18.02.2014 Aufrufe

Druck - Deutscher Rat für Landespflege

Druck - Deutscher Rat für Landespflege

Druck - Deutscher Rat für Landespflege

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

66<br />

chen Extremsituationen, in denen viel experimentiert<br />

wird, in denen Hoffen, Scheitern,<br />

Gelingen und Verhandeln erfahren werden,<br />

deutlich angeregt. Mit Biotopbastelanleitungen,<br />

das wurde schnell deutlich, wird<br />

man auf lange Sicht nicht einmal mit den<br />

kleinen Truppenübungsplätzen fertig werden.<br />

Die naturschutzfachlichen Konzeptionen<br />

für die o. g. Flächen in Glau und Dauban<br />

sind auf ein flexibles Management ausgerichtet<br />

– keine statische Konservierung eines<br />

als wertvoll angesehenen Zustandes,<br />

sondern eine dynamische, durch Neuinitiierungen<br />

unterbrochene Sukzession. Erst<br />

recht die großen Flächen bedürfen daher<br />

einer Wahrnehmung als Landschaften besonderer<br />

Art bzw. als eigenartige Elemente<br />

von Landschaften. Die verlassenen Truppenübungsplätze<br />

stehen, wie alle anderen<br />

Landschaften auch, im Spannungsfeld<br />

von Mensch und Natur – und bilden<br />

somit eine Reibungsfläche für interdisziplinäres,<br />

gegenstandsorientiertes wissenschaftliches<br />

Arbeiten.<br />

Wissenschaftler benötigen keine Heimatbeziehung<br />

zu den Flächen – sie können aber<br />

eine solche knüpfen. Wenn Doktorandinnen<br />

sich über Jahre in der Nähe in einer für sie<br />

fremden ländlichen Region einquartieren<br />

und täglich mit dem Fahrrad auf die Flächen<br />

fahren, sich auf die regionalen Akteure einlassen<br />

und mit ihnen gemeinsam nach Lösungen<br />

suchen, entsteht auch für sie ein<br />

Stück Heimat – im Gelingen. Und auch die<br />

Anwohner haben ein Gespür für diese Beziehung:<br />

Dass man „bloß Micken zähle“,<br />

wird man als Wissenschaftler in diesem<br />

Falle nur selten zu hören bekommen.<br />

Neue Heimat oder konservierte<br />

Entfremdung?<br />

Ob am Ende der Kolonisierung für die Anwohner<br />

der Plätze so etwas wie Heimat<br />

entsteht, bleibt also offen. Es hängt ebenso<br />

von der Bereitschaft der lokalen Akteure ab,<br />

ihr Schicksal wieder in die Hand zu nehmen<br />

und sich in die Flächen erneut einzuschreiben,<br />

wie auch vom Willen der politischen<br />

Institutionen, ihnen dazu eine Chance zu<br />

geben. Die politische Verantwortung dazu<br />

ist besonders groß, denn im Gegensatz zu<br />

den Bergbaufolgelandschaften haben die<br />

Anwohner der Truppenübungsplätze kaum<br />

von der jahrelangen militärischen Nutzung<br />

ihrer Heimat profitiert. Von Standort zu<br />

Standort fällt die bisherige Bilanz sehr unterschiedlich<br />

aus. Es sollte aber deutlich<br />

geworden sein, dass die Truppenübungsplätze<br />

nicht nur die ökologische Chance der<br />

Sicherung wertvoller Naturprozesse bieten,<br />

sondern ebenso wertvolle soziale Prozesse<br />

ermöglichen – und nivellieren können. Die<br />

Möglichkeit, sie erneut zu einem Element<br />

von Heimat werden zu lassen, ist jedem<br />

Standort zu wünschen.<br />

Für den Heimatbegriff lässt sich zudem<br />

daraus ableiten, dass nicht nur die physische<br />

Existenz landschaftlicher Elemente Heimat<br />

konstituiert, sondern dass sich diese vielmehr<br />

in der Beziehung von Mensch und<br />

Natur im konkreten Raum entfaltet. Wo<br />

nichts am eigenen Umfeld eine Bedeutung<br />

hat, gibt es auch keine Heimat. Wo dagegen<br />

scheinbar alles verschwunden ist, die Leere<br />

aber eine Bedeutung trägt und lesbar ist,<br />

kann sehr viel Heimat sein: Es ist ein<br />

Beziehungsproblem, keine bloß dingliche<br />

Angelegenheit eines landschaftlichen Inventars.<br />

Ob Heimat ein Schlagwort, ein Argument<br />

oder ein Leitbild für politische Entscheidungen<br />

auf staatlicher Ebene sein kann, darf<br />

in der Tat in Zweifel gezogen werden. In der<br />

Abstraktion vom spezifischen Raumbezug<br />

gerinnt das, was mit diesem Wort bezeichnet<br />

