Druck - Deutscher Rat für Landespflege
Druck - Deutscher Rat für Landespflege
Druck - Deutscher Rat für Landespflege
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
18<br />
2 Traurige Wildnis<br />
Sobald man die Szene wechselt und aufklärerischen<br />
Autoren zuhört, die Ende des 18.<br />
Jh. im Dienst ihrer politischen Ideale überall<br />
Land und Leuten zu beschreiben beginnen, 7<br />
erscheint das Wort Wildnis als ein rein abwertender<br />
Begriff. Nehmen wir kurz Bayern<br />
als Beispiel. Mit ihrem „Gehügel“, ihren<br />
„Bächen, Filzen“, ausufernden „Wäldern“<br />
hatten für den Staatsbeamten und -reformer<br />
Hazzi nicht wenige Landstriche um München<br />
ein „wildes“ oder „düsteres Aussehen“<br />
(HAZZI 1801–1808, Bd. 2, S. 168 f.,<br />
Bd.3/1, S. 452 f.); einer „alt germanischen<br />
Wildnis“ glichen nach den Worten eines<br />
Zeitgenossen die unansehnlichen und düsteren<br />
Forsten bei Ebersberg im Osten der<br />
Hauptstadt (OBERNBERG 1816, S. 9).<br />
Rousseaus Wildnis löste nicht das geringste<br />
Entzücken aus – zumindest jene Wildnis<br />
nicht, der man nach Auskunft der reisenden<br />
Schriftsteller noch in erheblichen Teilen<br />
Deutschlands begegnete. Schreckliche,<br />
mindestens aber traurige Wildnis! Handelte<br />
es sich schlicht um Banausen, um Leute von<br />
vulgärer Gesinnung? Wie ich meine: nicht<br />
wirklich.<br />
Die Ablehnung der Wildnis erinnert an den<br />
Geschmack der Klassik, an eine ästhetische<br />
Orientierung, die wenig Faible für das Rohe,<br />
Unzivilisierte oder das Chaos der Natur<br />
besaß, sondern Ordnung und Gestaltung<br />
den Vorrang gab. Schönheit war für sie das<br />
Ergebnis artifizieller Leistung und geometrischer<br />
Harmonien. Das war jene Haltung,<br />
die einen Engländer des 17. Jh. (Godfrey<br />
Goodman) 1616 veranlasste, Berge „Warzen<br />
auf dem Antlitz der Erde“ zu nennen<br />
(zit. nach GROH & GROH 1991, S. 113)<br />
oder die Thomas Burnet in seiner „Theory<br />
of Earth“ (1681) von einer besseren Schöpfung<br />
berichten ließ, wo das Land flach und<br />
die Meere in regelmäßigen Formen erschaffen<br />
waren (zit. nach CLIFFORD 1966, S.<br />
274). 8<br />
Von den formalen Präferenzen als Merkmal<br />
ästhetischer Disposition einmal abgesehen,<br />
scheint ein Weiteres diese Autoren mit einer<br />
eher traditionellen Einstellung zu verbinden:<br />
eine gewisse Distanzlosigkeit gegenüber<br />
dem Objekt ihrer Betrachtung. Sie wirken<br />
von emotionalen, beinahe körperlichen<br />
Wahrnehmungen geleitet, nicht so sehr von<br />
ästhetisch-formalen Bezügen. Wie<br />
Montaigne auf seiner Badereise des 16. Jh.<br />
scheint noch die aufgeklärten Reformer des<br />
18. Jh. ein Unwohlsein zu beschleichen,<br />
sobald ihre Wege sie durch kargere und<br />
wenig belebte Landstriche führten – als<br />
käme ihnen die mangelnde Fruchtbarkeit<br />
solcher Gegenden beängstigend vor. 9 Die<br />
Anmut gewisser Landschaften zu preisen,<br />
etwa von „Ceres segnendem Füllhorn“ zu<br />
schwärmen, sehen sie sich nur dort veranlasst,<br />
wo fruchttragende Fluren und Getreideäcker<br />
das Land überzogen. Ob nun von<br />
körperlichem Empfinden oder politischem<br />
Interesse geleitet: Der Schönheitsbegriff der<br />
Reformer hatte jedenfalls seine eigene Ausrichtung.<br />
Er war praktisch orientiert und an<br />
dem Nutzen und Wohlergehen ausgerichtet,<br />
das bestimmte Landschaften zu bereiten versprachen.<br />
Oder genauer gesagt: Er zielte auf<br />
eine Schönheit, die in verwirklichter Nützlichkeit<br />
