Druck - Deutscher Rat für Landespflege
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62<br />
Eigentums keine leichte Aufgabe. Ein Gewirr<br />
aus Interessen (Jagd, Repräsentation,<br />
Holznutzung) spannt sich über den Platz.<br />
Haben wir es also mit einem Missverhältnis<br />
zwischen natürlicher Entwicklung, realer<br />
Flächenpraxis, rechtlichem Status und Eigentum<br />
zu tun? Oder sind die genannten<br />
Eingriffe nur anarchistische Übergangserscheinungen?<br />
Weder noch: Alle Ebenen<br />
sind miteinander verwoben. Die Vorstellung,<br />
man habe die Plätze durch die<br />
Schutzgebietsausweisungen einfach „der<br />
Natur zurückgegeben“, ist ebenso naiv wie<br />
die Annahme, die Schutzgebietsausweisungen<br />
seien nur Makulatur. Auch die<br />
Befürchtung, in Privathand würden die Plätze<br />
die ihnen zugedachte Rolle als einmalige<br />
naturräumliche Flächenreserve auf keinen<br />
Fall mehr spielen können, ist voreilig und<br />
die Einschätzung mancher Landespolitiker,<br />
die gegenwärtige ungeordnete Aneignung<br />
durch einzelne Personen sei irrelevant, ist<br />
ebenso überheblich wie falsch. Standörtliches<br />
Potenzial, tatsächliche Praxis,<br />
rechtlicher Status und Eigentum bilden<br />
gleichermaßen konstituierende Elemente des<br />
nun einsetzenden landschaftlichen Prozesses,<br />
der an den verschiedenen Orten zu<br />
unterschiedlichen Ergebnissen führen wird.<br />
Landschaft eines bestimmten Typs wurde<br />
freigesetzt, nun entstehen andere Landschaften.<br />
Dabei werden neue Strukturen generiert<br />
und es lassen sich verschiedene Strategien<br />
und Entwicklungen unterscheiden und systematisieren.<br />
Das Land, das die Truppen<br />
hinterlassen haben, ist hoch belastet mit<br />
Munition, Giften und für zivile Zwecke<br />
unbrauchbarer Infrastruktur, es ist oftmals<br />
als unbetretbare rote oder blaue Zone gesperrt<br />
und somit eine Art Unland – und doch<br />
ist es in doppelter Hinsicht frei für neue<br />
Besiedlungen: erstens durch den Wegfall<br />
der bisherigen Nutzung, zweitens im Wortsinne<br />
durch die bereits erwähnten ausgedehnten<br />
Offenflächen. Die Truppenübungsplätze<br />
sind Gegenstand der Kolonisierung –<br />
natürliches und soziales Leben wandert ein<br />
in Form von Arten, Individuen und Nutzungen.<br />
Kolonisierung oder<br />
Kolonialisierung?<br />
Unter einer Kolonie versteht man landläufig<br />
die auswärtige Besitzung eines Staates, aber<br />
auch Zusammenschlüsse von Individuen –<br />
natürlichen wie sozialen. In jedem Falle<br />
wird mit „Kolonie“ gerade nicht eine gewachsene<br />
Heimatbeziehung konnotiert, sondern<br />
ein Vorgang der Aneignung eines Terrains.<br />
Verwendungen wie „Bakterienkolonie“,<br />
„Strafkolonie“, „Laubenkolonie“<br />
und „Brutkolonie“ legen eine relativ homogene<br />
flächendeckende Besiedlung durch<br />
einförmige Individuen nahe. Diese kann<br />
sich im Laufe der Zeit ausdifferenzieren.<br />
Dabei begreift man unter „Kolonisierung“<br />
die Aneignung durch besiedelnde Individuen<br />
selbst, während Kolonialisierung stärker<br />
das Bestreben von Gruppen oder Institutionen<br />
bezeichnet, bestimmte Gebiete in Abhängigkeit<br />
zu bringen. Beide Formen lassen<br />
sich bei den Truppenübungsplätzen beobachten.<br />
Sie werden durch einzelne Akteure<br />
kolonisiert, indem sie von ihnen betreten,<br />
angeeignet und genutzt werden – colonus ist<br />
die lateinische Bezeichnung für den Bauern,<br />
kolonisiertes Land ist also bebautes<br />
oder allgemeiner besiedeltes Land. Die Truppenübungsplätze<br />
werden aber zugleich von<br />
außen kolonialisiert, indem der Einfluss auf<br />
sie monopolisiert wird – quasi in der Tradition<br />
der vormalig herrschenden monopolisierenden<br />
Landnutzer. Diesem historisch<br />
seltenen Vorgang sind die Truppenübungsplätze<br />
gegenwärtig unterworfen, was von<br />
den entsprechenden Akteuren auch so verstanden<br />
und benannt wird: Alle 200 Jahre<br />
würde das Land neu verteilt, dies seien die<br />
eigentlichen revolutionären Situationen, so<br />
ein Vertreter der Stiftung Naturlandschaften<br />
in Brandenburg. In diesem Spannungsfeld<br />
entfaltet sich auch die Möglichkeit oder<br />
