Druck - Deutscher Rat für Landespflege
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Schr.-R. d. Deutschen <strong>Rat</strong>es für <strong>Landespflege</strong> (2005), Heft 77, S. 55-58<br />
55<br />
Sylvia Greiffenhagen<br />
Politische Kulturlandschaften<br />
Der Titel „Politische Kulturlandschaften“ 1<br />
verbindet zwei Begriffe, die normalerweise<br />
nicht zusammengebracht werden, weder<br />
umgangssprachlich noch im wissenschaftlichen<br />
Kontext, nämlich „politische Kultur“<br />
und „Landschaft“ bzw. „Kulturlandschaft“.<br />
Und doch beschreibt dieser seltene Begriff<br />
ein Phänomen, das uns allen vertraut ist und<br />
bei Betrachtungen über Landschaft und<br />
Heimat nicht fehlen darf. Landschaften oder<br />
Heimat-Regionen sind nämlich nicht<br />
lediglich durch bestimmte Erscheinungsformen<br />
von Flora und Fauna, durch Berge,<br />
Täler, Seen und Flüsse oder besondere Gebäude<br />
geprägt, sondern ebenso auch durch<br />
politische Kulturen. Fürs Erste übersetze<br />
ich diesen Begriff aus der Politikwissenschaft<br />
einfach mit dem gängigen Wort „Politische<br />
Mentalität“, und jeder hat eine<br />
Alltagsvorstellung davon, was damit gemeint<br />
ist: der „schwäbische oder Badener<br />
Charakter“, „westfälische Sturheit“, „hanseatischer<br />
Dünkel“. Alles Klischees?<br />
Kein Heimat- und Landschaftsforscher wird<br />
ernsthaft bezweifeln, dass es bestimmte<br />
Kulturen und Mentalitäten, Denkstrukturen,<br />
Grundüberzeugungen und Verhaltensmuster<br />
gibt, die in manchen Gegenden häufiger<br />
oder in stärkerer Ausprägung vorkommen<br />
als anderswo. Politische Kultur ist ein Bestandteil<br />
der allgemeinen, gewachsenen<br />
Kultur, der sich auf Politik bezieht, d. h. auf<br />
die Regelung des öffentlichen Lebens, auf<br />
die Verteilung von Einfluss und Macht, auf<br />
Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozesse.<br />
„Ortstypisch“ sind nicht nur<br />
Landschaftsgestalten, Siedlungs- und<br />
Produktionsformen, die Mundart, Ess- und<br />
Trinksitten einer Gegend und ihrer Bewohner,<br />
sondern auch die prägenden politischen<br />
Strukturen und bestimmte Formen des politischen<br />
Prozesses. Nachdenken über Landschaft<br />
und Heimat muss aus diesem Grund<br />
stets auch bedeuten, sich der politischen<br />
Vorstellungen und Werthaltungen der Menschen<br />
im jeweiligen Untersuchungsgebiet<br />
zu vergewissern, sie in ihrem historischen<br />
Gewordensein zu verstehen und zu fragen,<br />
weshalb sie – ungeachtet gesellschaftlicher<br />
Wandlungsprozesse – bis in die Gegenwart<br />
fortbestehen, unter welchen Bedingungen<br />
sie sich in welchen Zeiträumen auflösen<br />
können, vor allem aber: welche Effekte sie<br />
auf den politischen Meinungsbildungs- und<br />
Entscheidungsprozess der Gegenwart haben.<br />
Zu fragen wäre schließlich natürlich –<br />
wie im Ankündigungstext zur Tagung Landschaft<br />
und Heimat formuliert –, welche<br />
Handlungsoptionen für den Umgang mit<br />
Heimatlandschaft aus Erkenntnissen zur<br />
politischen Kulturlandschaft resultieren.<br />
Ich kann und werde keine Antworten auf<br />
diese Fragen liefern. Es erscheint mir aber<br />
sinnvoll, mein Fach in den interdisziplinären<br />
Diskurs über Landschaft und Heimat<br />
erst einmal einzubringen – ohne noch zu<br />
wissen, ob dieser Blickwinkel für die<br />
Gesamtsicht des Themas tatsächlich von<br />
Nutzen sein kann. Ich verwende dafür eher<br />
die Form eines kurzen Essays als eines wissenschaftlichen<br />
Aufsatzes. Forschungsfragen<br />
und entsprechende Untersuchungs-<br />
Designs müssten dann später gemeinsam<br />
festgelegt werden.<br />
Ich möchte das Thema Heimat und Landschaft<br />
also aus der Perspektive der<br />
Politikwissenschaftlerin betrachten, genauer<br />
