Der Lehrer wird's schon richten,... - Adolf-Reichwein-Verein
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eichwein forum Nr. 8 / Juli 2006<br />
Haltung einnimmt, welche die Vorstellung der völkischen<br />
�Heimat� als Richtschnur der NS-Erziehungsreform zurückweist.<br />
Bei ihm gibt es keine Konzepte, nach denen<br />
er das �Heimatbewusstsein� der Kinder in Vorstellungen<br />
wie �Volk� und �Volksgemeinschaft� konzentriert. Sicherlich<br />
hat er in seinem Praxisbericht den Begriff �Volk� betont,<br />
dabei jedoch <strong>schon</strong> im Ausdruck einen eindeutigen<br />
Gegensatz zu den NS-Doktrinen sorgfältig vermieden.<br />
Aber für ihn entsprach das �Volk�, worauf H. Bohnenkampf<br />
hinweist, einem �[...] gegebenen Rahmen für die<br />
uns aufgegebene gesellschaftliche Integration [...]�(III,<br />
Geleitwort zur dritten Auflage, S. 10). Doch selbst wenn<br />
dies einer kulturellen Gemeinschaft mit gemeinsamer<br />
Sprache, Religion und gemeinsamen Bräuchen entspricht,<br />
gehören biologische Regeln wie Rasse einer<br />
anderen Dimension an, insbesondere das mythische<br />
�Absolutum� wird dabei völlig ausgeschlossen (ebenda).<br />
Außerdem lässt sich diese Einstellung durch <strong>Reichwein</strong>s<br />
Aussagen als antinazistischer Wirtschaftswissenschaftler<br />
belegen. Beispielsweise wird in einer Serie von Artikeln<br />
über die Weltwirtschaft und politische Fragen, die er<br />
damals in der fast einzigen 'selbständigen' wissenschaftlichen<br />
Monatsschrift �Deutsche Rundschau� veröffentlicht<br />
hat, genau wie in den 1920er Jahren die internationale<br />
Kooperation einer völkischen Autarkie gegenübergestellt.<br />
82<br />
Daher lässt sich aus der reziproken Weltanschauung<br />
<strong>Reichwein</strong>s die in der Landschulreform hervorgehobene<br />
�Heimatgebundenheit� als eine Ansicht einordnen, die<br />
auch ein �Fenster zur Welt� mit einschließt (II, S. 97; III,<br />
S. 83). Damit will gesagt werden, dass er die Jugend in<br />
Tiefensee positiv als die tragende Kraft der Dorfgemeinschaft<br />
angesehen hat, was sich von den Richtlinien der<br />
NS-Landschulreform unterscheidet, nach der das zukünftige<br />
Leben dieser jungen Menschen innerhalb des<br />
dörflichen Rahmens fixiert verlaufen soll. <strong>Reichwein</strong> betont<br />
seine Ansicht diesbezüglich und den Sinn wie folgt:<br />
�Wir führen diese Jugend nicht in eine wohlbereitete<br />
Heimat, sondern in das offene Gelände einer Zukunft,<br />
die sie sich selbst mitbauen muß.� (III, S. 21.)<br />
Zusätzlich muss noch bemerkt werden, dass er prinzipiell<br />
die �Arbeit und Leistung� als Grundlage der industrialisierten<br />
Gesellschaftsordnung ansah (S. 181). Er hat<br />
das neue Erziehungsmedium 'Film' in dieser Versuchschule<br />
der �Reichsstelle für den Unterrichtsfilm� in umfangreichem<br />
Maße genutzt und auf diese Weise beispielhaft<br />
die verschiedenen Bedingungen und Charakteristiken<br />
der Großindustrie wie der Eisen- und Stahlindustrie<br />
im Lernprozess aufgezeigt (V, S. 110-129). Aufgrund<br />
dieser Erkenntnis konnte erwartet werden, dass<br />
die Dorfschule die Brücke zur Industriegesellschaft<br />
schlägt. Er nutzte bei den Kindern nämlich den Prozess<br />
der Wissensaneignung und den gleichzeitigen Erwerb<br />
technischer Fertigkeiten (Erfassen, Ausdrucks- und<br />
