Druck - Deutscher Rat für Landespflege
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110<br />
Spezialisierung. Selbst für unseren Naturund<br />
Umwelt-Arbeitsbereich fehlt häufig die<br />
raumsensible Ausbildung, z. B. bei den Architekten,<br />
Ingenieuren, ja auch bei den<br />
Landschaftsdisziplinen. Und wo wir sie noch<br />
haben, droht ob lauter „Nano“ und „Mikro“<br />
deren Abschaffung, auf dass wir das „Makro“<br />
getrost ausblenden können. Es fehlt uns<br />
zunehmend die Kultur der Wahrnehmung,<br />
welche Fingerspitzengefühl, Takt, Esprit still<br />
einbaut im Umgang mit Sachen, Pflanzen,<br />
Tieren, Menschen. Unter dem Schlagwort<br />
der Globalisierung geschieht eine „Entterritorialisierung<br />
der Märkte“. Das schlägt<br />
sich schließlich in der Bodennutzung nieder.<br />
Boden ist je länger desto mehr nur noch<br />
ein mittelfristiger Standortfaktor und nicht<br />
mehr Lebens- und Produktionsgrundlage.<br />
KÄSER (1998) formulierte es treffend: „Im<br />
Mörser der Globalisierung, die bestenfalls<br />
noch Wirtschaftsstandorte kennt, wird die<br />
Landschaftlichkeit unserer Umgebungen<br />
zerstossen, und mit ihr eine ganze Dimension<br />
des Humanen, nämlich die einfache,<br />
elementare Kenntnis des Nahen, uns Naheliegenden“.<br />
Das Wirkliche ist so das Wirkende,<br />
in der Agglomeration findet es leidvoll<br />
statt.<br />
Die Leitfragen lauten hier:<br />
Wie machen wir den besiedelten Raum<br />
wieder zu einem Teil der Kulturlandschaft,<br />
ausgestattet mit mehr Lebensqualität? Wie<br />
betten wir die Städte und übrigen Ortschaften<br />
in die Landschaft ein?<br />
Wie schaffen wir es, Bauen nicht nur als<br />
unerwünschten Eingriff, sondern als bewusst<br />
gestalteten Bestandteil unserer<br />
Kultur zu formen?<br />
Dieses raumsensible Schaffen, Gestalten,<br />
ist für mich die größte Herausforderung für<br />
die Gestaltung der Kulturlandschaft. In der<br />
Wahrnehmung fehlt der Gesellschaft der<br />
ästhetische Bezug. Wir sind alle zu spezialisiert<br />
in unseren Problemwelten, wo bleiben<br />
die Humboldts und Goethes neuer,<br />
moderner Prägung? Wer sieht Zusammenhänge,<br />
wo bleiben die Ästheten?<br />
Das magische N der Nachhaltigkeit<br />
Es ist heute bereits gewagt, die Worthülse<br />
Nachhaltigkeit in den Mund zu nehmen, ob<br />
all der missbräuchlichen Anwendungen. Und<br />
dennoch ist die Botschaft von Rio 1992 eine<br />
epochale. Und darum müssen sich die raumwirksamen<br />
Disziplinen und Kräfte für die<br />
nachhaltige Nutzung des Bodens einsetzen.<br />
Sie haben sich als Manager der Ressourcen<br />
mit neuem Elan in die Nachhaltigkeitsdebatte<br />
einzubringen und die sich daraus entwickelnden<br />
Chancen zu nutzen. Wir sind alle<br />
so lange auf verlorenem Posten, wie wir das<br />
Vorsorge- und Nachhaltigskeitsprinzip nicht<br />
auch als Leitmotiv aller Wirtschafts- und<br />
Gesellschaftsbereiche gelten lassen. Räumliche<br />
Fehlentwicklungen sind kein Zufallsprodukt<br />
unfähiger Entscheidungsträger, sondern<br />
Gestalt gewordener Ausdruck eines<br />
hinsichtlich Prävention fehlprogrammierten<br />
Gesamtsystems.<br />
Die nachhaltige Wirtschaftsentwicklung<br />
innerhalb eines bestimmten Raumes soll<br />
sich im Trend auf folgende Säulen stützen<br />
(BROGGI 2001):<br />
Stärkung der regionalen Bedarfsdeckung,<br />
insbesondere bei Nahrungsmitteln, nachwachsenden<br />
Rohstoffen und Dienstleistungen<br />
mit Entwicklung einer intelligenten<br />
Nahversorgung.<br />
Engmaschige Vernetzung der Wirtschaft<br />
innerhalb einer Region, damit Stoffkreisläufe<br />
in kurzen Wegen geschlossen<br />
werden und eine höhere regionale Wertschöpfung<br />
gewährleisten.<br />
Stärkung der Klein- und Mittelzentren<br />
zur Vernetzung der Wirtschaft sowie zur<br />
Reduktion des Verkehrsaufkommens.<br />
Hierzu gehören eine umweltverträgliche<br />
Energieplanung und gute Kommunikationsnetze<br />
und<br />
schließlich eine Orientierung der Wirtschaftsbeziehungen<br />
zu anderen Regionen<br />
am Prinzip der Nachhaltigkeit, d. h. auch<br />
