Druck - Deutscher Rat für Landespflege
Druck - Deutscher Rat für Landespflege
Druck - Deutscher Rat für Landespflege
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
63<br />
sowjetischen Truppen zu besetzen. Die Leute<br />
der ersten Stunde wanderten ein, besiedelten<br />
die Gebäude, zogen Zäune um das Gelände<br />
und schufen Tatsachen. Die Gründung<br />
eines Vereins, die rechtliche Klärung<br />
ihrer Nutzungsvorstellungen und ihres Status<br />
als Pächter bzw. Besitzer der Flächen<br />
wurden erst im Nachgang vollzogen. In den<br />
Folgejahren kam es zur Ausweisung der<br />
oben erwähnten Schutzgebiete. Die Döberitzer<br />
Heide wurde bald zu einem der<br />
wichtigsten Standorte des Vertragsnaturschutzes<br />
in Brandenburg – eine Offenhaltung<br />
von Heidebiotopen und Feuchtwiesen<br />
mit Schafen und Rindern stand dabei<br />
im Mittelpunkt, zugleich wurden Wälder,<br />
die über 100 Jahre nicht genutzt worden<br />
waren, unter strengen Schutz gestellt. Wer<br />
nun noch mit seinen Ideen daher kam, hatte<br />
es schwer: Alle, die später Interessen an der<br />
Döberitzer Heide geltend machten, wurden<br />
von den Pionieren als „die Leute“ zu einer<br />
unqualifizierten Mehrheit zusammengefasst,<br />
die weder etwas von der Wirklichkeit des<br />
Platzes verstünde noch etwas zu melden<br />
hätte.<br />
Die starke Handlungsorientierung ist für<br />
Pioniere typisch: Sie schaffen Tatsachen.<br />
Pioniere beweisen eine sehr hohe Selbstorganisationsfähigkeit.<br />
Sie sind ausreichend<br />
handwerklich versiert, um der Flächen Herr<br />
zu werden, sind erfinderisch und äußerst<br />
wehrhaft – wer ihnen das Land, das sie sich<br />
genommen haben, streitig machen will, muss<br />
zumindest im direkten Kontakt gut gewappnet<br />
sein.<br />
Was die Naturschützer in der Döberitzer<br />
Heide sind, sind die Förster am südöstlichen<br />
Truppenübungsplatz Lieberose. Obwohl<br />
auch hier beizeiten eine naturschutzfachliche<br />
Bearbeitung des Platzes mit hohem Engagement<br />
einsetzte (BEUTLER 2000), haben<br />
die Förster hier eine durch die vormalige<br />
Militärforstverwaltung günstige Ausgangsbedingung<br />
gehabt – eine solche Vorgeschichte<br />
fehlte in der Döberitzer Heide. Der<br />
riesige Platz ist in Reviere eingeteilt, die<br />
Revierleiter kennen die Flächen und betreten<br />
sie regelmäßig. Auch ihnen wird von<br />
anderen Akteuren hohe Eigenmächtigkeit<br />
attestiert. Für Naturschützer ist es schwierig,<br />
mit Forderungen, die von der forstlichen<br />
Praxis der Förster abweichen, auf der Fläche<br />
Fuß zu fassen – es ist wie bei Hase und Igel,<br />
der Förster war immer schon vorher da, weil<br />
er – im Gegensatz zu den anderen –<br />
mindestens zweimal da ist.<br />
Die Stärke der Pioniere – ihre praktische<br />
Überlegenheit – ist zugleich ihre größte<br />
Schwäche. Denn was sie vor Ort anderen<br />
Nutzern an Vertrautheit, Wissen und Entschlossenheit<br />
voraushaben, fehlt ihnen im<br />
sozialen Umfeld und in übergeordneten<br />
Strukturen an Wendigkeit, politischer<br />
Abb. 3: Weg durch eine Sukzessionsfläche auf dem ehemaligen Truppenübungsplatz Lieberose. Die<br />
Fahrspuren der Soldaten werden heute von zahlreichen Pionieren bei der Eroberung der Flächen<br />
genutzt (Foto: K. Anders).<br />
Durchsetzungsfähigkeit und ziviler Sicherheit.<br />
