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stereoplay 35 Jahre (Vorschau)

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Es war die Zeit, als der melodische Popsong<br />

zum Auslaufmodell wurde, überrollt von<br />

Musikmoden, die mehr auf (meist ohrenbetäubende)<br />

Soundeffekte setzten (wie Crossover<br />

oder Techno). Doch in einem kleinen<br />

britischen Dorf regte sich Widerstand...<br />

Mike Rutherford hieß dieser Asterix: Er griff<br />

gewöhnlich für Genesis in die Saiten und<br />

feilte nebenher mit den Mechanics an einem<br />

goldenen Popkonzept. „Beggar On A Beach<br />

Of Gold“ enthält einen funkelnden Ohrwurm<br />

nach dem anderen. Prädikat: zeitlos.<br />

die Firma von Todor „Toscho“ Todorovic<br />

produziert, geht mir in Bauch, Beine und<br />

Gehirn: klare Melodien, satte Gitarren und<br />

Bläser, clevere Texte. Aber kein BC-Album<br />

habe ich persönlich so oft gehört wie „The<br />

Quiet Side“ – weil diese Unplugged-Aufnahme<br />

die Tiefe und Lakonie der Band-<br />

Highlights so schön zum Ausdruck bringt.<br />

1996<br />

Pet Shop Boys: Bilingual<br />

(EMI)<br />

Sie haben Hits wie am Fließband produziert,<br />

einer geschmeidiger, zündender als der<br />

nächste („West End Girls“ „It’s A Sin“, „Go<br />

West“ etc.). Doch das Album, das ich von<br />

diesem famosen britischen Elektropop-Duo<br />

am unwiderstehlichsten fand, ist eines der<br />

weniger erfolgreichen: „Bilingual“ mit seinem<br />

Mix aus Brasil-Trommeln („Discoteca“),<br />

hymnischen Ohrwürmern („A Red Letter<br />

Day“) und Romantik („The Survivors“). Musik<br />

für alle Lebenslagen, besonders genossen<br />

habe ich „Bilingual“ bei sommerlichen<br />

Ausfahrten über die Schwäbische Alb.<br />

2002<br />

e.s.t.: Strange Place For Snow<br />

(ACT / Edel:Kultur)<br />

Meine Passion für Jazz ist 40 <strong>Jahre</strong> alt, die<br />

für Piano-Trios verhältnismäßig jung. Die<br />

traditionelleren Combos wie das klassische<br />

Bill Evans Trio habe ich mit Respekt gehört,<br />

aber ohne Feuer zu fangen. Das änderte<br />

sich schlagartig, als drei junge Schweden<br />

die Szene betraten und einen Sound zwischen<br />

Meditation und Ekstase kreierten,<br />

der seine Wurzeln im Rock nicht verbarg.<br />

Heute, fünf <strong>Jahre</strong> nach Esbjörn Svenssons<br />

Tod, gelten e.s.t. längst als stilbildend.<br />

„Strange Place For Snow“ krönt zusammen<br />

mit „Viaticum“ (2005) ihr Studio-Erbe.<br />

2002<br />

Lambchop: Is A Woman<br />

(City Slang / EMI)<br />

Die Euphorie ist ein wenig verflogen; der<br />

„Americana“-Produktionen, so authentisch<br />

sie sein mögen, werde ich zunehmend überdrüssig.<br />

Doch diesen zarten Geniestreich<br />

von Lambchop-Mastermind Kurt Wagner<br />

werde ich immer lieben: hingehauchte<br />

Alternative-Country-Balladen, die man still<br />

genießt wie delikateste Nougatpralinen.<br />

2005<br />

Kate Bush: Aerial<br />

(EMI)<br />

Was für eine ausdrucksvolle, unverwechselbare<br />

Stimme! Ihre Karriere ist so alt wie<br />

die von <strong>stereoplay</strong>: 1978 bezirzte Kate Bush<br />

die Popwelt mit „Wuthering Heights“ – und<br />

seither bin ich Fan. Immer wieder hat sie<br />

feine Alben aufgenommen, doch keines<br />

habe ich öfter gehört als „Aerial“, das sich<br />

so wohltuend Zeit nimmt für die Entwicklung<br />

seiner schönen Themen.<br />

2006<br />

Blues Company: The Quiet Side<br />

(inak / in-akustik)<br />

Wenn Jazz aus Europa mit dem US-Output<br />

mithalten kann, ihn heute gar übertrifft,<br />