bestand – auf eine Synthese von<br />
Ökonomie und Ästhetik. 10<br />
Es ist eine Kleinigkeit, nur eine unscheinbare<br />
Bemerkung, die schon bei ROUSSEAU<br />
ein bezeichnendes Licht auf die Beziehungen<br />
von Nutzen und Wildnis (bzw. den<br />
künstlichen Wildnissen) wirft. Saint-Preux’s<br />
Gastgeber nämlich hatten bei der Vorführung<br />
ihres „Obstgartens“ nicht den diskreten<br />
Hinweis vergessen, dass ihr elysischer<br />
Garten „der einzige Ort [sei], wo man das<br />
Nützliche dem Angenehmen geopfert“ –<br />
während all ihre übrigen Ländereien auf die<br />
Erzielung bestmögliche Erträge eingerichtet<br />
seien (ROUSSEAU 1761/1988, S. 494,<br />
Vierter Teil, 11. Brief). Die Alternative Poesie<br />
oder Nutzen hatte nicht zuletzt mit der<br />
Zweckbestimmung der Räume zu tun, die<br />
man zu gestalten gedachte. Offensichtlich<br />
sollte man daher das Naturempfinden der<br />
Aufklärungsperiode nicht zu einseitig sehen,<br />
seine schwärmerischen Komponenten<br />
nicht überschätzen. 11 Natur war mehr als nur<br />
eine Sache des Gefühls.<br />
7 Ich beziehe mich hier auf jene Landesbeschreibungen,<br />
Topographien oder Reiseberichte,<br />
die in der zweiten Hälfte des 18. Jh.<br />
in Mode kamen und sich als eine Art Bestandsaufnahme<br />
der damaligen deutschen<br />
Länder und Territorien lesen lassen – Berichte,<br />
die uns nicht zuletzt über das Naturempfinden<br />
und -verständnis ihrer Verfasser<br />
Aufschluss zu geben vermögen.<br />
8 Thomas Burnet (1635-1715) spricht hier von<br />
einer Schöpfung vor dem Sündenfall, denn zu<br />
den unglücklichen, bis in die Naturgeschichte<br />
hinein sich auswirkenden Begleiterscheinungen<br />
dieser Missetat gehörte, dass sie zu<br />
einer Verunstaltung der ursprünglichen harmonischen<br />
Natur geführt hatte. Zum Naturkonzept<br />
der Klassik auch THOMAS 1983.<br />
9 In einem erweiterten Sinn von der Angst im<br />
Kontext bestimmter Naturwahrnehmungen<br />
handelt etwa BEGEMANN 1987 (Kap. III).<br />
Abb. 2: „Traurig“ war es nach Joseph Hazzi, „für den Freund der Natur, die ungeheuren Filz-, Moosund<br />
Weidestrecken“ seiner bayerischen Heimat sehen zu müssen – wie hier etwa die ausgedehnte<br />
Heide- und Auenlandschaft nordöstlich von München (Gemälde von Ernst Kaiser, 1839).<br />
10 Selbstverständlich handelt es sich hier um<br />
die Rekonstruktion eines zunächst einmal<br />
elitären Diskurses. Die indigene Sicht auf<br />
eine heimatliche Landschaft zu erfassen ist<br />
schwierig. Nur darf man sich die Kluft<br />
womöglich nicht zu groß vorstellen. Wenn<br />
etwa Ulrich BRÄKER in seiner Biographie<br />
„Der arme Mann im Tockenburg“ (1789/<br />
1965) schreibt, wie seine Eltern ihr über<br />
Jahre bewirtschaftetes Gut „auf dem<br />
Dryschlatt“ aufgaben und die Familie „diesem<br />
wilden Ort auf ewig gute Nacht sagte“,<br />
fügt er an, dass sie „im Grunde alle froh<br />
[waren], diese Einöde zu verlassen“ – und<br />
niemand mehr als er selbst, da er hoffte, „das<br />
strenge Arbeiten sollt’ nun einmal ein End’<br />
nehmen.“ Wildnis und Unfruchtbarkeit waren<br />
in seiner Perspektive mit saurer Arbeit<br />
verknüpft, die dennoch zu keinem Erfolg<br />
führte – ein Aspekt, der der wirklichen Liebe<br />
zu derartigen Orten abträglich war (ebd.,<br />
Kap. XXV. u. XXVI.). Zum Versuch, sich<br />
gewissen „Binnenperspektiven“ auf von der<br />
Natur eher benachteiligte Räume zu nähern,<br />
etwa MATHIEU 2002.<br />
11 Vgl. zur Ambivalenz des (spät-) aufklärerischen<br />
Naturideals NIEDERMEIER 1993.