Der Lehrer wird's schon richten,... - Adolf-Reichwein-Verein
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eichwein forum Nr. 8 / Juli 2006<br />
von Tatendrang und Willen zur Betonung von Emotionen<br />
und Kampfgeist, was somit auf eine �strenge Schulung�<br />
abzielte. Wie der Reichsleiter A. Rosenberg in seiner<br />
Rede �Die Mission des deutschen Erziehers� gefordert<br />
hatte, solle sich anstatt �[...]trockener Wissensvermittlung<br />
eine lebendige plastische Schau� und �ein tiefes<br />
inneres Erlebnis� einstellen. 57 Als Antwort hierauf wurde<br />
in den Lehrreformvorschlägen wiederum akzentuiert,<br />
dass der Schwerpunkt in den nazistischen Schulen nicht<br />
auf einem �einseitigen Intellektualismus�, sondern auf<br />
den �lebendigen Wirklichkeiten� und den �völkischen Lebensforderungen�<br />
liegen sollte. 58<br />
Allerdings war das Problem hierbei, dass der Reichsjugendführer<br />
B. v. Schirach in seinen Ausführungen über<br />
den Anti-Intellektualismus der HJ gegenüber feststellte,<br />
dass die Bündische Bewegung auf dem Prinzip der<br />
�Selbstführung� (�die Jugend wird von der Jugend geführt�)<br />
basiere, wobei körperliche Ertüchtigung, Wehrfähigkeit<br />
und enthusiastische Hingabe angestrebt werden<br />
und diese Aktivitäten darüber hinaus der Schulerziehung<br />
vorgezogen würden. Die Autorität von Schule und <strong>Lehrer</strong><br />
werde dabei zu einem Gegenstand der Beschimpfung.<br />
Im Gegensatz dazu forderte er, dass die Schule dem<br />
�Geist und Gesetz der HJ� folgen solle (VII, S. 173 ff.).<br />
Als praktisches Beispiel dafür kann man die zwischen<br />
1933 und 1935 von der HJ durchgeführten Kampagnen<br />
nennen, denen zufolge ältere <strong>Lehrer</strong> durch jüngere und<br />
aktive, dem Nationalsozialismus befürwortend eingestellte<br />
ersetzt werden sollen. 59 Als Folge dessen kam es<br />
nicht nur permanent zu Gegensätzlichkeiten zwischen<br />
Schulbehörde (d.h. dem Erziehungsministerium) und HJ,<br />
auch im Schulleben äußerte sich dieser ernsthafte Zwiespalt.<br />
Das heißt, von Schirach betrachtete die Schule als<br />
�Erziehung von oben� (= Lehre) und die HJ - als davon<br />
streng unterschieden - �Erziehung von unten� (= Führung),<br />
wobei er betonte, dass der <strong>Lehrer</strong> als solcher<br />
nicht HJ-Führer sein solle (VII, S. 169 ff.). Ferner forderte<br />
er auf der These aufbauend, dass �[...]die Jugend in<br />
einem höheren Sinne immer Recht hat, weil sie das<br />
neue Leben trägt�(S. 174), dass der <strong>Lehrer</strong> stets bestrebt<br />
sein sollte, die Autorität des HJ-Führers vor seinen<br />
Kameraden nicht unnötig herabzusetzen� (S. 173). Andererseits<br />
regte er die Schüler an, die <strong>Lehrer</strong>autorität,<br />
d.h. die unsinnigen, ausschließlich durch ihr Lehramt die<br />
Versorgung bestreitenden �Pauker� der alten Generation<br />
abzulehnen (S. 174). Mit den Worten von P. Stachura<br />
formuliert, die bis zur Machtergreifung als Maßnahme<br />
der NS-Bewegung bestehende Logik des �Generatio-<br />
57 H. Kanz (Hrsg.): <strong>Der</strong> Nationalsozialismus als pädagogisches<br />
Problem. Deutsche Erziehungsgeschichte 1933-1945, Frankfurt<br />
a.M. 1990, S. 239.<br />
58 Z. B. NSLB, Gau Düsseldorf: Lehrplan für die Volksschule<br />
auf ganzheitlicher Grundlage, 2. Aufl. Dortmund / Breslau 1937,<br />
S. 5-6.<br />
59 P. D. Stachura: Das Dritte Reich und Jugenderziehung. Die<br />
