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Druck - Deutscher Rat für Landespflege

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24 Schr.-R. d. Deutschen <strong>Rat</strong>es für <strong>Landespflege</strong> (2005), Heft 77, S. 24-32<br />

Konrad Ott<br />

„Heimat“-Argumente als Naturschutzbegründungen in<br />

Vergangenheit und Gegenwart<br />

„Comes a time, when you’re drifting.<br />

Comes a time, when you’re settling down.“<br />

Neil Young<br />

I Einstiege, Annäherungen,<br />

Ambivalenzen<br />

1. Unlängst ist im Entwurf zur Neuordnung<br />

des saarländischen Naturschutzgesetzes ein<br />

Passus aufgenommen worden, in dem eine<br />

„Rückbesinnung“ des „verstaatlichten Naturschutzes“<br />

auf die historische Wurzel des<br />

Naturschutzes im „Heimatschutz“ gefordert<br />

wird (Regierung des Saarlandes 2004). Die<br />

Verlagerung des Naturschutzes auf die kommunale<br />

Ebene, die in aller Regel nicht zur<br />

Stärkung des Naturschutzes „vor Ort“ führt,<br />

wird in diesem Entwurf mit dem Konzept<br />

der Heimatpflege verknüpft, das seine Ursprünge<br />

im 19. Jh. hat (s. Abschnitt II). Der<br />

Ausdruck „Rückbesinnung“ suggeriert „zu<br />

Unrecht vergessene, gute Traditionen“. Diese<br />

Suggestion wäre historisch irreführend<br />

(s. Abschnitt II). Die Forderung nach Rückbesinnung<br />

erscheint daher auf den zweiten<br />

Blick eher geschichtsvergessen.<br />

Weiter heißt es im Entwurf, der Naturschutz<br />

solle „als Angelegenheit der dörflichen<br />

Gemeinschaft (= Heimatpflege)“ betont<br />

werden. Auch die Rede von „dörflicher<br />

Gemeinschaft“ ist nach langjähriger Transformation<br />

der Dorfstrukturen erstaunlich.<br />

Die prosaischen Realitäten im ländlichen<br />

Raum, in dem es um Standortwettbewerb,<br />

Gewerbesteuern, Baugebiete, Anbindungen<br />

an Oberzentren etc. geht, stehen quer zum<br />

Begriff einer dörflichen Gemeinschaft. Auch<br />

der ländliche Raum, so darf man mehr als<br />

hundert Jahre nach Ferdinand TÖNNIES’<br />

„Gemeinschaft und Gesellschaft“ (1887<br />

bzw. 1979) wohl sagen, ist mittlerweile zur<br />

Gesellschaft geworden. Was also könnten<br />

die Motive sein, aufgrund derer Naturschutz,<br />

dörfliche Gemeinschaft und Heimatpflege<br />

erneut in eine konzeptionelle Beziehung<br />

gebracht werden, wenn es andere Motive<br />

gewesen sein sollten als die ideologische<br />

Verbrämung der realpolitischen Schwächung<br />

des Naturschutzes?<br />

2. Seit einiger Zeit wird auch in der<br />

Naturschutztheorie wieder verstärkt über<br />

Heimatschutzargumente diskutiert. Seit vier<br />

Jahren veranstalten Reinhard Piechocki,<br />

Thomas Potthast und ich eine Sommerakademie<br />

zu Grundfragen des Naturschutzes<br />

auf der Insel Vilm. Auch Ulrich Eisel hat<br />

bei deren Entstehung mitgewirkt. Unser erstes<br />

Thema war anno 2001 „Heimat“. Aus<br />

dieser ersten Sommerakademie ging ein<br />

Thesenpapier hervor (PIECHOCKI et al.<br />

2003), das ich selbst letztlich nicht unterschreiben<br />

mochte, obwohl die Thesen neben<br />

Stilisierungen, die größtenteils der<br />

Thesenform anzulasten sind, auch viel politisch<br />

Richtiges enthalten. So heißt es in den<br />

Vilmer Thesen in wünschenswerter Klarheit<br />

(These 11), der Naturschutz des 21.<br />

Jahrhunderts brauche einen reflektierten und<br />

neuen, demokratiefähigen Umgang mit dem<br />

Thema „Heimat“. Heimat ist ein „unvermeidbares<br />

Thema“, so eine andere der Vilmer<br />

Thesen. Da auch der Sachverständigenrat<br />

für Umweltfragen (SRU) die Bedeutung<br />

sog. eudaimonistischer Argumente für<br />

Naturschutzbegründungen betont (SRU<br />

2002, S. 17 ff.), kann man das Heimatthema<br />

nicht vermeiden oder tabuisieren.<br />

Gelegentlich wird in bester Absicht vorgeschlagen,<br />