werden kann, zur Ideologie. Dies hat<br />

weniger mit seiner historischen nationalistischen<br />

Indienstnahme zu tun als vielmehr<br />

damit, dass die Ebene, auf der Heimat entsteht<br />

und empfunden werden kann, dadurch<br />

verlassen wird. Heimat ist an ganz bestimmte<br />

lokale Eigenschaften gebunden und wird<br />

erst in einem Spannungsfeld von Fremdheit<br />

und Eigenheit virulent. Es ist möglich und<br />

sinnvoll, das, was an je einem Ort Heimat<br />

ist, für Forschung und Kommunikation zu<br />

öffnen und somit den eigenen Raum erfahrbar<br />

und gestaltbar zu machen. Die Dynamik<br />

der Wiederaneignung devastierter<br />

Flächen der monopolisierenden Landnutzung<br />

macht sichtbar, was auch für die<br />

scheinbar kontinuierlichen Flächen ringsum<br />

gilt: Landschaft als Heimat ist ein Produkt<br />

fortwährender Kolonisierung.<br />

Die Analyse verdankt sich einer soziologischen<br />

Akteursanalyse im Rahmen des Forschungsverbundes<br />

OFFENLAND (BMBF-<br />

FKZ 01 LN 0008: Offenland-Management<br />

auf ehemaligen und in Nutzung befindlichen<br />

Truppenübungsplätzen im pleistozänen<br />

Flachland Nordostdeutschlands – Naturschutzfachliche<br />

Grundlagen und praktische<br />

Umsetzung).<br />

Literatur<br />

ANDERS, K. (2003) Soziologische Akzeptanzforschung<br />

im Offenland-Projekt am Beispiel des<br />

ehemaligen Truppenübungsplatzes Lieberose. -<br />

Culterra, 31, 255-270.<br />

BEUTLER, H. (2000) Landschaft in neuer Bestimmung<br />

– Russische Truppenübungsplätze. -<br />

Neuenhagen.<br />

BOBROWSKI, J. (1987): Stiller Sommer,<br />

zugleich etwas über Wachteln. In: Die Erzählungen,<br />

gesammelte Werke in sechs Bänden, Bd. IV.<br />

- Berlin, S. 156.<br />

BURKART, B.; ANDERS, K.; GAERTNER,<br />

M.; TSCHÖPE, O.; VAN DORSTEN, P. &<br />

KONOLD, W. (2004): Landschaftsbewertung<br />

im OFFENLAND Ostdeutschlands: Ehemalige<br />

Truppenübungsplätze in der Perspektive landschaftlicher<br />

Eigenart. - Beiträge für Forstwirtschaft<br />

und Landschaftsökologie, 38, H. 3, 165-<br />

170.<br />

KUHNDÖRFER, G. (2001): Standortkommandeur<br />

Truppenübungsplatz Oberlausitz, Gespräch<br />

am 5. 9. 2001, Bad Muskau.<br />

NEUMEYER, M. (1992): Heimat. Zu Geschichte<br />

und Begriff eines Phänomens. - Kieler geografische<br />

Schriften, Bd. 84.<br />

SCHNÜRPEL, B. (2004): Der Naturpark Lieberose.<br />

http://www.umwelt-seite.de/Ubersicht/<br />

globale_Projekte/Lieberose/lieberose.html, Stand<br />

28.12.2004.<br />

SEGERT, A. & ZIERKE, I. (2004): Methodische<br />

Grundlagen der soziologischen Bewertung von<br />

Offenland. In: ANDERS, K.; MRZLJAK, J.;<br />

WALLSCHLÄGER, D. & WIEGLEB, G. (Hg.):<br />

Handbuch Offenlandmanagement. Am Beispiel<br />

ehemaliger und in Nutzung befindlicher Truppenübungsplätze.<br />

- Berlin, Heidelberg, 87–96.<br />

SIEFERLE, R. P. (1997): Rückblick auf die<br />

Natur. Eine Geschichte des Menschen und seiner<br />

Umwelt. - München.<br />

WANNER, M.; BURKART, B.; HINRICHSEN,<br />

A.; PROCHNOW, A.; SCHLAUDERER, R.;<br />

WIESENER, C.; ZIERKE, I. & XYLANDER,<br />

W. (2004a): Offenhaltung durch mechanische<br />

Bodenfreilegung. In: ANDERS, K.; MRZLJAK,<br />

J.; WALLSCHLÄGER, D. & WIEGLEB, G.<br />

(Hg.): Handbuch Offenlandmanagement. Am<br />

Beispiel ehemaliger und in Nutzung befindlicher<br />

Truppenübungsplätze. - Berlin, Heidelberg, 145–<br />

152.<br />

WANNER, M.; ANDERS, K.; BRUNK, I.;<br />

BURKART, B.; VAN DORSTEN, P.;<br />

FÜRSTENAU, S.; OEHLSCHLAEGER, S.;<br />

PROCHNOW, A.; WIESENER, C. &<br />

XYLANDER, W. (2004b): Offenhaltung durch<br />

Feuer. In: ANDERS, K.; MRZLJAK, J.; WALL-<br />

SCHLÄGER, D. & WIEGLEB, G. (Hg.): Handbuch<br />

Offenlandmanagement. Am Beispiel ehemaliger<br />

und in Nutzung befindlicher Truppenübungsplätze.<br />

- Heidelberg, 153–167.<br />

Anschrift des Verfassers:<br />

Dr. Kenneth Anders<br />

Herrenwiese 9<br />

16259 Schiffmühle<br />

E-Mail: kenneth.anders@web.de

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!