Druck - Deutscher Rat für Landespflege
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grund einer individuellen Biographie und<br />
der sozialen Dimension der Person-Ort-<br />
Wechselbeziehung beurteilt werden (vgl.<br />
FREDERICKSON & ANDERSON 1999).<br />
Der beschriebene semantische Abstand<br />
zwischen der „bösen, bedrohlichen“<br />
Verbrachung und der „guten“ Wildnis könnte<br />
auch aus dem Bild „wilder Natur“, welches<br />
uns die Medien vermittelt, resultieren.<br />
Printmedien sowie Funk und Fernsehen<br />
konfrontieren ihre Konsumenten mit einer<br />
stereotypen Vorstellung von Wildnis. Nach<br />
STREMLOW & SIDLER (2002), die<br />
Wildnisbilder in zahlreichen deutschschweizer<br />
Printmedien sowie Romanen und<br />
Erzählungen untersuchten, wird Wildnis in<br />
der Regel als eine menschenleere, unberührte<br />
Landschaft beschrieben. In den Tageszeitungen,<br />
die eine besonders breite<br />
Bevölkerungsschicht erreichen, kann Wildnis<br />
auch auf einen Ort der Abenteuer, Sehnsüchte<br />
und des Rückzugs aus dem Alltag<br />
verweisen. Wildnis ist nach den erwähnten<br />
Autoren jedoch fast nie Raum der Angst<br />
oder des Schreckens. Sie ist das räumlich<br />
konkretisierte Erscheinungsbild von dynamischer<br />
Natur, in der sich Vorstellungen<br />
von Ursprünglichkeit und Zivilisationsferne<br />
verorten lassen. Es ist erstaunlich, wie sehr<br />
das Ergebnis von STREMLOW & SIDLER<br />
mit den Erkenntnissen der Bevölkerungsbefragung<br />
in Premosello, Colloro und<br />
Malesco koinzidiert.<br />
Die überwiegend positive Wahrnehmung<br />
der Wildnis des Val Grande seitens der<br />
befragten Bewohner dürfte demnach hauptsächlich<br />
von den folgenden Faktoren geprägt<br />
sein: durch die räumliche Distanz von<br />
Siedlung und Wildnisbereich, durch medial<br />
vermittelte, geistesgeschichtliche Ideen sowie<br />
durch die jeweilige persönliche Lebensgeschichte.<br />
73<br />
kaum jemand dieses Phänomen. Doch heute,<br />
wo Gehölze die ehemaligen Nutzflächen<br />
einnehmen und die Dörfer wie Inseln aus<br />
einem dichten Buschmeer ragen (Abb. 8),<br />
stellen Waldbrände eine wachsende Gefahr<br />
für die Siedlungen dar. Das letzte Großfeuer,<br />
das im Februar des Jahres 1991 ausgebrochen<br />
war, hatte bereits zwei Wohnhäuser<br />
in Mitleidenschaft gezogen. Ein<br />
Befragungsteilnehmer verlieh seiner Sorge,<br />
dass es im Zuge der Nutzungsaufgabe zu<br />
vermehrten Busch- und Waldbränden kommen<br />
könnte, dadurch Nachdruck, dass er<br />
forderte: „Die Wege sollen freigeschnitten<br />
werden! Die Leute, die um Colloro Wiesen<br />
besitzen, sollen diese wenigstens ein Mal<br />
pro Jahr mähen, da sonst Brände drohen!“.<br />
Mehrfach wurden auch Befürchtungen hinsichtlich<br />
der Verdämmung von Bachläufen<br />
und ihrer Folgen sowie von Murenabgängen,<br />
die zu Schäden an den Terrassen und am<br />
Straßen- und Wegenetz führen könnten,<br />
geäußert. So verlangte ein älterer Befragungsteilnehmer<br />
aus Colloro eine „bessere<br />
Säuberung und Instandhaltung der Straßen<br />
sowie die Säuberung der Bachläufe,<br />
damit das Wasser zu Tal fließen kann, ohne<br />
Schäden zu verursachen“. Zu Straßenschäden<br />
kommt es oft auf folgende Weise:<br />