wir müssen einen Beitrag zur Stärkung<br />
der regionalen Stabilität aller beteiligten<br />
Räume leisten. Nachhaltigkeit muss alle<br />
Ebenen des Handelns durchdringen.<br />
Dies ist kein Plädoyer gegen Bananen und<br />
Kaffee, schon eher gegen Wein aus<br />
Australien oder Chile. Es müssen aber<br />
schrittweise Teil-Nachhaltigkeiten angestrebt<br />
werden, auf dass die Summe beeinflusst<br />
werden kann. Einige dieser Postulate<br />
ließen sich schon beispielsweise durch die<br />
Kostenwahrheit bei der Mobilität förderlich<br />
behandeln.<br />
Persönlich bin ich des Weiteren überzeugt,<br />
dass der Globalisierung eine selbstbewusste<br />
Regionalisierung entgegengehalten werden<br />
soll. Ich meine damit nicht die Hervorhebung<br />
von „-ismen“ (z. B. verstärkter Nationalismus<br />
oder Abschottung durch regionale Autarkie).<br />
Ich sehe ebenso wenig einen Heimatkonservatismus<br />
als zielführend, er wäre vor<br />
allem Reflex auf schwer lösbare Probleme<br />
unserer Zeit, auf die zunehmende Unwirtlichkeit<br />
ringsum und damit eine vorwiegend<br />
nostalgische, rückblickende Betrachtung.<br />
„Heimat“ kann nicht mit Versatzstücken,<br />
wie etwa mit einem an die Hauswand geschlagenen<br />
Wagenrad inszeniert werden.<br />
Zu wünschen ist eine Auseinandersetzung<br />
mit dem hier und jetzt, konkret und kritisch.<br />
Heimat ist als Gebietseinheit dort, wo wir<br />
Verhaltenssicherheit erfahren, und zwar im<br />
Umgang mit den Dingen, Verhältnissen und<br />
Menschen. Heimat – oder nennen wir es<br />
Region als Dualismus zur Globalisierung –<br />
ist dort, wo wir vertraut sind, wo wir die<br />
Nähe und Verlässlichkeit von konkreten<br />
Lebensverhältnissen kennen. Im Vordergrund<br />
bei der Bestimmung, wo sich dies<br />
räumlich lokalisieren lässt, sehe ich die in<br />
einem Gebiet handelnden Menschen. Ich<br />
verstehe darunter räumlich etwas, wo sich<br />
eine verbesserte Problemschau ergibt und<br />
die Nutzung endogener Entwicklungspotenziale<br />
ermöglicht. Das hat etwas mit<br />
Übersichtlichkeit zu tun und hat seine<br />
identitätsfördernde Kraft. Die Stärke der<br />
Regionalisierung außerhalb der großen<br />
Wirtschaftszentren sehe ich derzeit in der<br />
Labelisierung von Produkten, Dienstleistungen<br />
und Landschaften, d. h. in der Erzeugung<br />
von Qualitäten. Freilandlabors für derartige<br />
Überlegungen bilden in wirtschaftlich<br />
peripheren Lagen aktuell die Nationalparks,<br />
Regionalparks, Biosphärenreservate.<br />
Sie suchen diese Verknüpfungen über die<br />
sektoralen Wirtschaftsinitiativen in multifunktionalen<br />
Projekten für die Entwicklung<br />
des eigenen Wirtschafts- und Lebensraums<br />
zu verwirklichen.<br />
Regionalisierte Ansätze sind darum in der<br />
Gesamtschau, in ihren Zusammenhängen<br />
von Umweltschutz, Verkehrsfragen und<br />
wirtschaftlichen Aspekten bis zur Landnutzung,<br />
z. B. der Landwirtschaft, enger zu<br />
verknüpfen.<br />
Ich orte außerdem tiefe Defizite in der Raumforschung.<br />
Wer schaut sich den Mix aus<br />
Migration, Entmischung, Wildnis, Landschaftswahrnehmung,<br />
Agrarstrukturwandel,<br />
Landschaftsbild, Einwirkung des Tourismus<br />
auf Landschaft an? Man könnte fast<br />
jedes touristische Leitbild von Seiten der<br />
Naturverantwortlichen unterschreiben, weil<br />
die Ziele immer hehr sind. Der Tourismus<br />
ist ja langfristig von einer attraktiven Landschaft<br />
abhängig. Wer kümmert sich aber<br />
über diese Binsenweisheit hinaus um die<br />
Wechselbeziehungen des Tourismus zur<br />
Landschaft, um nur das letzterwähnte Beispiel<br />
konkreter anzutippen? Netzwerke zwischen<br />
Forschung, Wirtschaft und Regionen<br />
wären zu fördern.<br />
Irgendetwas läuft nach meiner Meinung in<br />
der derzeitigen Forschungslandschaft<br />
unausgewogen. Es erschallt derzeit der Ruf<br />
nach Spitzenforschung – der sog. Exzellenz<br />
– und das zu Recht. Forschung soll auch<br />
elitär sein, wenn sie Erfolg haben will. Wie<br />
wird diese Exzellenz gemessen? Der anerkannte<br />
„harte“ Indikator ist der „peer