warum soll das nicht auch für den Blues<br />

gelten? Ich gebe zu: Bei der Blues Company<br />

aus Osnabrück hat’s mich gepackt. Was<br />

2009<br />

Geir Lysne Ensemble: The Grieg Code<br />

(ACT / Edel:Kultur)<br />

Mein Jazz-Geschmack ist sehr europäisch:<br />

Terroir-geprägter Folk-Jazz vom Mittelmeer<br />

bis Lappland, und natürlich der magische<br />

ECM-Sound. Doch es gibt noch viel mehr:<br />

Neben Piano-Trios in allen denkbaren Ausformungen<br />

haben es mir moderne Bigbands<br />

angetan, mal zauberhaft melancholisch wie<br />

in Vince Mendozas „Blauklang“, mal dynamischer<br />

wie bei dem Norweger Geir Lysne,<br />

der in „The Grieg Code“ einem großen Sohn<br />

seiner Heimat Tribut zollt – und in seinen<br />

Klangpanoramen eine unendliche Fülle an<br />

Farben und Rhythmen auffächert.<br />

2010<br />

Bryan Ferry: Olympia<br />

(Virgin / EMI)<br />

Er ist der König der (Salon-)Löwen in der<br />

Rockmusik, aber nicht nur die Frauen liegen<br />

dem smarten Briten zu Füßen. Denn Bryan<br />

Ferry spielt mit seiner seidigen Stimme nicht<br />

bloß virtuos auf der Klaviatur von Romantik<br />

und Sehnsucht. Er ist auch ein kunstsinniger<br />

Ästhet mit Gespür fürs Experimentelle und<br />

Extravagante. Auf „Olympia“ streifte der<br />

gereifte Charmeur mit souveräner Geste<br />

durch sein Jagdgebiet. Erinnerungen an den<br />

druckvollen Glamour-Rock von Roxy Music<br />

wie an Ferrys elegante Soloaufnahmen sind<br />

hier unvermeidlich. 65 <strong>Jahre</strong> alt war der<br />

Gentle man, als er dieses glänzende Werk<br />

vorstellte. Gibt es einen besseren Beweis<br />

dafür, dass auch alternde Rockstars noch<br />

Großes leisten können?<br />

2010<br />

Fredrika Stahl: Sweep Me Away<br />

(Columbia / Sony)<br />

Popmusik darf erheitern, unterhalten, wach<br />

machen, Tage oder Nächte bereichern –<br />

und sie kann in seltenen Fällen verzaubern.<br />

Das ist mir mit diesem Album von Fredrika<br />

Stahl passiert. Die Stockholmerin mit Wahlheimat<br />

Paris erwählte den Jazz als Laufsteg<br />

für ihre ersten musikalischen Schritte, mittlerweile<br />

bewegt sie sich erstaunlich trittfest<br />

auf dem Terrain des Songwriter-Pop, in<br />

raffiniertem Rollenwechsel zwischen Lolita<br />

und Vamp. Süffige Melodien sowie unerwartete<br />

Rhythmus-Kapriolen machen die<br />

Songs dieser frechen Lady noch verführerischer.<br />

Musik für die Stunden zu zweit.<br />

2013<br />

Steven Wilson: The Raven That Refused<br />

To Sing (Kscope / Edel)<br />

Der Brite Steven Wilson ist nicht nur ein<br />

exzellenter Producer und Progrock-Bandleader<br />

(von Porcupine Tree). Mit dem neuen<br />

Soloalbum „The Raven...“ gelang ihm ein<br />

großer Wurf – Songs mit Substanz, melodischer<br />

Verführungskraft und einer packenden<br />

Dramaturgie: Hinter jeder Taktschleife<br />

lauert eine neue Überraschung.<br />

Man meint, die klassischen King Crimson<br />

seien in Bestform wieder auferstanden.<br />

Ach ja, bei der Vorbereitung dieses Beitrags<br />

sind mir natürlich noch zahllose weitere<br />

wunderbare Aufnahmen in die Hand gefallen.<br />

Doch ich hoffe, dass auch diese kleine,<br />

nicht repräsentative Auswahl den einen oder<br />

anderen Leser zu einem anregenden Hörabenteuer<br />

einlädt.<br />

Matthias Inhoffen,<br />

Musikexperte von<br />

<strong>stereoplay</strong> seit 1981.<br />

Vorlieben: Rock,<br />

Pop, neuerer Jazz.<br />

5/13 <strong>stereoplay</strong>.de 147

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