Druck - Deutscher Rat für Landespflege
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Abb. 2: ... während die Verbrauchslandschaft kaum erkannt und anerkannt wird, auch wenn jede<br />
Sekunde in der Schweiz ein Quadratmeter verbaut wird. – Autobahnabfahrt im Sarganserland<br />
(Schweiz) (Foto: M. F. Broggi).<br />
die Landschaft zunehmend nicht mehr automatisch<br />
Koppelprodukt der Landwirtschaft<br />
ist. Und diese Herausforderung scheint mir<br />
weder in der Schweiz noch anderswo ausreichend<br />
politisch thematisiert und ernsthaft<br />
aufgegriffen zu werden.<br />
Es könnte der Eindruck vorliegen, dieses<br />
summarisch dargelegte Bild sei maßlos überzeichnet.<br />
Das mag auch für manche Gegenden<br />
Mitteleuropas noch so sein. Als Bewohner<br />
Liechtensteins und selbst in der 250-mal<br />
größeren, aber immer noch kleinen Schweiz,<br />
ergibt sich dieser wenig schöne Blick durch<br />
das Brennglas, was andernorts noch etwas<br />
großzügiger angelegt sein mag. Eine<br />
Eisenbahnfahrt vom Boden- zum Genfer<br />
See oder eine Autobahnfahrt auf dem Zürcher<br />
Nordring durch das Limmattal vermitteln<br />
dieses beschriebene Bild. Oder schauen<br />
Sie sich selbst die Hässlichkeit des verbauten<br />
Talbodens zwischen Lugano und Chiasso<br />
auf der Fahrt via Gotthard in den Süden an.<br />
Wie landschaftsblind sind wir schon geworden,<br />
dass wir diese Umweltzerstörung nicht<br />
lauter beklagen.<br />
die Bauabstände und es wird weniger die<br />
Frage gestellt: Wie gehe ich mit dem Raum<br />
um? Ich sehe heute das größte Defizit zum<br />
Thema Kulturlandschaft in dieser mangelnden<br />
Raumsensibilität. Wir bringen hervor,<br />
aber wir bringen nichts zum Erscheinen.<br />
Wir räumen nichts landschaftssensibel ein,<br />
eher ab. Wir schaffen es selten, durch Bauten<br />
den lokalen Charakter zum Ausdruck zu<br />
bringen. Unsere Ortsplanungen bringen Orte<br />
eher zum Verschwinden; es wird alles verfüg-,<br />
verschieb- und austauschbar, mit der<br />
Folge, dass sich die Ortsbilder immer mehr<br />
zu gleichen beginnen. Man könnte mir entgegnen,<br />
es gäbe immer noch schöne, unverwechselbare<br />
Ortskerne. Das stimmt. Aber<br />
was nützt es letztlich, liebevoll Ortskerne<br />
fast überzurenovieren und heile Welt vorzugaukeln,<br />
während im viel größeren gesamten<br />
Siedlungsgebiet nach wie vor jeder –<br />
nach dem bildlichen Ergebnis abgeleitet –<br />
scheinbar machen kann, was er will<br />
(BROGGI 2003)? Unsere Ortsbilder sind<br />
häufig ein Ergebnis insularen Denkens, sind<br />
Ausdruck des Nebeneinanders von nostalgischen<br />
Inseln (renovierte Kerne), neben<br />
modernistischen (z. B. öffentliche Bauten,<br />
Dienstleistungszentren), individualistischen<br />
(privater Wohnbau) und Inseln der wirtschaftlichen<br />
„Vernunft“ (moderne, zweckrationale<br />
Bauten für Industrie und Gewerbe,<br />
Einkaufszentren) (Abb. 3). So haben wir<br />
den Sinn für Ortshaftigkeit verloren. Mit der<br />
fortschreitenden Banalisierung der Landschaft<br />
zielen wir auf die konkreten Orte, die<br />
uns etwas bedeuten, uns betreffen, uns etwas<br />
angehen, wir schießen sie quasi ab.<br />
Die Raumwahrnehmung ist zudem partialisiert.<br />
Der Architekt beschäftigt sich mit der<br />
Bauparzelle, wir fahren dagegen gleichgültig<br />
durch „Wildwest“-Industrielandschaften<br />
ins Einkaufsparadies, das vielleicht mit<br />
Plastikbäumen möbliert eine tropische Stimmung<br />
suggeriert. Dem Gehenden, der hier<br />
wirklich nichts verloren hat, bliebe (nach<br />
dem deutschen Architektur-Kritiker Hugo<br />
Kükelhaus) der Boden fühlbar, dem Automobilisten<br />
fehlt kaum der Baum entlang der<br />
Straße, im Gegenteil – er ist ein Hindernis.<br />
Er braucht keinen Schatten, er dreht am<br />
Ventilator. Wir sind ob des Machbaren eine<br />
„automobile“ Gesellschaft geworden, die<br />
den Boden unter den Füßen im wahrsten<br />
Sinn des Wortes verliert.<br />
Wir betonen derzeit die Bedeutung der Bildung<br />
zu Recht. Darunter werden allerdings<br />
weniger menschliches Urteilsvermögen oder<br />
ethische Grundwerte verstanden oder gefordert,<br />
sondern immer mehr höchstmögliche<br />
Zwei Gedanken sollen aus Anlass dieses<br />
dramatischen Landschaftswandels innerhalb<br />
von nur ein bis zwei Menschengenerationen<br />
hier weiter vertieft werden.<br />
Die fehlende Raumwahrnehmung<br />
und eine mangelnde „Verortung“<br />
Ich behaupte, dass wir weniger planen, als<br />
diesbezügliche Gesetze und Verordnungen<br />
anwenden. Raumplanung wird so in Wirklichkeit<br />
zur Exegese der Raumplanungsbestimmungen.<br />
Wir regeln beispielsweise<br />
Abb. 3: Ortsbilder als Ergebnis des insularen Denkens.