stereoplay 35 Jahre (Vorschau)
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Musik Klassik<br />
VOKAL<br />
„Alleluia“: Motetten von Vivaldi, Händel, Porpora und Mozart Lezhneva, Il Giardino Armonico, Antonini (2013)<br />
LAUTE<br />
Im 18. Jahrhundert war die Laute das<br />
wichtigste Zupfinstrument im<br />
deutschsprachigen Raum, und von<br />
berühmten Lautenisten erwartete<br />
man geradezu, dass sie fremde Kompositionen<br />
für ihr Instrument einzurichten<br />
verstanden. Davon ausgehend,<br />
hat sich der spanische Lauten-Virtuose<br />
Miguel Rincón Violinwerke Johann<br />
Sebastian Bachs vorgenommen<br />
und für sein Instrument transkribiert:<br />
Mit der viersätzigen Sonate in g-Moll,<br />
BWV 1001, und der fünfsätzigen Partita<br />
in d-Moll, BWV 1004, dehnte<br />
Musik: ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■<br />
Klang: ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ Bach auf geradezu geniale Weise die<br />
Carpe diem 16295 (52:19)<br />
Was für eine Stimme! Die 1989 im<br />
fernsten Osten Sibiriens geborene Julia<br />
Lezhneva, ausgebildet in Moskau<br />
und Cardiff, ist eine Sopranistin, wie<br />
ich sie lange nicht mehr gehört habe:<br />
kraftvoll in der tiefen, fast wie ein<br />
Mezzosopran gefärbten Lage, funkelnd<br />
wie ein Diamant und perfekt<br />
fokussiert in der Höhe, von einer<br />
schier unglaublichen Leichtigkeit und<br />
Agilità in den Koloraturen und Passagen,<br />
dabei absolut makellos in der<br />
Intonation – es kann einem geradezu<br />
Musik: ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ schwindelig werden beim Zuhören!<br />
Klang: ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ Trotz des geringen Vibrato ist ihr So-<br />
Decca 478 5242 (60:46)<br />
pran keine typische Alte-Musik-Stimme,<br />
und auf ihrem ersten Solo-Album<br />
(2011 unter Marc Minkowski, bei<br />
Naïve) war sie denn auch mit Rossini-Arien<br />
zu erleben.<br />
Inzwischen ist Julia Leszhneva exklusiv<br />
bei Decca, wo nun ihre erste CD<br />
mit drei Barock-Motetten und Mozarts<br />
„Exsultate, jubilate“ erschienen<br />
ist: ein affekt-geladenes Repertoire,<br />
das von rasender Wut zur Abgeklärtheit<br />
der strahlend hellen Sterne des<br />
Himmels reicht, vom „In furore“ Antonio<br />
Vivaldis zu den „Stelle clare in<br />
caelo“ Nicola Porporas. Giovanni Antonini<br />
und Il Giardino Armonico begleiten<br />
(wie immer) ein wenig „ruppig“,<br />
aber das unterstreicht vielleicht<br />
noch das Raffinement der jungen<br />
Russin, die alle Facetten ihrer wunderbaren<br />
Stimmen leuchten und schillern<br />
lässt. Bleibt nur zu hoffen, dass<br />
ihr neues Label ihr die Zeit lässt, sich<br />
zu entwickeln und zu reifen. Das Potenzial,<br />
eine der ganz Großen ihres<br />
Fachs zu werden, hat Julia Lezhneva<br />
je denfalls.<br />
Michael Stegemann<br />
Johann Sebastian Bach: Sonata BWV 1001, Partita BWV 1004 Miguel Rincón (2012)<br />
klanglichen Möglichkeiten der Violine<br />
aus, die vorrangig zum Spiel einstimmiger<br />
Melodielinien befähigt ist.<br />
Wie in der Lautenfassung der Fuge<br />
aus Sonate BWV 1001, die höchstwahrscheinlich<br />
von Bach selbst<br />
stammt (BWV 1000), nutzt Rincón<br />
die Möglichkeiten seines Instruments<br />
zur polyphonen Erweiterung der<br />
Kompositionen.<br />