Pioniere pflegen meist nur einen beschränkten<br />
Kontakt „nach draußen“ oder<br />
„oben“, die Naturschützer suchen sich z. B.<br />
Verbündete im Landesumweltministerium,<br />
die Förster in den entsprechenden Forstbehörden.<br />
Eine eigenständige Vermittlung<br />
ihrer Interessen im sozialen und politischen<br />
Raum fällt ihnen dagegen schwer. Dadurch<br />
kommt es leicht dazu, dass zu einem späteren<br />
Zeitpunkt der Besiedlung andere Interessen<br />
übermächtig werden und sie zusehen<br />
müssen, wie an Tischen, an denen sie selbst<br />
nicht mehr sitzen, über ihr Schicksal verhandelt<br />
wird. Probleme, die zunächst beinahe<br />
irrelevant schienen – z. B. das Eigentum an<br />
der Fläche oder die Stimmungslage in der<br />
Anwohnerbevölkerung oder bei entfernten<br />
politischen Eliten – gewinnen plötzlich an<br />
Bedeutung. So mussten die Naturschützer<br />
in der Döberitzer Heide den Verkaufsverhandlungen<br />
für „ihren“ Truppenübungsplatz<br />
ohne Vetorecht zusehen und können<br />
nur hoffen, dass ihrer zehnjährigen Arbeit<br />
im Ergebnis eine Bedeutung beigemessen<br />
wird. Und auch die Förster in Lieberose<br />
verlieren ihren strategischen Vorteil in dem<br />
Maße, wie andere Gruppen an anderer Stelle<br />
die Karten sichten und ihre Interessen<br />
vertreten. Beide Pioniergruppen haben nur<br />
eine Chance – sie müssen sich mit den<br />
späteren Besiedlern arrangieren.<br />
Allerdings trifft dieses Stärken-Schwächen-<br />
Verhältnis nur auf die großen, mehrere tausend<br />
Hektar großen Truppenübungsplätze<br />
in dieser Weise zu. Bei kleinen Flächen sind<br />
lokale Pioniere oftmals durchaus in der Lage,<br />
ihre Nutzung dauerhaft zu etablieren. So<br />
erwarb der Landschaftsförderverein Nuthe-<br />
Nieplitz kurzerhand den 160 ha großen<br />
Übungsplatz Glau bei Trebbin und richtete<br />
ein Wildgehege darauf ein, auf dem das<br />
Wild zugleich der Offenhaltung und dem<br />
Anlocken von Besuchern gilt (Abb. 4). Die<br />
Chancen, sich mit dieser Entscheidung dauerhaft<br />
etabliert zu haben, sind sehr groß.<br />
Und im sächsischen Biosphärenreservat<br />
Oberlausitzer Heide- und Teichlandschaft<br />
leitete ein zähes Akteursensemble aus Naturschützern,<br />
Verwaltern, Wissenschaftlern und<br />
Enthusiasten ein neuartiges Offenhaltungsexperiment<br />
auf einer ähnlich großen Fläche<br />
ein – hier stehen seit einiger Zeit Elche im<br />
Weidengehölz, fegen die Kiefern und erfreuen<br />
sich zugleich großer öffentlicher<br />
Beliebtheit (Abb. 5). Je kleiner die Flächen<br />
sind, umso leichter ist es, die nötigen finanziellen<br />
Mittel für ihre Sicherung, ggf. für<br />
ihre Entmunitionierung und für die dauerhafte<br />
Etablierung einer Nutzung zu mobilisieren.<br />
Man führe sich dagegen die Aufgabe<br />
vor Augen, ein 4.000 ha großes Naturschutzgebiet<br />
mit prekärer Munitionsbelastung auch<br />
nur einzuzäunen – schnell wird so verständlich,<br />
warum Pioniere es schwer mit großen<br />
Flächen haben.<br />
c) Auf ins gelobte Land! –<br />
Folgebesiedlungen<br />
Das Pionierphänomen ist nicht nur von der<br />
Besiedlung unbebauter Flächen bekannt. Auf<br />
ähnliche Weise besetzen neue Milieus heruntergekommene<br />
Quartiere in den Städten<br />
und machen sie für andere Nutzer attraktiv.<br />
Für Kolonisierungsprozesse ist typisch, dass