Druck - Deutscher Rat für Landespflege
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chen Extremsituationen, in denen viel experimentiert<br />
wird, in denen Hoffen, Scheitern,<br />
Gelingen und Verhandeln erfahren werden,<br />
deutlich angeregt. Mit Biotopbastelanleitungen,<br />
das wurde schnell deutlich, wird<br />
man auf lange Sicht nicht einmal mit den<br />
kleinen Truppenübungsplätzen fertig werden.<br />
Die naturschutzfachlichen Konzeptionen<br />
für die o. g. Flächen in Glau und Dauban<br />
sind auf ein flexibles Management ausgerichtet<br />
– keine statische Konservierung eines<br />
als wertvoll angesehenen Zustandes,<br />
sondern eine dynamische, durch Neuinitiierungen<br />
unterbrochene Sukzession. Erst<br />
recht die großen Flächen bedürfen daher<br />
einer Wahrnehmung als Landschaften besonderer<br />
Art bzw. als eigenartige Elemente<br />
von Landschaften. Die verlassenen Truppenübungsplätze<br />
stehen, wie alle anderen<br />
Landschaften auch, im Spannungsfeld<br />
von Mensch und Natur – und bilden<br />
somit eine Reibungsfläche für interdisziplinäres,<br />
gegenstandsorientiertes wissenschaftliches<br />
Arbeiten.<br />
Wissenschaftler benötigen keine Heimatbeziehung<br />
zu den Flächen – sie können aber<br />
eine solche knüpfen. Wenn Doktorandinnen<br />
sich über Jahre in der Nähe in einer für sie<br />
fremden ländlichen Region einquartieren<br />
und täglich mit dem Fahrrad auf die Flächen<br />
fahren, sich auf die regionalen Akteure einlassen<br />
und mit ihnen gemeinsam nach Lösungen<br />
suchen, entsteht auch für sie ein<br />
Stück Heimat – im Gelingen. Und auch die<br />
Anwohner haben ein Gespür für diese Beziehung:<br />
Dass man „bloß Micken zähle“,<br />
wird man als Wissenschaftler in diesem<br />
Falle nur selten zu hören bekommen.<br />
Neue Heimat oder konservierte<br />
Entfremdung?<br />
Ob am Ende der Kolonisierung für die Anwohner<br />
der Plätze so etwas wie Heimat<br />
entsteht, bleibt also offen. Es hängt ebenso<br />
von der Bereitschaft der lokalen Akteure ab,<br />
ihr Schicksal wieder in die Hand zu nehmen<br />
und sich in die Flächen erneut einzuschreiben,<br />
wie auch vom Willen der politischen<br />
Institutionen, ihnen dazu eine Chance zu<br />
geben. Die politische Verantwortung dazu<br />
ist besonders groß, denn im Gegensatz zu<br />
den Bergbaufolgelandschaften haben die<br />
Anwohner der Truppenübungsplätze kaum<br />
von der jahrelangen militärischen Nutzung<br />
ihrer Heimat profitiert. Von Standort zu<br />
Standort fällt die bisherige Bilanz sehr unterschiedlich<br />
aus. Es sollte aber deutlich<br />
geworden sein, dass die Truppenübungsplätze<br />
nicht nur die ökologische Chance der<br />
Sicherung wertvoller Naturprozesse bieten,<br />
sondern ebenso wertvolle soziale Prozesse<br />
ermöglichen – und nivellieren können. Die<br />
Möglichkeit, sie erneut zu einem Element<br />
von Heimat werden zu lassen, ist jedem<br />
Standort zu wünschen.<br />
Für den Heimatbegriff lässt sich zudem<br />
daraus ableiten, dass nicht nur die physische<br />
Existenz landschaftlicher Elemente Heimat<br />
konstituiert, sondern dass sich diese vielmehr<br />
in der Beziehung von Mensch und<br />
Natur im konkreten Raum entfaltet. Wo<br />
nichts am eigenen Umfeld eine Bedeutung<br />
hat, gibt es auch keine Heimat. Wo dagegen<br />
scheinbar alles verschwunden ist, die Leere<br />
aber eine Bedeutung trägt und lesbar ist,<br />
kann sehr viel Heimat sein: Es ist ein<br />
Beziehungsproblem, keine bloß dingliche<br />
Angelegenheit eines landschaftlichen Inventars.<br />
Ob Heimat ein Schlagwort, ein Argument<br />
oder ein Leitbild für politische Entscheidungen<br />
auf staatlicher Ebene sein kann, darf<br />
in der Tat in Zweifel gezogen werden. In der<br />
Abstraktion vom spezifischen Raumbezug<br />
gerinnt das, was mit diesem Wort bezeichnet<br />
werden kann, zur Ideologie. Dies hat<br />