82 Siehe dazu insbesondere <strong>Reichwein</strong>s Artikel: Warum kämpft<br />
Japan? In: R. Pechel (Hrsg.): Deutsche Rundschau, Dezember<br />
1937, Jg.64, Leipzig, S. 161-164.<br />
19<br />
Werkfähigkeit und dergleichen), was als 'Verbesserung<br />
des Grundwissens' umschrieben werden kann.<br />
Die hierdurch strukturierten Tätigkeiten, die als �Schaffen�<br />
ihren Ausdruck finden, führten in Form eines subjektiven<br />
�Vorhabens� zu einer Förderung dieser Fertigkeiten.<br />
83 Damit beabsichtigte er eine elementare Vorbereitung<br />
auf diverse Arbeitsformen. Dass <strong>Reichwein</strong> bei der<br />
Gruppenbildung in der Struktur der Lehre auf deren Offenheit<br />
und Gemeinsamkeit voraussetzend die �Leistung�<br />
als Norm definiert, liegt hierin begründet (III, S.<br />
193). <strong>Der</strong> NS-Landschulreform mangelte es gerade an<br />
dieser Sichtweise. Auch wenn die �Lebenstüchtigkeit�<br />
gepriesen wurde, geschah dies nur zur Korrektur des<br />
'bäuerlichen Egoismus', d.h. man schloss daraus eine<br />
�überzeugte Eingliederung in die deutsche Volksgemeinschaft�<br />
(IX, S. 9).<br />
Also das Wichtige ist, wie <strong>Reichwein</strong> die �Leistung� als<br />
Merkmal der modernen Gesellschaft interpretiert hat. Er<br />
war sich darüber wohl bewusst, dass dies im Rahmen<br />
des NS-Systems dem �nationalsozialistischen Leistungsprinzip�<br />
84 weltanschaulich ähnlich eingeordnet<br />
werden muss. Übrigens wurde unter dem Schlagwort<br />
der �Auslese des Tüchtigsten� versucht, die beruflichen<br />
Leistungen der Jungarbeiter zu erhöhen. Dies wiederum<br />
unterstand der direkten Regelung des durch die HJ und<br />
die �Deutsche Arbeitsfront� gemeinsam durchgeführten<br />
�Reichsberufswettkampfs der deutschen Jugend�, der<br />
dem NS-Staat, d.h. der Volksgemeinschaft, beitragen<br />
sollte (VII, S. 113-114).<br />
Allerdings war die Anpassung und Integration der Jugend<br />
in das bestehende NS-System nicht das Ziel<br />
<strong>Reichwein</strong>s gewesen. Vielmehr war es notwendig, die<br />
Jugend vor der NS-Ideologie zu schützen. Trotzdem<br />
konnte er sich auch in den späten 1930er Jahren (= stabile<br />
Phase des NS-Systems) kein über das NS-System<br />
hinausgehendes und dieses ablösendes konkretes Gesellschaftssystem<br />
vorstellen (III, S. 182). In diesem Zusammenhang<br />
kann betont werden, dass er hier für die<br />
Menschen, die unter der �hochgradigen Technik der<br />
'Zivilisation'� (d.h. dem seinerzeitigen Hitler-Deutschland)<br />
leben, nach einer noch weitergehenden selbständigen<br />
�Entscheidung� und einem �Auf-sich-selbst-angewiesensein�<br />
(= subjektive Selbstformung) gesucht hat (S. 21-<br />
22).<br />
Mit anderen Worten: Als er im Sinne der in seinem Praxisbericht<br />
genannten �Übung der Bereitschaft� dennoch<br />
vorschlug, dass Kinder imstande sein sollten, �[...] ihr<br />
Können in wechselnden Lebensaltern, so wie es gerade<br />
83 Dazu K. Chr. Lingelbach: Erziehung durch Unterricht, S. 76-<br />
81.<br />
84 W. Kircher zufolge wird dies folgendermaßen definiert: "Alle<br />
Leistungserziehung erhält ihre Richtung von der Leistungsgemeinschaft<br />
des Volkes und mündet wieder in sie ein [...]. Sie ist<br />
darum nicht technische Schulung, sondern weltanschauliche<br />
Ausrichtung. Leistung ist ein wesentliches Merkmal nationalsozialistischer<br />
Gesinnung und Haltung." (XI, S. 11)