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Druck - Deutscher Rat für Landespflege

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30<br />

herkommt: „Ubi bene, ibi patria“. Dass es<br />

keinen besseren Platz zum Leben als die<br />

Herkunftsheimat geben könne, leuchtet auf<br />

dieser Stufe nicht mehr ein. Heimat und<br />

Fremde, gutes und schlechtes Leben werden<br />

hier zu voneinander unabhängigen Unterscheidungen.<br />

Der Begriff der Heimat wird<br />

dadurch abhängig von der jeweiligen Konzeption<br />

guten Lebens: Wer das gute Leben<br />

über den materiellen Lebensstandard definiert,<br />

der wird seine Heimat in ökonomisch<br />

prosperierenden Regionen wählen, wer Wert<br />

auf kulturelle Angebote legt, wird in eine<br />

Großstadt ziehen, wer ein einfacheres und<br />

naturverbundenes Leben schätzt, der wird<br />

sich womöglich in ländlichen Regionen niederlassen.<br />

Auf dieser Stufe kann die<br />

Herkunftsheimat fremd werden, sofern ihre<br />

ökonomisch-kulturelle Entwicklung (oder<br />

Stagnation) und der eigene Entwurf guten<br />

Lebens immer weiter auseinander klaffen.<br />

Heimat ist auf dieser Stufe etwas, das sub<br />

specie der Vision guten Lebens gesucht,<br />

gefunden und dann geschaffen werden kann<br />

und muss. Beheimatung wird insofern selbst<br />

zu einer persönlichen Leistung. Migration<br />

erscheint in dieser Perspektive als natürliches<br />

Verhalten von Menschen: Menschen<br />

haben keine Wurzeln, sondern Beine. Man<br />

darf mit Fug und Recht sagen, dass man aus<br />

x stammt, aber sich jetzt in y zu Hause fühlt.<br />

Es stimmt also nicht, dass es für moderne<br />

Menschen kein Zuhause mehr geben kann<br />

(s. Abschnitt II); richtig ist vielmehr, dass<br />

jede moderne Konzeption von Heimat die<br />

Stufe der Wahlheimat und damit implizit<br />

die Möglichkeit des Bruchs mit der<br />

Herkunftsheimat anerkennen muss.<br />

Natürlich kann auch die Herkunftsheimat<br />

auf und nach Umwegen wieder neu und<br />

dauerhaft zur Wahlheimat werden. Dies ist<br />

dann „Heim-Kehr“ im engen Sinne. 24 Die<br />

Figur des Heimkehrers wurde von Alfred<br />

Schütz als ambivalent beschrieben: Einerseits<br />

hat er mehr und anderes gesehen und<br />

erlebt als die Daheimgebliebenen, die ihn<br />

dafür beneiden und bewundern; andererseits<br />

gehört er nicht mehr ungebrochen dazu. 25<br />

Häufig ist die Heimkehr jedoch nicht von<br />

Dauer, sondern nur eine zeitweilige Rückkehr<br />

in die „alte“ Heimat. Edgar Reitz hat in<br />

seinem Film „Heimat“ in manchen Szenen<br />

die Vielschichtigkeit und Ambivalenz von<br />

Dableiben, Verlassen und Rückkehr eingefangen.<br />

Ein Zeugnis über den Zusammenhang<br />

von Heimkehr und Naturerfahrung<br />

findet sich bei Albert CAMUS. 26 Es ist deswegen<br />

so beeindruckend, weil für CAMUS<br />

diese Rückkehr keine dauerhafte Heimkehr<br />

mehr sein kann. CAMUS schreibt seinen<br />

Essay, als er die Ruinen von Tipasa bereits<br />

wieder verlassen und „Europa mit seinen<br />

Kämpfen wiedergefunden hat“ (1973, S.<br />

188). In den Ruinen von Tipasa erlebt<br />

CAMUS die algerische Natur noch einmal<br />

so, wie er sie in seiner Jugend erlebt hatte:<br />

„Der Morgen schien erstarrt, die Sonne<br />

stand für einen Augenblick still. In diesem<br />

Licht und in diesem Schweigen zerrannen<br />

langsam die Jahre der Raserei und der<br />

Nacht. Ich lauschte in mir einem fast vergessenen<br />

Klang, als finge mein Herz nach<br />

langem Stillestehen ganz sachte wieder zu<br />

klopfen an. Und nun vernahm ich auch<br />

jene unhörbaren Geräusche, aus denen die<br />

Stille gewoben ist: das Continuo der Vögel,<br />

die leichten, kurzen Seufzer des Meeres<br />

am Fuße der Felsen, das Zittern der<br />

Bäume, das Rascheln der Sträucher, die<br />

flüchtigen Eidechsen“ (1973, S. 187).<br />

Rückkehr wird in der beglückenden Erfahrung,<br />

dass die Natur immer noch da und der<br />

Wahnsinn der Politik nicht alles ist, zur<br />

anamnetischen Verzauberung. Diese kennt<br />

jeder, der sich einmal bei einer Rückkehr<br />

darüber gefreut hat, dass irgend ein Fleck<br />

Heimatnatur die vergangenen Jahre unbeschadet<br />

überstanden hat.<br />

3. Heimat als „Beieinander-Sein“: Dort<br />

Zuhause sein, wo sich die besonders nahe<br />

stehenden Menschen als leiblich Anwesende<br />