weniger mit seiner historischen nationalistischen<br />
Indienstnahme zu tun als vielmehr<br />
damit, dass die Ebene, auf der Heimat entsteht<br />
und empfunden werden kann, dadurch<br />
verlassen wird. Heimat ist an ganz bestimmte<br />
lokale Eigenschaften gebunden und wird<br />
erst in einem Spannungsfeld von Fremdheit<br />
und Eigenheit virulent. Es ist möglich und<br />
sinnvoll, das, was an je einem Ort Heimat<br />
ist, für Forschung und Kommunikation zu<br />
öffnen und somit den eigenen Raum erfahrbar<br />
und gestaltbar zu machen. Die Dynamik<br />
der Wiederaneignung devastierter<br />
Flächen der monopolisierenden Landnutzung<br />
macht sichtbar, was auch für die<br />
scheinbar kontinuierlichen Flächen ringsum<br />
gilt: Landschaft als Heimat ist ein Produkt<br />
fortwährender Kolonisierung.<br />
Die Analyse verdankt sich einer soziologischen<br />
Akteursanalyse im Rahmen des Forschungsverbundes<br />
OFFENLAND (BMBF-<br />
FKZ 01 LN 0008: Offenland-Management<br />
auf ehemaligen und in Nutzung befindlichen<br />
Truppenübungsplätzen im pleistozänen<br />
Flachland Nordostdeutschlands – Naturschutzfachliche<br />
Grundlagen und praktische<br />
Umsetzung).<br />
Literatur<br />
ANDERS, K. (2003) Soziologische Akzeptanzforschung<br />
im Offenland-Projekt am Beispiel des<br />
ehemaligen Truppenübungsplatzes Lieberose. -<br />
Culterra, 31, 255-270.<br />
BEUTLER, H. (2000) Landschaft in neuer Bestimmung<br />
– Russische Truppenübungsplätze. -<br />
Neuenhagen.<br />
BOBROWSKI, J. (1987): Stiller Sommer,<br />
zugleich etwas über Wachteln. In: Die Erzählungen,<br />
gesammelte Werke in sechs Bänden, Bd. IV.<br />
- Berlin, S. 156.<br />
BURKART, B.; ANDERS, K.; GAERTNER,<br />
M.; TSCHÖPE, O.; VAN DORSTEN, P. &<br />
KONOLD, W. (2004): Landschaftsbewertung<br />
im OFFENLAND Ostdeutschlands: Ehemalige<br />
Truppenübungsplätze in der Perspektive landschaftlicher<br />
Eigenart. - Beiträge für Forstwirtschaft<br />
und Landschaftsökologie, 38, H. 3, 165-<br />
170.<br />
KUHNDÖRFER, G. (2001): Standortkommandeur<br />
Truppenübungsplatz Oberlausitz, Gespräch<br />
am 5. 9. 2001, Bad Muskau.<br />
NEUMEYER, M. (1992): Heimat. Zu Geschichte<br />
und Begriff eines Phänomens. - Kieler geografische<br />
Schriften, Bd. 84.<br />
SCHNÜRPEL, B. (2004): Der Naturpark Lieberose.<br />
http://www.umwelt-seite.de/Ubersicht/<br />
globale_Projekte/Lieberose/lieberose.html, Stand<br />
28.12.2004.<br />
SEGERT, A. & ZIERKE, I. (2004): Methodische<br />
Grundlagen der soziologischen Bewertung von<br />
Offenland. In: ANDERS, K.; MRZLJAK, J.;<br />
WALLSCHLÄGER, D. & WIEGLEB, G. (Hg.):<br />
Handbuch Offenlandmanagement. Am Beispiel<br />
ehemaliger und in Nutzung befindlicher Truppenübungsplätze.<br />
- Berlin, Heidelberg, 87–96.<br />
SIEFERLE, R. P. (1997): Rückblick auf die<br />
Natur. Eine Geschichte des Menschen und seiner<br />
Umwelt. - München.<br />
WANNER, M.; BURKART, B.; HINRICHSEN,<br />
A.; PROCHNOW, A.; SCHLAUDERER, R.;<br />
WIESENER, C.; ZIERKE, I. & XYLANDER,<br />
W. (2004a): Offenhaltung durch mechanische<br />
Bodenfreilegung. In: ANDERS, K.; MRZLJAK,<br />
J.; WALLSCHLÄGER, D. & WIEGLEB, G.<br />
(Hg.): Handbuch Offenlandmanagement. Am<br />
Beispiel ehemaliger und in Nutzung befindlicher<br />
Truppenübungsplätze. - Berlin, Heidelberg, 145–<br />
152.<br />
WANNER, M.; ANDERS, K.; BRUNK, I.;<br />
BURKART, B.; VAN DORSTEN, P.;<br />
FÜRSTENAU, S.; OEHLSCHLAEGER, S.;<br />
PROCHNOW, A.; WIESENER, C. &<br />
XYLANDER, W. (2004b): Offenhaltung durch<br />
Feuer. In: ANDERS, K.; MRZLJAK, J.; WALL-<br />
SCHLÄGER, D. & WIEGLEB, G. (Hg.): Handbuch<br />
Offenlandmanagement. Am Beispiel ehemaliger<br />
und in Nutzung befindlicher Truppenübungsplätze.<br />
- Heidelberg, 153–167.<br />
Anschrift des Verfassers:<br />
Dr. Kenneth Anders<br />
Herrenwiese 9<br />
16259 Schiffmühle<br />
E-Mail: kenneth.anders@web.de