gesagt: der politischen Kulturforscherin. Im<br />
Kreise der in diesem Heft vertretenen wissenschaftlichen<br />
Disziplinen fühle ich mich,<br />
wie schon die Bezeichnung meiner Hausdiszplin<br />
vermuten lässt, den Kulturwissenschaften<br />
sehr nahe. – Worum geht es<br />
bei der Erforschung der politischen Kultur?<br />
2<br />
Das Thema politische Kultur ist alt, so alt<br />
wie die Politik selbst. Schon in den frühen<br />
Hochkulturen finden sich Gedanken über<br />
den Zusammenhang zwischen politischen<br />
Institutionen und dem Bewusstsein der Bevölkerung.<br />
Wird das politische System von<br />
den Bürgern bejaht, und wenn, aus welchen<br />
Gründen? Finden die Herrschenden als politische<br />
Klasse Unterstützung und als Personen<br />
Vertrauen? Welche Bedeutung für das<br />
politische Leben haben Strukturen, die auf<br />
den ersten Blick als unpolitisch erscheinen,<br />
z. B. Familien- und Schulformen oder Erziehungsstile?<br />
Die moderne politische Kulturforschung<br />
entstand nach dem Zweiten Weltkrieg. Sie<br />
untersucht die „subjektive Dimension“ der<br />
Politik, indem sie nach Meinungen, Einstellungen,<br />
Werthaltungen fragt. Anders als im<br />
politischen Streit (wo man dem Freund oder<br />
Gegner politische Kultur normativ zu- oder<br />
abspricht), wird der Begriff politische Kultur<br />
in der politikwissenschaftlichen Forschung<br />
wertfrei verwendet. Man spricht zum<br />
Beispiel von der politischen Kultur der Demokratie,<br />
aber auch des Nationalsozialismus<br />
oder des Stalinismus und meint dabei<br />
jeweils ein bestimmtes Verteilungsmuster<br />
von „Orientierungen“ einer Bevölkerung<br />
gegenüber dem politischen System und politischen<br />
Prozessen. Dazu zählen auch Felder,<br />
die zunächst politikfern erscheinen wie<br />
Einstellungen zu Arbeit und Freizeit, religiöse<br />
Vorstellungen, Erziehungsziele und -<br />
stile. Nach einer Definition von Karl ROHE<br />
manifestiert sich politische Kultur einerseits<br />
als Weltbild, welches das politische Denken,<br />
andererseits als ungeschriebene Verfassung,<br />
die das öffentliche Reden und Handeln<br />
der Gruppenmitglieder konditioniere.<br />
Sie differenziert sich in politische Sozialkultur<br />
und politische Deutungskultur (1994,<br />
S. 1). Politische Kultur ist, ROHE folgend,<br />
so etwas wie eine kognitiv-normative Landkarte,<br />
die die politische Welt geistig absteckt<br />
und strukturiert (ebd., S. 14). Sie<br />
besteht aus kognitiven, normativen und ästhetischen<br />
Maßstäben, die affektiv-emotional<br />
oder rein verstandesmäßig verankert sein<br />
können. Letztlich geht es also um die für<br />
eine Gesellschaft maßgebenden grundlegenden<br />
Vorstellungen darüber, was Politik eigentlich<br />
sei, sein könne und sein solle.<br />
Kulturelle Regelungen bedürfen, so ROHE,<br />
„freilich nicht nur der ‚Verinnerlichung‘,<br />
sondern auch der ‚Veräußerlichung‘, damit<br />
sie ihre gesellschaftliche Funktion erfüllen<br />
können. Anders formuliert heißt das, dass<br />
sie auf zeichenhafte Verdeutlichung angewiesen<br />
sind und immer wieder durch Wort,<br />
Schrift, Bild und Tat in Erinnerung gerufen<br />
werden müssen. Das kann in sehr unterschiedlicher<br />
Weise geschehen, über historische<br />
Mythen, über Standbilder, Rituale,<br />
Fahnen und Feiern. Im Grunde kann alles zu<br />
1 Bei diesem Begriff handelt es sich um eine<br />
glückliche (weil aussagekräftige und dabei<br />
sprachlich sehr schöne) Neuschöpfung von<br />
Werner Konold.<br />
2 Eine ausführlichere Darstellung des Forschungsgegenstands<br />
und seiner Forschungsdesigns<br />
findet sich bei BERG-SCHLOSSER<br />
& SCHISSLER (1987), GREIFFENHAGEN<br />
& GREIFFENHAGEN (1993, 1997, 2002),<br />
ROHE (1986, 1990, 1994), WEHLING<br />
(1985, 1995).