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Der Lehrer wird's schon richten,... - Adolf-Reichwein-Verein

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eichwein forum Nr. 8 / Juli 2006<br />

die Realität nicht mehr als das fertige Ergebnis unserer<br />

Sinneseindrücke ab, sondern versuchen, vor allem mir<br />

Hilfe einer geradezu wissenschaftlichen Kenntnis über<br />

die Wirkung der Farben, diese Impressionen beim Betrachter<br />

erneut zu erzeugen. Die Abbildung ist also <strong>schon</strong><br />

hier nicht mehr Kopie der Realität, nicht mehr aus Gegenstandsmerkmalen<br />

zusammengesetzt, sondern aus<br />

Farbmolekülen, die erst beim Betrachter eine Impression<br />

der Realität hervorrufen.<br />

Auch Expressionisten sind hier zu nennen, wie etwa<br />

Kirchner, Macke, Marc, Delauny u.s.w.<br />

Zunächst bedeutet das allerdings nicht, dass den Farben,<br />

Formen und Flächen selbst ein bestimmter Sinn<br />

zugemessen wird, der über die Bildkomposition hinausgeht.<br />

Es sind Stilmittel und Techniken für neue Ausdrucksformen.<br />

Cézanne als Wegbereiter<br />

Cézanne hat sich selbst zwar immer zu den Impressionisten<br />

gezählt, ist aber, ohne das selbst so zu sehen, in<br />

seiner Entwicklung weit über den Impressionismus hinausgegangen<br />

und hat mehrere spätere Stilrichtungen<br />

angestoßen. Insofern stuft Fritz Burger seine Bedeutung<br />

für die Entwicklung der modernen Kunst wohl zu Recht<br />

sehr hoch ein. Und da Fritz Burger, einer späten Aussage<br />

Grete Dexels zufolge, für Dexel auch im Alter noch<br />

�Evangelium� war, wird deutlich, warum Dexel so von<br />

Burgers Standpunkten geprägt wurde.<br />

Cézanne experimentiert mit der Perspektive, verabschiedet<br />

sich von der Zentralperspektive, arbeitet nicht<br />

mit Farbpunkten, sondern farbigen Flächen, die er zueinander<br />

ordnet. Er sucht in aller Natur das geometrische<br />

Grundprinzip und leitet damit unwissentlich auch zu<br />

den Kubisten über. Seine Bilder sind kein Abbild der Natur<br />

mehr, sondern diese liefert ihm nur noch farbige und<br />

flächige Sinneseindrücke, die er aufnimmt und zu einem<br />

Bild komponiert, das eine neue Realität neben der Natur<br />

darstellt. Hier beginnt der künstlerische Ansatz Burgers<br />

und Dexels, das Nachdenken über die Relationen von<br />

Farben, Flächen und Linien zueinander, das Nachdenken<br />

über die ideale Form.<br />

Gauguin führt als weiteres Gestaltungselement die große<br />

farbige Flächigkeit hinzu, die er noch zusätzlich mit<br />

Linien umrandet, so dass seine Bilder bisweilen an<br />

Glasmalerei erinnern. Es entstehen so Segmente,<br />

Formelemente, die dann in späteren Stilrichtungen zunehmend<br />

an Bedeutung gewinnen. Maurice Denis als<br />

Wortführer der Symbolisten steigert das, indem er das<br />

Postulat formuliert, dass das Bild vor allem eine mit Farben<br />

in bestimmter Ordnung bedeckte ebene Fläche sein<br />

müsse, und diese Ordnung das Erscheinungsbild der<br />

Gegenstände verändere durch die objektive und subjektive<br />

Deformation zugunsten dekorativer, allgemeingülti-<br />

37<br />

ger Schönheit. Deformieren heiße ausdrucksvoll und<br />

schön sein. Hier wird also neue Form erzeugt, die Form<br />

aus ihrer Form gebracht, um sie �allgemeingültig� zu<br />

machen, Natur wird nach dem gestalterischen Willen<br />

des Künstlers umgeformt zu einer neuen �virtuellen� Natur.<br />

Da haben wir bereits diese neue Form, die �absolute�<br />

Schönheit. Aber dem wohnt noch kein über das Bild<br />

hinausreichender Sinn inne, kein Zweck. Die Frage, warum<br />

der Künstler sich denn bemühen solle, eine neue<br />

Form zu erzeugen, nach der idealen Form zu suchen,<br />

wird nicht verfolgt.<br />

Auch von einer �neuen Ordnung� ist die Rede, aber sie<br />

führt zunächst nur zum Begriff der �Schönheit�.<br />

<strong>Der</strong> Visionär Fritz Burger<br />

Hier ist der Punkt, Fritz Burger 90 ins Spiel zu bringen, bei<br />

dem Walter Dexel in München Kunstwissenschaft studiert.<br />

Burgers Bedeutung<br />

für die Formkonzeption<br />

der Moderne ist<br />

viel größer, als es<br />

sein heute eher geringerBekanntheitsgrad<br />

vermuten lässt.<br />

Ein Mann mit Charisma,<br />

der �geborene�<br />

Jugendführer<br />

und Hochschullehrer:<br />

�...Eine sehr jugendliche,<br />

freie<br />

Gestalt, mit weiten<br />

Schritten im wehenden Mantel und braunem Hut, hell<br />

und fröhlich in den Saal tretend, so haben ihn seine<br />

Schüler in Erinnerung. Sie [...], die sich um den Namen<br />

�Fritz Burger� wie um eine Fahne scharten [...]� 91 ��Einer,<br />

zu dem sich die Jugend drängte, die nach Feuer dürstet.<br />

[...] Man strömte in seinen Hörsaal, trampelte sich trunken<br />

und lauschte wie einer Offenbarung[...] Tausend<br />

Jungen ist er unauslöschliches Erlebnis geworden.� 92<br />

Zu seinen Schülern gehörten neben Dexel u.a. die<br />

Kunstwissenschaftler Gustav Friedrich Hartlaub und Kurt<br />

Badt, Hans Finsler (Schweizerischer Werkbund), Ludwig<br />

Hirschfeld-Mack, eine der wichtigsten Persönlichkeiten<br />

am Weimarer Bauhaus, oder der spätere Chefredakteur<br />

der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Benno Reifenberg.<br />

Burger geht es bei der Bewertung eines Kunstwerks<br />

nicht mehr um die Zuordnung zu Kunststilen oder Epo-<br />

90 siehe: Thun, Hans-Peter: Walter Dexel<br />

In: reichwein-forum Nr.7, Dezember 2005, S. 6 � 11<br />

91 Reifenberg, Benno: Fritz Burger<br />

In: Frankfurter Zeitung, 27.06.1916<br />

92 Fritz Burger<br />

In: Berliner Tagblatt / Abend-Ausgabe, 31. 05. 1916

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