Unter der Straßensohle verlaufen in unregelmäßigen<br />
Abständen Durchlässe für die<br />
quer zur Straße fließenden Bergbäche. Bei<br />
Starkregen führen diese Wasserläufe eine<br />
große Menge Treibgut, abgebrochene Äste,<br />
Falllaub und Geröll mit sich. Dieses Material<br />
verstopft regelmäßig die Durchlassrohre,<br />
so dass das Gewässer angestaut wird, über<br />
die Ufer tritt und die Asphaltdecke unterspült.<br />
Nach Auskunft der Einheimischen<br />
wurden die Fließgewässer zu Zeiten, als die<br />
Landschaft noch land- und forstwirtschaftlich<br />
genutzt war, regelmäßig kontrolliert<br />
und von Treibgut befreit.<br />
Auf Grund von Abwanderung und Nutzungsaufgabe<br />
wird die Landschaft als zunehmend<br />
unattraktiv empfunden. So wird<br />
Colloro von einem Drittel der Befragten<br />
zwischen 31 und 60 Jahren im Vergleich zu<br />
früher als „ungepflegt“ und „vergessen“<br />
beschrieben. Viele Bewohner fühlen sich<br />
von politischer Seite im Stich gelassen und<br />
sind unzufrieden darüber. Allerdings ergreifen<br />
sie kaum Eigeninitiative, um ihre<br />
Situation zu ändern. Vielmehr scheinen sie<br />
sich einem vermeintlich „unausweichlichen“<br />
Schicksal zu ergeben. Noch deutlicher als in<br />
Colloro ist diese Einstellung im oberen<br />
Stronatal zu beobachten, wo sich die<br />
Bevölkerungsstruktur von Piana di Forno<br />
und Campello Monti auf Grund des<br />
Entsiedelungsprozesses grundlegend gewandelt<br />
hat: In den Sommermonaten dominieren<br />
die Besitzer von Ferienhäuser zahlenmäßig<br />
über die Dorfbewohner. Die Erfahrung<br />
der Abwanderung von Familienmitgliedern,<br />
Verwandten und Nachbarn, der<br />
Zusammenbruch einer vertrauten Lebensform<br />
und der damit verbundenen Werte<br />
sowie der fortschreitende Verfall der umgebenden<br />
Landschaft stellen für die einheimische<br />
Bevölkerung ein traumatisches Erlebnis<br />
dar, das diese Menschen tief geprägt hat.<br />
Dies drückt sich in einer resignativen, pessimistischen<br />
Grundstimmung aus, die<br />
zukunftsorientierten Initiativen im Weg<br />
steht. Die Menschen fühlen sich allein gelassen<br />
und vergessen. Sie erwarten von der<br />
Zukunft keine Verbesserung. Es dominiert<br />
ein allgemeines Gefühl der Marginalisierung<br />
und Benachteiligung, wie es für viele Berggebiete<br />
kennzeichnend ist (REVELLI 1977,<br />
1985, BÄTZING 1990, CAMANNI 2002).<br />
Auswirkungen ungelenkter<br />
Landschaftsentwicklung für die<br />
lokale Bevölkerung<br />
Psychologische Effekte<br />
Die Erfahrungen mit Brand-, Überschwemmungs-<br />
und Murenereignissen rufen in der<br />
Bevölkerung Zukunftsängste hervor<br />
(HÖCHTL et al. 2005b). So fürchtet man in<br />
Colloro die immer wiederkehrenden Waldbrände,<br />
die besonders während der niederschlagsarmen<br />
Wintermonate in den südexponierten<br />
Sukzessionsflächen entstehen.<br />
Sie werden vom Nordföhn entfacht, der die<br />
Berghänge austrocknet. In Windeseile breiten<br />
sich die Feuer aus und verschlingen<br />
alles, was sich ihnen in den Weg stellt. Zu<br />
Zeiten, als die Dörfer noch in eine gepflegte<br />
Kulturlandschaft eingebettet waren, kannte<br />
Abb. 8: Colloro (523 m) versunken im Waldmeer. Sukzessionsgehölze kommen bis dicht an die<br />
Dorfgrenzen (Foto: B. Burkart).