Druck - Deutscher Rat für Landespflege
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elichtet geblieben: In meinen eigenen frühen<br />
Arbeiten (OTT 1993), bei Dietmar von<br />
der PFORDTEN (1996) und bei Martin<br />
GORKE (1999) kommen Heimatargumente<br />
gar nicht vor. Angelika KREBS (1999, S. 55<br />
f.) ignoriert bei ihrer knappen Behandlung<br />
des Heimat-Arguments die Geschichte des<br />
Heimat- qua Naturschutzes. Für KREBS<br />
sind Heimatgefühle mit der Herkunftsidentität<br />
von Personen verbunden: „Understanding<br />
yourself in terms of a native<br />
landscape is a common form of expressing<br />
individuality“ (ebd., S. 55 f.). Eine bedeutende<br />
Rolle scheint das Heimat-Argument<br />
auch bei Krebs nicht zu spielen. Allerdings<br />
wuchsen Philosoph/-innen, die sich in den<br />
1980er Jahren für Umweltethik interessierten,<br />
in intellektuellen Milieus auf, in denen<br />
die Heimat-Thematik kaum behandelt wurde.<br />
MEYER-ABICH (1998, S. 402 f.) behandelt<br />
das Thema im Kontext der Frage<br />
nach einer möglichen neuen Sesshaftigkeit.<br />
Es geht Meyer-Abich um die Fähigkeit, sesshaft<br />
werden zu können. Dies trifft sich mit<br />
Rudorffs Idee, wonach jeder Mensch lernen<br />
müsse, sich irgendwo zu Hause zu fühlen (s.<br />
o.). Heimat ist in diesem Sinne nichts Vorgegebenes,<br />
sondern etwas Aufgegebenes.<br />
3. In der US-amerikanischen Umweltethik<br />
existiert die sog. „ethics of place“<br />
(BERTHOLD-BOND 2000). Besonders die<br />
Naturauffassung der „First Nations“ wird<br />
als Paradigma für eine spirituelle und<br />
teilweise implizit ökozentrische „ethics of<br />
place“ betrachtet. Einige First-Nations-Autoren<br />
vertreten die Auffassung, man müsse<br />
sehr lange an bestimmten Orten verweilen<br />
und sich gleichsam auf den Ort selbst einlassen,<br />
damit der Geist des Landes sich ihnen<br />
mitteilt. In bedeutenden First-Nation-Romanen<br />
wie etwa „House made of Dawn“<br />
von Scott MOMADAY (1968), „Ceremony“<br />
von Leslie SILKO (1977) und „Whispering<br />
in Shadows“ von Jeanette ARMSTRONG<br />
(2000) ist es immer der Held bzw. die Heldin,<br />
die nach Aufenthalten in der moralisch korrupten<br />
Welt der Weißen und ihrer destruktiven<br />
Kultur, die auf „stolen land“<br />
(SILKO) errichtet wurde, zu ihrem Stamm<br />
und zu ihrem Land zurückkehren. Besonders<br />
intensiv ist hier das Gefühl, durch die Landnahme<br />
der Weißen entrechtet worden zu<br />
sein. So erzählt SILKO von der Zeit, als die<br />
Weißen die Bergwälder abholzten und die<br />
lokale Großfauna dezimierten oder ausrotteten:<br />
„And it was then the Laguna people<br />
understood that the land had been taken,<br />
because they couldn’t stop these white people<br />
from coming to destroy the animals and the<br />
land“ (1977, S. 186). Den Protagonisten<br />
dieser Romane stellt sich auch die Frage, ob<br />
das von den Weißen definierte Reservat<br />
Heimat sein kann. Die „ethics of place“ und<br />
auch der verwandte, aber weniger spirituelle<br />
„bioregionalism“ verstehen sich als kritisch<br />
gegenüber der kapitalistischen und<br />
„weißen“ Globalisierung. Ihre Protagonisten<br />
bemühen sich um eine „ökologische“<br />
panamerikanische Allianz indigener<br />
Ethnien. Bei BERTHOLD-BOND (2000,<br />
S. 19) findet sich allerdings auch mit einem<br />
Verweis auf die deutsche Konzeption von<br />
„Blut und Boden“ die berechtigte Warnung<br />
vor einer isolierten „ethics of place“, die<br />
sich von der allgemeinen Moralität loslöst:<br />
„Thus, any philosophy of place must place<br />
itself within an ethics“. Diese Einsicht erscheint<br />
mir unhintergehbar. Genau in diesem<br />
Sinne der notwendigen Einbettung<br />
müssen Heimat-Argumente ihren angemessenen<br />
Platz innerhalb einer die Nachhaltigkeitstheorie<br />
umfassenden Umweltethik<br />
und einer allgemeinen (Diskurs-)Ethik<br />
finden.<br />
4. Der Argumentationsraum der Umweltethik,<br />
so wie ich ihn verstehe (OTT 1999),<br />
enthält sämtliche Begründungsmuster, die<br />
zugunsten von Naturschutz einschließlich<br />
