Der Lehrer wird's schon richten,... - Adolf-Reichwein-Verein
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eichwein forum Nr. 8 / Juli 2006<br />
steuern hätte. [...] Und von dem einfachen Schneekristall<br />
bis zu den Großformen der lebendigen Natur stoßen wir<br />
auf vielen Wegen immer wieder auf dieselbe Erkenntnis,<br />
daß keine Form gleichgültig ist, sondern jede auf eine<br />
bestimmte Weise vorbestimmt und vorentschieden, und<br />
jede einen einmaligen Wert verkörpert. [...] Was wir so<br />
an den Formen der Natur sehen und lesen lernen und,<br />
wie am Beispiel des Schneekristalls gezeigt, in Gedanken<br />
immer wieder mit den Kunstformen des menschlichen<br />
Schaffens verbinden, begegnet uns in der Welt, die<br />
wir Kultur nennen, auf ähnliche Weise. Auch dort entdecken<br />
wir, wenn wir den Blick ein wenig für das Wertvolle<br />
geschult haben, daß jede Formgebung an den Stoff, aus<br />
dem sie geschieht, und an den Zweck, auf den sie sich<br />
richtet, gebunden ist. [...] Was wir soeben für die Volkskunde<br />
andeuteten, gilt natürlich ebenso für die Beschäftigung<br />
mit der jüngsten und ganz gegenwärtigen Technik.<br />
[...] Wir erproben diese einfachen und grundlegenden<br />
Einsichten in die schöne Gesetzmäßigkeit der Form<br />
und des Formens im eigenen Schaffen, indem wir Spielzeuge<br />
bauen oder Weihnachtskrippen aus Holz oder<br />
Modelle von Segelflugzeugen. Denn eine Formenkunde<br />
kann natürlich noch weniger als anderes Wissen nur aus<br />
der Betrachtung gewonnen werden. Sie wird erst durch<br />
eigenes Gestalten, durch die Koppelung des Empfindens<br />
und Gedankens mit der schaffenden Hand, recht<br />
erschlossen. [...] Sehen ist hier als Vorbedingung eigenen<br />
und handwerklichen Gestaltens gemeint. [...]. Die<br />
Aufgabe des Erziehers ist klar abgegrenzt: was den Kindern<br />
an Formenfülle täglich zufließt, soll er bewusst machen,<br />
wenn einem wichtigen Zweck damit gedient wird,<br />
und in einer einfachen Formenkunde ordnen.� 107<br />
Man könnte darüber nachdenken, welche Auswirkungen<br />
das alles auf die Gegenwart gehabt hat. Wohlgemerkt:<br />
Nicht für die Kunst, nicht für die Architektur � um l�art<br />
pour l�art ging es Dexel und <strong>Reichwein</strong> nicht - sondern<br />
für unser Leben heute.<br />
Alles Utopie geblieben? Zweifelsohne haben die Ideen<br />
von der �sozialen Form� auch in Sackgassen geführt,<br />
derer sich wohl alle Beteiligten bewusst geworden sind.<br />
Die sich zurücknehmende, sich einfügende Form ist spätestens<br />
da an ihre Grenzen gestoßen, wo es um das natürliche<br />
Umfeld, die Formensprache der Natur selbst<br />
ging. Die Malerei war bereits gezwungen, sich stattdessen<br />
ihre eigene �Natur� zu schaffen. Und der Architektur<br />
des Bauhauses kann man die zurückgenommene Form<br />
sicher nicht absprechen, aber in der Natur ist sie nicht<br />
minder Fremdkörper geblieben, als die von Dexel so geschmähte<br />
�Villa�.<br />
Wo ist Dexels Konzeption der kompromisslos klaren,<br />
emotionslosen Reklame zu finden, im Vergleich zur heutigen<br />
Medienwerbung mit ihrer hintergründigen Manipu-<br />
107 <strong>Reichwein</strong>, <strong>Adolf</strong>: Schaffendes Schulvolk. Braunschweig:<br />
Westermann 1951, S. 88-93<br />
44<br />
lation des Unterbewussten, ihrem Wortgeklingel und den<br />
versteckten erotischen Anspielungen ?<br />
Hat die Malerei der Moderne nun den neuen Menschen<br />
geschaffen, eine neue Gesellschaft, oder ist sie nur deren<br />
Ausdruck ? Lässt die heutige Gebrauchsarchitektur<br />
unserer Städte erkennen, dass dahinter einhundert Jahre<br />
Nachdenken über eine neue Form stehen ? Hat die<br />
Formsprache dieser Architektur unser Leben bereichert,<br />
geprägt, empfinden wir sie (Dexel) als Symbol des �Vertrauens�<br />
oder gar des �Friedens�, sind verspiegelte Glasfassaden<br />
offener als die vergleichsweise kleinfenstrigen<br />
der Kaiserzeit ? Bewirken Geschosshöhen von 2,51 Metern<br />
und Wohnräume von 12 Quadratmetern ein freieres<br />
Lebensgefühl als 3,75 Meter Höhe und 30 Meter im<br />
Quadrat im nachkaiserlichen Altbau ? Ist der Verzicht<br />
auf zweckfreie Form wirklich das, was den Menschen<br />
glücklicher und sozialer macht ?<br />
Worauf würden Sie denn lieber täglich blicken: auf die<br />
Alte Pinakothek oder auf die Zentrale der Frankfurter<br />
Commerzbank?<br />
PRAXIS<br />
Unterrichtseinheit<br />
��<strong>Adolf</strong> <strong>Reichwein</strong> als Wandervogel,<br />
Soldat, Pädagoge und Widerstandskämpfer<br />
(1898 �� 1944)��<br />
für die Sekundarstufe I<br />
Klaus Schittko<br />
0. Vorbemerkungen<br />
In Nienburg � es liegt ca. 15 km von meinem Wohnort<br />
entfernt � gibt es zwei Gymnasien; eines davon trägt<br />
den Namen �Hindenburg Gymnasium�. In diesem Jahr<br />
hat es wieder erhebliche Diskussionen und Auseinandersetzungen<br />
um den Namen dieses Gymnasiums gegeben.<br />
Kann ein Gymnasium heute noch den Namen<br />
eines Mannes tragen, der als Reichspräsident im Januar<br />
1933 <strong>Adolf</strong> Hitler zum Reichskanzler ernannt hat, der<br />
unfähig und nicht bereit war, der sich abzeichnenden<br />
Gewaltherrschaft in Deutschland entgegenzutreten, der<br />
vielmehr zur Legitimation und Festigung des NS-<br />
Regimes beigetragen hat? Das Kollegium der Schule hat<br />
sich für eine Namensänderung ausgesprochen, und die<br />
Stadt hat beschlossen, der Schule einen anderen Namen<br />
zu geben; inzwischen haben sich die Schule und