Beim Einsatz zusätzlicher Bassnoten,<br />
Stimmführungen und Akkorde zeigt<br />
Rincón sich so selbstbewusst und feinfühlig,<br />
dass seine Eingriffe sowohl stilistisch<br />
als auch künstlerisch überzeugen.<br />
Mit meisterlicher Spieltechnik,<br />
leuchtenden Nuancen und edler<br />
Klangkultur dringt er in die Tiefenschichten<br />
der Musik vor.<br />
Miguel Rincóns sinnliche Auseinandersetzung<br />
mit Johann Sebastian Bach<br />
erlaubt einen so ungewöhnlichen wie<br />
bereichernden Blick auf zwei der bedeutendsten<br />
Werke des Violin-Repertoires<br />
und zieht den Zuhörer in ihren<br />
Bann. Ein beeindruckendes Lauten-<br />
Album.<br />
Miquel Cabruja<br />
Voigts Kolumne<br />
Scheinbar schwerelos:<br />
Daniel Behles Bach-Recital,<br />
seine erste CD für Sony<br />
„Ein exquisites Debüt-Album“, schrieb<br />
Jürgen Kesting 2009 über die erste Liedplatte<br />
von Daniel Behle (Phoenix Edition).<br />
Seither hat der Tenor, Sohn und<br />
Schüler der Sopranistin Renate Behle,<br />
Karriere gemacht: als Opern-, Lied- und<br />
Konzertsänger sowie im Platten-Business.<br />
Ob als Tamino in der „Zauberflöte“<br />
unter Jacobs (harmonia mundi) oder<br />
als Interpret der „Dichterliebe“ und der<br />
„Schönen Müllerin“ (Capriccio) – Behle<br />
gehört zu den wenigen Sängern von heute,<br />
die den Vergleich mit großen Vorgängern<br />
nicht scheuen müssen. Dass er nicht<br />
nur das lyrische Tenorfach, sondern auch<br />
den verzierten Stil beherrscht, weiß man<br />
spätestens seit seinem Ramiro in Rossinis<br />
„Cenerentola“ in Stockholm. Doch<br />
gegen das, was Bach seinen Sängern an<br />
Schwierigkeiten zugemutet hat, wirken<br />
Mozart- und Rossini-Koloraturen fast<br />
wie ein Kinderspiel. Selbst Sänger mit<br />
versierter Technik hatten mit Bach-Kantaten<br />
ihre liebe Not, man denke nur an<br />
diverse Aufnahmen prominenter Sopranistinnen<br />
von „Jauchzet Gott in allen<br />
Landen“.<br />
Daniel Behle aber hält sich auf diesem<br />
allzu glatten Parkett souverän. Nicht zuletzt<br />
dank seiner Ausbildung als Posaunist<br />
verfügt er über die meisterhafte Atemtechnik,<br />
die für Vocal Stunts wie „So<br />
schnell ein rauschend Wasser fließet“<br />
(Kantate BMV 26) erforderlich sind.<br />
Dieses wahnwitzig rasante Stück ist für<br />
meine Begriffe das absolute Highlight<br />
der CD, trotz ernstem Inhalt beschwingend<br />
– zumindest wenn es so gut klingt<br />
wie hier. Auch im ebenso anspruchsvollen<br />
„Bleibt Ihr, Engel, bleibt bei mir“ (aus<br />
BWV 19) kann Behle all den virtuosen<br />
Counter-Tenören, die seit <strong>Jahre</strong>n im Barock-Repertoire<br />
„abräumen“, etwas Eigenständiges<br />
entgegensetzen.<br />
Das „Verhältnis von Engel und Mensch<br />
als ein vertontes Spiel von Flöte und Gesang“<br />
– so beschreibt der Musikwissenschaftler<br />
Niko Dörr im Booklet-Text das<br />
Konzept des Albums, das Behle mit der<br />
Flötistin Anne-Cathérine Heinzmann<br />
entwickelt hat. Die Flötistin, die mit der<br />
Sonate BMV 1013 auch als Solistin zu<br />
hören ist, erweist sich als ideale Dialogpartnerin.<br />
Es ist lange her, dass ich an einem Bach-<br />
Recital so viel Freude hatte wie mit dieser<br />
CD. Unbedingt empfehlenswert! (Sony<br />
CD 88765477802).<br />
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