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Druck - Deutscher Rat für Landespflege

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Sinne primärer Besiedlung zu tun, so stehen<br />

wir bei der Rolle der Anwohner vor der<br />

Frage, ob man angesichts der Handhabung<br />

dieser Flächen im vergangenen Jahrzehnt<br />

auch mit Fug und Recht von Kolonialisierung<br />

sprechen kann. Befragungen an fünf ehemaligen<br />

Truppenübungsplätzen (SEGERT<br />

& ZIERKE 2004) sprechen dafür: Viele<br />

Anwohner haben das Gefühl, auch nach<br />

Generationen landschaftlicher Entmündigung<br />

nicht in die Lage versetzt zu werden,<br />

sich die Flächen nun selbst anzueignen,<br />

obwohl die allgemeine Akzeptanz von<br />

Naturschutzmaßnahmen hoch ist. Ein generelles<br />

Urteil lässt sich in dieser Frage schwer<br />

fällen. Tatsächlich aber werden beinahe alle<br />

relevanten Entscheidungen – wie ehedem –<br />

jenseits lokaler und regionaler Ebenen getroffen.<br />

Die Flächen werden von einer<br />

Landestochter verkauft, das Landesumweltamt<br />

hat unterdessen ihre Ausweisung als<br />

Schutzgebiete vorgenommen, zugleich verwehren<br />

die Zonen ausgewiesener (oder geschätzter)<br />

Munitionsbelastung jedes öffentlich<br />

legitimierte Handeln auf den Flächen.<br />

Wo die ehemaligen militärischen Übungsflächen<br />

Teile von Naturparks oder Biosphärenreservaten<br />

sind, gibt es am ehesten die<br />

Chance, nachhaltige lokale Partizipation zu<br />

fördern. Nicht immer werden diese Chancen<br />

aber auch ergriffen. Dies muss nicht<br />

unbedingt an den Naturparkverwaltungen<br />

liegen, die sich oftmals darum bemühen, die<br />

Truppenübungsplätze als naturräumliches<br />

Potenzial in der regionalen Öffentlichkeit<br />

zu vermitteln und in eine landschaftliche<br />

Praxis einzubinden. Oftmals fällt es den<br />

Kommunen schwer, sich von überschießenden<br />

Erwartungen der ersten Freisetzung zu<br />

lösen: Auf den ersten Blick schienen die<br />

riesigen Flächen ein ungeheurer Wert, erst<br />

nach und nach erweisen sie sich dagegen als<br />

Managementproblem. Dass die Nutzung als<br />

Naturschutz- und sanfter Erholungsraum in<br />

den meisten Fällen auch ökonomisch die<br />

nahe liegende Variante ist, will vielen lokalen<br />

Akteuren nicht in den Sinn. Zudem<br />

verlangen Anwohner wenigstens elementare<br />

Rehabilitierungen, eine Entmunitionierung<br />

z. B. oder die erneute Nutzung<br />

jahrelang gesperrter Straßen, die anliegende<br />

Dörfer miteinander verbinden – solche Verbindungen<br />

wurden sowohl im ehemaligen<br />

Truppenübungsplatz Bad Liebenwerda (Naturpark<br />

Niederlausitzer Heidelandschaft) als<br />

auch bei Lieberose (Naturpark Schlaubetal)<br />

reklamiert. In den Auseinandersetzungen<br />

wird die symbolische Dimension dieser Auseinandersetzung<br />

meist unterschätzt: Es geht<br />

nicht nur um ein Wegerecht, sondern um die<br />

Verfügbarkeit über die Flächen, die einmal<br />

Heimat waren.<br />

In günstigen Fällen sorgt ein komplexes<br />

Akteursensemble mit sozialer Kompetenz<br />

für eine Verflüssigung der landschaftlichen<br />

Situation auf den Truppenübungsplätzen.<br />

Eigentumsfragen werden geklärt, Nutzungsbefugnisse<br />

geordnet, Haftungen und Versicherungen,<br />

gesellschaftliche und lokale Interessen<br />

an den Flächen ins Gleichgewicht<br />

gebracht. An das Engagement der Heinz-<br />

Sielmann-Stiftung in der Döberitzer Heide<br />

knüpfen sich derzeit solche Erwartungen. In<br />

günstigen Fällen können auch die Anwohner<br />

in den Status von Siedlern gelangen,<br />

indem sie an der Entwicklung des Platzes<br />

auf verschiedene Weise partizipieren.<br />

In ungünstigen Fällen wird diese Chance<br />

dagegen über Jahre verspielt – und zwar<br />

sowohl auf lokaler als auch auf landespolitischer<br />

Ebene. So haben die Bewohner<br />

und Lokalpolitiker von Lieberose lange Zeit<br />

auf andere Nutzungen als jene durch den<br />

Naturschutz gehofft. Anfangs wünschte man<br />

sich einen Einstieg der Bundeswehr, dann<br />

konzipierte man Logistikzentren, wünschte<br />

sich den Berlin-Brandenburgischen Großflughafen<br />

vor die Haustür und unterhielt<br />

sich mit schillernden Einzelakteuren<br />

(ANDERS 2003). Dabei machte sich die<br />

jahrelange Entfremdung zum eigenen Standort<br />

als offensichtliche <strong>Rat</strong>losigkeit bemerkbar,<br />

was man mit den Flächen wohl anfangen<br />

