus,<br />

nach Java und zu den Gewürzinseln.<br />

Von Kilwa aus starteten die Karawanen<br />

der Araber in die legendäre Stadt<br />

Zimbabwe, um Rhinohörner und Gold zu<br />

erstehen. Wir hatten keine Zeit für eine<br />

große Stadtrundfahrt. Vor uns lagen noch<br />

169 Kilometer bis Lindi.<br />

Saidi Namwewe, Rotkreuz-Präsident von<br />

Lindi, traute seinen Augen nicht, als er<br />

uns gegen 23 Uhr an jenem Freitag an<br />

seiner Haustür sah. Nachdem wir unsere<br />

doch ziemlich erschöpften Passagiere gut<br />

abgesetzt hatten, war es uns mit List und<br />

Tücke gelungen, den Wohnsitz des PräSIdenten<br />

ausfindig zu machen. Und da waren<br />

wir nun und wollten nichts als schlafen.<br />

Nach einer weiteren halben Stunde<br />

fanden wir eine Art Pension, die noch<br />

drei Zimmer frei haue, doch zuvor noch<br />

rasch ins Strand hotel und ein lauwarmes<br />

Cola getrunken und das Programm für<br />

den Samstag durchgesprochen.<br />

Den Ankommenden beurteilt man nach<br />

~einem Rock, den Abgehenden nach seiner<br />

Rede." Dieser Weisheit Immanuel<br />

Kants machten wir in Lindi, der "unterentwickeltsten<br />

Region in Tansania", alle<br />

Ehre. Wir waren fast völlig verdreckt angekommen,<br />

und am nächsten Morgen<br />

bestaunte jedermann, der den Landcruiser<br />

mit seinem angetrockneten Schlammpanzer<br />

sah, auch gleichzeitig uns drei<br />

Verrückte, die während der Regenzeit die<br />

Fahrt von Darassalam nach Lindi unternommen<br />

hatten. Als wir uns Stunden<br />

später offiziell mit Reden verabschiedeten,<br />

wurden diese gar im Rundfunk auszugsweise<br />

zitiert. Der Landesverband Lindi,<br />

erst 1984 gegründet, leidet, wie die<br />

gesamte Region, darunter, daß sich niemand<br />

um ihn kümmert. Die kümmerliche<br />

Infrastruktur behindert jede normale Kommunikation,<br />

und wäre Saidi Namwewe<br />

nicht am Krankenhaus beschäftigt und<br />

hätte er nicht einen so guten Draht zum<br />

Regional Medlcal Officar (vergleichbar<br />

dem Chef eines Gesundheitsamtes bei<br />

uns), dann wäre mit dem Roten Kreuz in<br />

Lindi nicht viel los. 300 der 416 Mitglieder<br />

gehören dem Jugendrotkreuz an. Sie<br />

wollen demnächst in den Schulen kleine<br />

Rotkreuz-Einheiten bilden und ausbilden.<br />

Die äfteren Aktiven kümmern sich darum,<br />

Blutspender für das Krankenhaus zu finden,<br />

und der Leiter der Gesundheitsbehörde<br />

würde es sehr begrüßen, wenn<br />

Rotkreuzler aufs Land hinausgingen, um<br />

den Menschen dort zu helfen. Zwar rangiert<br />

Lindi derzeit in der Prioritätenliste<br />

des Tansanischen Roten Kreuzes nicht<br />

gerade an vorderster Stelle. aber wenn<br />

es ein querschnittgelähmter ehrenamtlicher<br />

Rotkreuz-Geschäftsführer geschafft<br />

hat, in dieser verlassenen Ecke des Landes<br />

Menschen für die Rotkreuz-Idee zu<br />

interessieren, dann kann man nicht einfach<br />

danebenstehen und sie werkeln lassen<br />

: Die Blutbank des Hospitals benötigt<br />

dringend einen Kühlschrank, um die Blutspenden<br />

zu lagern, es fehlt an Lehrbüchern<br />

für die Sanitätsausbildung, an<br />

Lehrmaterial zum Üben (Dreieckstücher,<br />

Mullbinden. Schienen), der Jugendrotkreuz-Leiter<br />

sollte auf Seminare geschickt<br />

werden, der Geschäftsführer braucht eine<br />

Schreibmaschine, ganz zu schweigen von<br />

den Mitgliedskarten, Anstecknadeln, eben<br />

jenen fast schon als primitiv zu bezeichnenden<br />

Grundausstattungen, ohne die<br />

ein Ortsverein im Deutschen Roten Kreuz<br />

nicht mal ein einZiges Mitglied werben<br />

könnte.<br />

Am Palmsonntag setzten wir unsere<br />

Reise (im friSch gewaschenen Wagen)<br />

auf einer neu asphaltierten Straße nach<br />

Mtwara fort. Ein Genuß! 106 Kilometer<br />

weiter bezogen Wir im dortigen Strandhotel<br />

Quartier und wurden am nächsten Tag<br />

von Dr. Ladda, dem Rotkreuz-Präsidenten,<br />

abgeholt. Das besonders während<br />

der Regensaison völlig aufgeweiChte<br />

Straßennetz (sofern man überhaupt von<br />

"Straßen" reden kann) macht es schier<br />

unmöglich, ärztliche Versorgung in die<br />

rund 490 Dörler der Region zu bringen.<br />

Es liegt auf der Hand, daß hier das Rote<br />

Kreuz gefragt ISt, zumal wenn es um Gesundheitserziehung,<br />

um speZielle Mutterund-Kind-Programme<br />

und ganz besonders<br />

um das Ligaprojekt "Child alive"<br />

geht.<br />

Vom Landesverband des Tansanischen<br />

Roten Kreuzes in Mtwara ISt freilich vorerst<br />

nicht viel zu erwarten. Der Präsident,<br />

selbst ein MedIZiner am städtischen<br />

Krankenhaus, betreibt eine Art Ein-Mann­<br />

Show, obwohl es auf dem Papier immerhin<br />

24 t Mitglieder gibt, die allerdings<br />

dann zupacken. wenn die Region alle<br />

Jahre wieder mit Überschwemmungen<br />

konfrontiert wird. Für Mtwara gilt daher<br />

um so mehr, was wir auch schon in Lindi<br />

beobachtet hatten: Trotz der widrigen Infrastruktur<br />

muß sich die Rotkreuz-Zentrale<br />

in Daressalam mit Hilfe von Schwestergesellschaften<br />

einiges einfallen lassen,<br />

um die "weg vom Schuß" liegenden Regionen<br />

zu betreuen, zu motivieren, Pro·<br />

jekte ins Leben zu rufen.<br />

Die 1 500 Kilometer zurück in die Hauptstadt,<br />

diesmal auf einer anderen Route,<br />

schalffen wir in anderthalb Tagen. Da es<br />

bei mir zu Hause vier Tage lang (bis<br />

Ostermontag) kein Wasser gab, mußte<br />

ich meine beiden Kühlschränke abtauen,<br />

was knapp fürs Zähneputzen reichte.<br />

Auch das ist Tansania. Dafür gab's in<br />

Lindi nur vier Stunden Strom täglich. Was<br />

nutzt ein Kühlschrank für die Blutkonserven,<br />

wenn er ohne Stromaggregat geliefert<br />

wird?<br />

Carl-Walter Bauer

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!