Rolle der Hitlerjugend 1933-1939, in: M. Heinemann (Hrsg.), a.<br />
a. O., S. 104.<br />
12<br />
nenkonflikts� wurde bis in die <strong>Lehrer</strong>-Schüler-Beziehung<br />
hineingetragen. 60 Auch institutionell wurden die Schulen<br />
im Jahre 1935 dazu verpflichtet, einen �Schuljugendwalter�<br />
als Vertrauenslehrer der HJ einzusetzen, was wesentlich<br />
zur Verstärkung des HJ-Einflusses im Schulleben<br />
beitrug. 61 Unter diesen Umständen kam es zu einer<br />
Verzerrung der Schuldisziplin, d.h. einer Zerstörung der<br />
�pädagogischen Situation� (P. Petersen) des Schullebens.<br />
<strong>Reichwein</strong> sah sich hier in eine Lage versetzt, in der die<br />
Störung und Verwilderung der gesamten erzieherischen<br />
Tätigkeiten an den Schulen zu einer Gefahr wurden, die<br />
zum Zusammenbruch der <strong>Lehrer</strong>-Schüler-Beziehung<br />
überleitete und als Konsequenz zu einem vermehrten<br />
Ausscheiden von Lehrkräften aus ihrem Amt führte. 62<br />
Hierin findet sich ein wesentliches Charakteristikum der<br />
NS-Jugendpolitik, nämlich der explizite Anti-<br />
Intellektualismus in der Schulerziehung. Sogar die<br />
betreffende <strong>Lehrer</strong>organisation, der NS-<strong>Lehrer</strong>bund,<br />
nahm stillschweigend diese Verschlechterung hin, da sie<br />
die HJ unterstützte. 63 In diesem Zusammenhang musste<br />
<strong>Reichwein</strong> in seiner Absicht, in Opposition zur NS-<br />
Erziehung seine eigene Praxis zu entwickeln, bewusst<br />
diese Problematik mit integrieren. 64 Die im Tätigkeitsbericht<br />
der Landschule Tiefensee Schaffendes Schulvolk<br />
dargelegten Ansichten beinhalteten vor allem Darlegungen<br />
von Argumenten und Alltagserfahrungen, die in der<br />
pädagogischen Fachwelt Gehör finden sollten. 65 Anders<br />
formuliert heißt dies, dass er sich in seiner Schrift in betonter<br />
Weise nicht auf einen �[...]'Ausnahmefall', der<br />
durch begünstigende Umstände herausgehoben sei<br />
[...]�, bezog, sondern auf mögliche Tätigkeiten, wie sie<br />
auch in �[...] der kleinsten und verlassensten Dorfschule<br />
irgendwo im Lande [...]� durchgeführt werden können<br />
(Vorwort zu III, S. 13). Dabei war er überzeugt davon,<br />
dass es hier insgeheim möglich sei, ein von der NS-<br />
Erziehung abweichendes Modell zu verwirklichen.<br />
1.2. <strong>Der</strong> intellektualistisch ausgerichteten und im NS-<br />
Regime ausgeschlossenen traditionellen Schulausbildung<br />
gegenüber war auch <strong>Reichwein</strong> kritisch eingestellt.<br />
Diese Haltung wird bereits in seiner Laufbahn als Förderer<br />
der Weimarer Erziehungsreform � auf seinem Weg<br />
60 Dito, S. 103.<br />
61 Dito, S. 105. A. Klönne, a. a. O., S. 51-53.<br />
62 Zur Frage des <strong>Lehrer</strong>mangels vgl. z. B. R. Bölling: Sozialgeschichte<br />
der deutschen <strong>Lehrer</strong>. Ein Überblick von 1800 bis zur<br />
Gegenwart, Göttingen 1983, S. 142ff.<br />
63 P. D. Stachura: a. a. O., S. 107.<br />
64 Amlung zufolge spielte die HJ in Tiefensee zahlenmäßig nur<br />
eine untergeordnete Rolle (XV, Bd. 2, S. 357).<br />
65 Er schreibt in einem Brief vom 4. November 1937: "In den<br />
nächsten Tagen wird eine Schrift über meine hiesige Arbeit erscheinen:<br />
Schaffendes Schulvolk [...]. Ich will den Jungen damit<br />
Mut machen - den sie brauchen -, und zeigen, wie jede Arbeit,<br />
wenn sie ganz getan wird, zur Quelle froher Zuversicht wird"(I,<br />
S. 135).