könne. Allerdings ist mit den lokalen<br />

Akteuren weder von landespolitischer Seite<br />

noch von Seiten interessierter Naturschutzorganisationen<br />

ernsthaft gearbeitet worden.<br />

Während NABU-Mitglieder Ende der<br />

1990er Jahre bereits deutschlandweit<br />

Spendengelder für einen Kauf des Platzes<br />

sammelten, blickten die Anwohner irritiert<br />

auf vereinzelte Naturschützer, „die hier bloß<br />

herkommen zum Micken zählen.“ Im<br />

Internet warb ein Umweltportal für Spenden<br />

und gibt auf die selbst gestellte Frage<br />

„Was ist Lieberose?“ folgende Antwort:<br />

„Lieberose liegt nördlich von Cottbus und<br />

gehört zu den wenigen natürlich gebliebenen<br />

Flächen in Deutschland. Entstanden als<br />

Endmoränenlandschaft in der Eiszeit besteht<br />

das Gebiet vorwiegend aus Seen, Mooren,<br />

steppenartigen Sand- und Heideflächen<br />

sowie lichten Birken- und Kiefernwäldern.<br />

Es diente früher als Truppenübungsplatz<br />

und wurde weiträumig abgesperrt. Zuletzt<br />

fuhren hier die Panzer der Roten Armee. Für<br />

die Natur erwies sich dies als Glücksfall.<br />

Abseits der Militärpfade konnte sie sich<br />

ungehindert entfalten. Land- und Forstwirtschaft<br />

gab es nicht.“ (SCHNÜRPEL 2004).<br />

Von einem Ort Namens Lieberose ist den<br />

Autoren offensichtlich nichts bewusst gewesen<br />

– ebenso wenig davon, dass auf den<br />

überwiegenden Flächen forstlich gewirtschaftet<br />

wurde. Der Effekt: Die Anwohner<br />

nehmen die Naturschutznutzung der Flächen<br />

als Kolonialisierung wahr, die sie noch<br />

65<br />

schroffer vor verschlossene Tore stellt, als<br />

seinerzeit das Militär.<br />

Als sei es damit nicht genug, ist die Nutzung<br />

des Platzes für den Naturschutz in den letzten<br />

Jahren immer fraglicher geworden. Zwar<br />

sind in großem Umfange Schutzgebiete ausgewiesen<br />

worden, zugleich läuft aber die<br />

Privatisierung der Flächen an, jagdliche und<br />

repräsentative Interessen werden stärker –<br />

die Zukunft wird von einem Jahr auf das<br />

Nächste verschoben. Zu guter Letzt wird<br />

auch den Anwohnern der ursprüngliche Plan<br />

– die Einrichtung eines großen, zusammenhängenden<br />

Naturschutzgebietes – noch wie<br />

ein Utopia erscheinen. Eine Initiative für<br />

einen Nationalpark Lieberose hat diese Gefahr<br />

inzwischen erkannt und bemüht sich –<br />

mit weitgehender Unterstützung der kommunalen<br />

Vertreter – darum, die endgültige<br />

Preisgabe dieses Potenzials zu vermeiden.<br />

Aus ethnologischer Sicht ist dies zugleich<br />

der Versuch, aus der Rolle der Kolonialisierten<br />

herauszukommen und zum aktiven<br />

Siedler zu werden, der nach Möglichkeiten<br />

der Partizipation an der Fläche sucht. Das<br />

gegenteilige Szenario besteht in der<br />

Zerlegung des Platzes in einzelne repräsentative<br />

Jagdgebiete.<br />

e) Kolonien werden erforscht – die<br />

Wissenschaft und die<br />

Truppenübungsplätze<br />

Schließlich wird neues Land immer zum<br />

Gegenstand der Forschung. Nicht ganz so<br />

universell und auf unbekanntem Terrain wie<br />

weiland Alexander von Humboldt, aber doch<br />

mit großer Neugier und Faszination für die<br />

fremden Ländereien haben sich Wissenschaftler<br />

seit dem Freiwerden der Truppenübungsplätze<br />

auf ihnen getummelt. Die oben<br />

geschilderte Fremdheit der landschaftlichen<br />

Eigenart war ihnen dabei kein Hindernis,<br />

sondern Stimulans. Das beeindruckende<br />

Arteninventar hat folgerichtig vor allem<br />

Naturwissenschaftler auf den Plan gerufen<br />

– dabei ist die Konversion riesiger militärischer<br />

Liegenschaften in sozialwissenschaftlicher<br />

Hinsicht mindestens ebenso<br />

spannend. Hier macht sich die Pionierrolle<br />

von Naturschützern in den frühen 1990er<br />

Jahren bemerkbar, die auch auf die Prägung<br />

der Truppenübungsplätze als naturwissenschaftlicher<br />

Gegenstand abgefärbt hat. Die<br />

Wissenschaftler haben in den vergangenen<br />

zehn Jahren nicht nur mannigfaltiges Wissen<br />

über die einzelnen Standorte angesammelt<br />

– sie haben, ausgehend von den extremen<br />

standörtlichen Bedingungen, den großen<br />

Flächendimensionen und den damit<br />

verbundenen enormen Managementherausforderungen,<br />

auch neue Impulse für ihre<br />

Mutterdisziplinen gewinnen können. Das<br />

Nachdenken über Landschaft wird an sol-

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