von Tier- und Umweltschutz vorgebracht<br />
werden können. Da die Gründe ausnahmslos<br />
kritisch geprüft werden, findet eine vorgängige<br />
Zensur und Ausgrenzung von Argumenten<br />
nicht statt. Es ist daher (umwelt-)<br />
ethisch zulässig, Heimat-Argumente als einen<br />
Typus eudaimonistischer, d. h. auf ein<br />
gutes und gelingendes menschliches Dasein<br />
bezogener Argumente in den übergreifenden<br />
Argumentationsraum der Umweltethik<br />
einzubetten (s. auch SRU 2002, S. 18). In<br />
diesem Sinne bin auch ich für eine<br />
„Enttabuisierung“. Das Heimatthema lässt<br />
sich nicht tabuisieren, sondern bedarf der<br />
Läuterung durch Einfügung in übergreifende<br />
umwelt- und allgemeinethische Begründungszusammenhänge.<br />
IV Aspekte bzw. Stufen des<br />
Heimatbegriffs<br />
Heimat ist „a multi level structure“<br />
(TUCKER 1994), in die wir verschiedene<br />
„single level homes“ integrieren müssen.<br />
Mindestens fünf Aspekte bzw. Stufen des<br />
Heimatbegriffs lassen sich unterscheiden:<br />
1. Herkunfts-Heimat<br />
2. Wahl-Heimat<br />
3. Heimat als „Beieinander-Sein“<br />
4. geistige Heimat<br />
5. Heimat als utopischer Sehnsuchtsbegriff.<br />
Dass der Begriff der Heimat durch diese<br />
Differenzierung pluralisiert wird, also jeder<br />
Mensch mehrere Heimaten haben kann (und<br />
29<br />
sollte), empfinde ich als vorteilhaft. Man<br />
kann geteilter Meinung sein, ob es sich<br />
hierbei um gleichberechtigte Aspekte oder<br />
um wertbesetzte Stufen handelt. Der Ausdruck<br />
„Aspekte“ ist unverfänglicher. Unter<br />
dem Kriterium „geistige Freiheit“ handelt<br />
es sich um Stufen.<br />
1. Herkunfts-Heimat als Kontingenz. Jede(r)<br />
ist zufällig da und dort geboren und aufgewachsen.<br />
In die Herkunftsheimat wird man<br />
ohne eigenen Verdienst oder eigenes Verschulden<br />
„geworfen“. Die Kontingenz der<br />
Natalität ist radikal. Herkunftsheimat ist ein<br />
deskriptiver und indexikalischer Begriff:<br />
Man stammt „von dort“. Herkunftsheimat<br />
ist ein Teil einer nicht begrifflich identifizierbaren,<br />
sondern nur narrativ einholbaren<br />
Individualität. 22 Der Psychoanalytiker Paul<br />
Parin sagt zu Recht, eine zu enge Verbindung<br />
von Herkunftsheimat mit persönlicher<br />
Identität sei in psychoanalytischer Hinsicht<br />
als „Plombe“ zu verstehen, d. h. als ein<br />
Substitut für mangelndes Selbstwertgefühl<br />
(PARIN 2001). Mit Hilfe der Unterscheidung<br />
zwischen „ascription“ (Zuschreibung)<br />
und „achievement“ (Leistung) kann man<br />
sich den Gedanken Parins verdeutlichen: Je<br />
weniger Selbstwertgefühl jemand aus<br />
„achievements“ ziehen kann, um so wichtiger<br />
werden positiv besetzte „ascriptions“,<br />
die einem keiner nehmen kann. Wenn das<br />
Gefühl des Stolzes, begrifflich betrachtet,<br />
etwas mit eigener Leistung zu tun hat, 23 so<br />
ist es psychologisch nicht verwunderlich,<br />
dass die, die nur wenige eigene Leistungen<br />
vorzuweisen haben, stolz darauf sind, Deutsche<br />
zu sein. Aber darauf „kann“ man im<br />
Grunde so wenig stolz sein wie darauf, dass<br />
man in Frankfurt und nicht in Hanau geboren<br />
wurde. Die Herkunftsheimat ist die Heimat<br />
„an sich“, nicht aber notwendigerweise<br />
auch die Heimat „für mich“ oder gar „für<br />
uns“. Sie ist gleichsam ein Anfang, dem ein<br />
Zauber innewohnt. Ihre Verabsolutierung<br />
wird jedoch zu einem latent bösen Bann, der<br />
viele Menschen, für die die Herkunftsheimat<br />
gleichsam ihr „Ein und Alles“ ist, so borniert<br />
und dumpf wirken lässt.<br />
2. Wahl-Heimat: Hier nun ist Heimat überall,<br />
wo es besser zu leben ist als dort, wo man<br />
21 Allerdings gibt es in Ostdeutschland auch<br />
Verbände wie den „Heimatbund Pommern“<br />
und den „Märkischen Heimatbund“, die zum<br />
rechtsradikalen Spektrum gehören.<br />
22 Darauf haben Paul Ricoeur, Alasdair<br />
MacIntyre und Angelika Krebs hingewiesen.<br />
23 Deshalb sollte man übrigens nicht stolz auf<br />
die Leistungen der eigenen Kinder sein, sondern<br />
sich über sie freuen.