das belastete (Reiz-)Wort „Heimat“<br />

durch das unverfänglichere Wort „Bioregionalismus“<br />

(oder auch „bioregionale<br />

Identität“) zu ersetzen. Aber die Auswechslung<br />

von Worten löst keine begrifflichen<br />

und normativen Probleme. Der Heimatbegriff<br />

ist mit dem Neologismus „Bioregion“<br />

nicht gleichbedeutend. Wertkonservative<br />

haben im Kontext des CDU-Parteitages im<br />

Dezember 2004, auf dem das Thema „Patriotismus“<br />

in den Mittelpunkt einer sog.<br />

„Wertedebatte“ gerückt wurde, nicht zu<br />

Unrecht geltend gemacht, Heimat sei mehr<br />

„als Frau Künasts Biogurken“. Die Plakate<br />

des Bundesministeriums für Verbraucherschutz,<br />

Ernährung und Landwirtschaft<br />

(BMVEL) („bio + regional = optimal“)<br />

wären aus dieser Sicht daher eine Verkürzung<br />

des Heimatbegriffs. Wer diese Verkürzung<br />

beklagt, muss sich aber (auch<br />

angesichts entsprechender Äußerungen des<br />

sächsischen Ministerpräsidenten Georg<br />

Milbradt kurz nach seiner Wahl) die Frage<br />

gefallen lassen, welche Bestimmungsmomente<br />

zum Heimatbegriff zählen sollen.<br />

Andere machen geltend, sie ließen sich ihre<br />

positiven Heimatgefühle nicht durch alte<br />

und neue „Missbräuche“ schlecht machen.<br />

Dass beispielsweise die NPD gegenwärtig<br />

den Heimatbegriff aufgreift und ihn offensiv<br />

in ihrem Sinne verwendet, könne und<br />

dürfe für Demokraten nicht Grund genug<br />

sein, ihn nicht mehr zu verwenden. Ich akzeptiere,<br />

dass es nicht „Grund genug“ ist,<br />

füge aber hinzu, dass wir angesichts der<br />

Begriffsgeschichte Heimatargumente nur<br />

noch auf historisch und politisch reflektierte<br />

Weise verwenden dürfen (s. Abschnitt II).<br />

Niemand steht dem Thema „Heimat“ teilnahmslos<br />

gegenüber. 1 Dies zeigte sich auch<br />

an den Reaktionen auf die Vilmer Thesen (s.<br />

Leserzuschriften zu den Vilmer Thesen<br />

2003), die äußerst heterogen waren und bis<br />

hin zu giftigen Angriffen auf die Autoren<br />

als naturschutzfeindliche „Demokratie-Ideologen“<br />

reichten (so Reinhard Falter). Für<br />

manche Kommentatoren der Thesen repräsentiert<br />

der Heimatbegriff nur die „Liebe<br />

zur engeren Umgebung“, andere forderten<br />

seine „Entstaubung“ oder eine Wiederbelebung<br />

des Heimatkundeunterrichts in den<br />

Grundschulen. Heimat sei, so ein bezeichnender<br />

Kommentar, „ein schöner Begriff,<br />

der das Herz anspricht“. Heimatliebe scheint<br />

in der Tat eines der unschuldigsten Gefühle<br />

überhaupt zu sein, das man keinem übel<br />

nehmen kann und das sich keiner nehmen<br />

lassen muss. „Heimat“ im Sinne lebensweltlicher<br />

Geborgenheit ist gewiss etwas,<br />

das Kinder als Grundlage von Weltzuwendung<br />

und -entdeckung benötigen. 2 Der<br />

oft dargelegte Zusammenhang von Heimat<br />

und Kindheit verleiht dem Heimatbegriff<br />

etwas Rührendes, verbunden mit dem Gefühl<br />

eines unwiederbringlichen Verlustes,<br />

da in die Kindheit kein Weg zurückführt. Es<br />

1 Dies gilt auch für den Autor. Ich werde in<br />

diesem Aufsatz daher auch häufig ungeschützter<br />

werten, als dies für Philosophen<br />

normalerweise angezeigt ist.<br />

2 Es existieren belastbare Studien, die belegen,<br />

dass selbst in ländlichen Gegenden eine<br />

naturnähere Umgebung förderlich für die<br />

kindliche Entwicklung ist (WELLS &<br />

EVANS 2003). „The data herein suggest that<br />

there is little ‚ceiling effect’ with respect to<br />

the benefits of exposure to the natural<br />

environment. Even in a setting with a relative<br />

abundance of green landscape, more appears<br />

to be better when it comes to bolstering<br />

children’s resilience against stress or<br />

adversity“ (ebd., S. 327).

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