Unmöglichkeit einer neuen Heimat. Aber<br />
beginnen wir von vorn, denn die Amöbe ist<br />
meist schneller als der Mensch – so ist es<br />
auch bei den Truppenübungsplätzen.<br />
a) Natur<br />
Auch die devastierten – und somit extrem<br />
künstlichen – Teile der Truppenübungsplätze<br />
weisen eine hohe natürliche Dynamik auf<br />
– oftmals sind sie lebendiger, als es den<br />
Anschein hat, weil die Bodenmikrofauna<br />
den militärischen Übungsbetrieb erstaunlich<br />
gut verkraftet (WANNER et al. 2004a,<br />
2004b). Die Böden sind immerhin Oberflächenböden<br />
und nicht, wie in Bergbaufolgelandschaften,<br />
tertiäres saures Material.<br />
Sichtbar wird dies an der bald einsetzenden<br />
Pflanzensukzession. Die charakteristischen<br />
Offenlandschaften der Truppenübungsplätze<br />
verändern sich mit rasanter<br />
Geschwindigkeit. Die zahlreichen Rote Liste-Arten,<br />
die an die überwiegend trockenen<br />
und nährstoffarmen Standorte angepasst<br />
sind, werden erneut in Nischen abgedrängt,<br />
andere Arten wandern ein. Die offenen Sande<br />
der Wüsten werden durch Moose gebunden,<br />
Gräser, später Gehölze, finden Halt.<br />
Die Art der natürlichen Besiedlung verändert<br />
auch grundlegend die „Textur“ der Truppenübungsplätze<br />
(BURKART et al. 2004).<br />
Denn diese waren bislang durch den Übungsbetrieb<br />
von sehr schroffen, nutzungsbedingten<br />
Strukturen gekennzeichnet: Die<br />
Taktikgelände waren durch das Befahren zu<br />
Flächen mit offenem Sand mit geringer<br />
Wasserbindungsfähigkeit geworden, die<br />
Schießbahnen waren mechanisch oder durch<br />
Feuer offen gehalten worden, Biwakierungsplätze<br />
wurden immer neu angelegt (und<br />
waren oftmals Ausgangspunkte für willkürliche<br />
Brände), Gräben und Erdlöcher, technische<br />
Anlagen durchzogen in geometrischen<br />
Formen weite Teile der Flächen. Einzelne<br />
Waldbereiche blieben wiederum völlig<br />
unberührt. Extrem künstliche Flächen<br />
befanden sich also in unmittelbarer Nachbarschaft<br />
zu solchen mit einem hohen natürlichen<br />
Selbstorganisationsgrad. Nun verschwimmt<br />
diese Struktur und löst sich durch<br />
Bewuchs und Vorwaldbildung in weichere<br />
Übergänge auf. Dagegen treten die Standortfaktoren<br />
stärker in den Vordergrund. Sie<br />
bestimmen die Besiedlungschancen der einwandernden<br />
Arten mit. Man kann das leicht<br />
an den „Großen Wüsten“ der Truppenübungsplätze<br />
zeigen. Sowohl der Lieberoser<br />
Truppenübungsplatz als auch die Döberitzer<br />
Heide vor den Toren Berlins beinhalteten<br />
völlig unbewachsene Offensandflächen.<br />
Jene bei Lieberose ist immer noch weitgehend<br />
offen und nur von Moosen, Flechten<br />
und einigen Gräsern überzogen. Die „Große<br />
Wüste“ bei Döberitz ist dagegen so dicht<br />
mit Ginster bewachsen, dass sie kaum wieder<br />
zu erkennen ist. Während sich die Flächen<br />
also unter den Bedingungen ihrer Nutzung<br />
glichen, unterscheiden sie sich deutlich unter<br />
den Bedingungen ihrer Nichtnutzung.<br />
Insofern birgt die natürliche Sukzession ein<br />
Moment der Ausdifferenzierung. An anderen<br />
Orten sind umgekehrte Entwicklungen<br />
möglich: Durch verschiedene Nutzungen<br />
scheinbar unähnliche Standorte gewinnen<br />
nun ihre standortgemäße Ähnlichkeit wieder.<br />
Die oben erwähnten anthropomorphen Einflüsse<br />
nehmen aber langfristig wieder zu.<br />
b) Kolonien werden erobert – die<br />
Pioniere<br />
Zunächst lassen sich die einwandernden<br />
Menschen allein nach dem Zeitpunkt ihrer<br />
Einwanderung unterscheiden – denn dieses<br />
Vorher und Nachher hat nicht nur Konsequenzen<br />
für etwaige angestammte oder<br />
moralisch beanspruchte Nutzungsrechte –<br />
es bestimmt auch die Fähigkeit, auf den<br />
Flächen zu wirtschaften.<br />
Es sind immer Pioniere, die kolonisieren –<br />
dies ist bei Truppenübungsplätzen nicht<br />
anders (Abb. 3). Sie wandern zuerst in das<br />
Gebiet ein und haben allen anderen etwas<br />
voraus: Sie finden sich zurecht. So hat der o.<br />
g. Naturschützer in der Döberitzer Heide<br />
seine Kenntnis des Platzes gemeinsam mit<br />
seinen Mitstreitern nutzen können, das Gebiet<br />
schon vor dem wirklichen Abzug der