aufhalten. Heimat ist dort, wo die geliebten<br />

Menschen sind und wo man ohne Angst<br />

und Not beieinander sein kann. Man sagt<br />

auf dieser Stufe: „Wo du bist, da ist für mich<br />

Heimat“. Der Briefwechsel zwischen<br />

Hannah Arendt und ihrem Mann aus der<br />

Zeit des Exils legt für diesen Heimatbegriff<br />

ein moralisch eindringliches Zeugnis ab. Im<br />

Falle des freiwilligen Mitgangs in eine Fremde,<br />

in der man realistischerweise kaum Gutes<br />

zu erwarten hat, haben wir das biblische<br />

„Rut“-Motiv vor uns: Gegen gute Gründe<br />

mit einer anderen aus der Herkunftsheimat<br />

in die Fremde gehen, nur um bei ihr zu sein<br />

(Buch Rut 1, 6-18).<br />

4. Geistige Heimat: Zuhause in der eigenen<br />

Sprache, in kulturellen Traditionen und nicht<br />

zuletzt in normativen Institutionen („Verfassungspatriotismus“<br />

27 ). Hier will man<br />

Heimat finden in geistigen, also nicht mehr<br />

notwendigerweise an materielle Substrate<br />

gebundenen Gebilden wie philosophischen<br />

Texten, Gedichten, Musik. Es ist sprachlich<br />

vielleicht ungewöhnlich, aber sachlich korrekt,<br />

wenn man sagt, man fühle sich in der<br />

Musik Mahlers und in den Schriften der<br />

Gebrüder Humboldt zu Hause. Das entsprechende<br />

biblisch-theologische Motiv ist hier<br />

wohl, Heimat in der Schrift selbst zu finden.<br />

Nicht die Dorflinde und das Heimatmuseum<br />

mit altem Butterfass und Dreschflegel,<br />

sondern vor allem die Grundsätze einer freiheitlichen<br />

und demokratischen Verfassung<br />

„geben“ auf dieser Stufe Heimat. In diesem<br />

Sinne sind der Art. 20 a GG und das<br />

BNatSchG die Grundlage für einen republikanisch-demokratischen<br />

Naturschutz. Eine<br />

übergreifende Naturschutzstrategie, wie sie<br />

u. a. der SRU entwickelt hat (2002), reicht<br />

„von der See bis zu den Alpen, von der Oder<br />

bis zum Rhein“ (Bertolt Brecht, „Kinderhymne“)<br />

und ist Teil einer europäischen<br />

Strategie (NATURA 2000). Daher ist es für<br />

mich die Messlatte für Patriotismus im Natur-<br />

und Umweltschutz, ob und auf welche<br />

Weise Politiker der Staatszielbestimmung<br />

des Art. 20a GG auf den verschiedenen<br />

einzelgesetzlichen Ebenen gerecht werden,<br />

nicht aber, wie häufig sie verkündigen, wie<br />

sehr sie dieses Land lieben.<br />

5. Heimat als utopischer Sehnsuchtsbegriff:<br />

Heimat ist hier die „bleibende Statt“, die wir<br />

suchen, aber auf Erden nicht finden. Für<br />

Helmuth PLESSNER schenkt letztlich nur<br />

die Religion Heimat (1975, S. 342): „Wer<br />

nach Hause will, in die Heimat, in die Geborgenheit,<br />

muß sich dem Glauben zum<br />

Opfer bringen. Wer es aber mit dem Geist<br />

hält, kehrt nicht zurück.“ Die letzte Heimat<br />

zu gewinnen, fordert für PLESSNER sogar<br />

das „sacrificium intellectus“ und insofern<br />

hat die Erfüllung der höchsten Sehnsucht<br />

ebenfalls ihren Preis.<br />

Heimat kann auf dieser Stufe auch im Sinne<br />

eines utopischen Marxismus als etwas verstanden<br />

werden, „das allen in der Kindheit<br />

scheint und worin noch niemand war“<br />

(BLOCH 1977, S. 1628). „Heimat“ ist bei<br />

Ernst Bloch eine Chiffre für einen utopischen<br />

Zustand vollauf gelingenden unentfremdeten<br />

Daseins, den es für ihn nur in<br />

einer klassenlosen Gesellschaft geben<br />

kann. 28<br />

24 Heimkehr ähnelt dem Phänomen, dass man<br />

sich in seinen geschiedenen Partner zum<br />

zweiten Male verliebt.<br />

25 Zu Schütz’ Darstellung des Heimkehrers vgl.<br />

KOSMION (1988, S. 213 ff.).<br />

26 Albert CAMUS: „Heimkehr nach Tipasa“,<br />

im französischen Original erstmals 1952.<br />

27 Der Verfassungspatriotismus, wie ihn Dolf<br />

Sternberger und Jürgen Habermas vertreten<br />

haben, wurde von Vertretern einer Konzeption<br />

kompensatorischer Sittlichkeit auf unfaire<br />

Weise als „blutleerer Schrumpfpatriotismus“<br />

kritisiert.<br />

28 Diesen Heimatbegriff, der im Kontext des<br />

utopischen Marxismus’ Blochs steht, wird<br />

man heute natürlich kritisch sehen. Es gibt<br />

Gründe, die erklären können, warum nur<br />

noch wenige heutige Philosophen systematisch<br />

auf Ernst Bloch zurückgreifen. Deren<br />

Darlegung würde allerdings den Rahmen dieses<br />

Aufsatzes überschreiten.

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