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Der Lehrer wird's schon richten,... - Adolf-Reichwein-Verein

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eichwein forum Nr. 8 / Juli 2006<br />

ders herben Tiefschlag musste der JKV erfahren, als eine<br />

Vielzahl der in den ersten Jahrzehnten des vorigen<br />

Jahrhunderts geschaffenen Werke moderner Kunstrichtungen<br />

von den neuen Machthabern als �entartete<br />

Kunst� diffamiert wurde. Dadurch büßte der JKV aus<br />

seinem Sammlungsbesitz über 200 wertvolle und unersetzbare<br />

Stücke ein. Walter Dexel selbst wurde wie zahlreiche<br />

andere hervorragende Künstler im �Völkischen<br />

Beobachter� als Vertreter der �entarteten� Kunst verfemt.<br />

In dieser für ihn schwierigen Zeit trat ihm der <strong>schon</strong> 1933<br />

seines Lehramtes als Professor an der Pädagogischen<br />

Akademie in Halle enthobene <strong>Adolf</strong> <strong>Reichwein</strong> in einem<br />

Brief als Freund tröstend zur Seite. Im Kontrast zu der<br />

dichterischen Figur vom �Mann ohne Schatten� betonte<br />

er, wir alle werden nicht mehr ohne Schatten leben können,<br />

womit er auf die alles beherrschende teuflische<br />

Macht des Faschismus anspielte. Sechs Jahre später<br />

musste <strong>Adolf</strong> <strong>Reichwein</strong> als Mitglied des Kreisauer Kreises<br />

die bittere Erfahrung machen, dass dieser Schatten<br />

für ihn lebenszerstörend wurde.<br />

Die VHSJ hat aus der ersten Periode ihres Bestehens<br />

ein reiches historisches Erbe zu bewahren. Darin eingebunden<br />

sind auch die mannigfaltigen Aktivitäten und<br />

richtungweisenden Impulse, mit denen der weithin hoch<br />

geachtete Künstler Walter Dexel die Entwicklung dieser<br />

damals in Deutschland mit an führender Stelle stehenden<br />

Stätte der Erwachsenenbildung tatkräftig gefördert<br />

hat. Diese Hervorhebung möge die Reihe der zahlreichen<br />

Würdigungen ergänzen, die Walter Dexel in der<br />

Zeitspanne nach dem Herbst 1989 in Jena <strong>schon</strong> zuteil<br />

geworden sind.<br />

Die ��Bildende�� Kunst<br />

Anmerkungen zum sozialen Aspekt<br />

in der Ästhetik bei Walter Dexel<br />

und <strong>Reichwein</strong><br />

Hans-Peter Thun<br />

Was wir als Schönheit hier empfunden, wird einst<br />

als Wahrheit uns entgegengehn 89<br />

Diese Betrachtungen sollen das aufgreifen, was in der<br />

kurzen Biographie Walter Dexels im vorigen Heft unserer<br />

Zeitschrift nicht behandelt werden konnte, nämlich<br />

die Frage, worin diese auf uns fast unstet wirkende Vielseitigkeit<br />

der beruflichen Aktivitäten Walter Dexels eigentlich<br />

begründet ist und wieso sich Dexel so intensiv<br />

mit dem Phänomen �Form� auseinandersetzt und seine<br />

große Braunschweiger Formsammlung aufbaut. Es soll<br />

89 Friedrich Schiller �Die Künstler� 1789<br />

35<br />

auch gezeigt werden, warum wir die vielen Parallelen in<br />

den Standpunkten bei Dexel und <strong>Reichwein</strong> finden.<br />

<strong>Der</strong> Begriff �Bildende Kunst� ist selbst eine Schöpfung<br />

des 19. Jahrhunderts und fasste in seinem Ursprung die<br />

Bereiche Baukunst, Plastik, Malerei, Graphik und Kunstgewebe/<br />

Kunsthandwerk zusammen. <strong>Der</strong> Begriff ist aber<br />

selbstverständlich nicht gemeint, wie in unserer Überschrift,<br />

im Sinne von �Bildung� (obwohl diese Auslegung<br />

nicht fern läge, wenn man die Bemühungen Dexels und<br />

Gleichgesinnter betrachtet), sondern bezieht sich einzig<br />

auf das �Abbilden� wobei es, das werden wir sehen,<br />

auch nicht unwichtig ist, was diese Künste abbilden. Die<br />

Einheit aber der einzelnen Sparten, auf die sich Walter<br />

Dexel später in Jena in seinem Manifest für ein neues<br />

Ausstellungsgebäude beruft, war in der Definition damals<br />

bereits vorgegeben, wenn auch nicht verwirklicht.<br />

Erst später ist die Baukunst auch aus dieser Definition<br />

wieder heraus gefallen. Hier soll exemplarisch nur auf<br />

die Bereiche Malerei und Baukunst Bezug genommen<br />

werden.<br />

Als Walter Dexel seinen beruflichen Weg mit dem Studium<br />

der Kunstwissenschaft beginnt, ist die Bildende<br />

Kunst in Europa in einem Wandel begriffen, den man<br />

durchaus als �revolutionär� bezeichnen kann, denn es<br />

sind nicht nur evolutionäre Anstöße, die in einem relativ<br />

kurzen Zeitraum zu einer Fülle neuer Kunststile und<br />

künstlerischer Experimente führen, es ist nicht allein die<br />

künstlerische Kreativität, die hier solch Umwälzendes<br />

bewirkt. Große gesellschaftliche Veränderungen, wirtschaftliche<br />

Umbrüche, technische Erfindungen die wir<br />

alle kennen, haben diese Zeit und ihre Menschen geprägt.<br />

Das manifestierte sich zunächst vor allem in den großen<br />

Städten, während der ländliche Raum noch eine Art<br />

Kontrastprogramm zu bieten scheint, vielleicht eine<br />

Keimzelle, aus der heraus alles das wieder hätte gerade<br />

gerückt werden können, was in den Städten das<br />

menschliche Leben verbog. <strong>Adolf</strong> <strong>Reichwein</strong> hat an solche<br />

Möglichkeiten geglaubt.<br />

Die Auseinandersetzung mit dem Städtischen hieß aber<br />

auch, nun den neuen urbanen Raum und seine Artikulationsformen<br />

akzeptieren zu lernen: Häuser, Verkehr,<br />

Menschen, Autos, Telefone, Zeitungen, Werbung und<br />

gesellschaftliche Auseinandersetzungen. Gegen das zu<br />

Ende gehende Jahrhundert, seine als muffig empfundene<br />

bürgerliche Welt, wurde eine neue Zivilisation eingefordert,<br />

und es formulierte sich ein Begriff von Kultur, der<br />

das Alltägliche, das Gemeine und Soziale einbeziehen<br />

sollte. Zwangsläufig und durch gesellschaftliche Ereignisse<br />

(Erster Weltkrieg, russische Revolution, Ende des<br />

Kaiserreichs) zusätzlich motiviert, entwickelt sich deshalb<br />

ein neuer Versuch, die Kunst zu sozialisieren, zu<br />

vergesellschaften. Bestehende gesellschaftliche Ordnungsmuster<br />

schienen außer Kraft gesetzt, und es galt

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