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Der Lehrer wird's schon richten,... - Adolf-Reichwein-Verein

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eichwein forum Nr. 8 / Juli 2006<br />

wird zum Gegner des Militarismus, zum Gegner der Todesstrafe,<br />

zum Verächter der Gewalt überhaupt.<br />

In Frankfurt erklärt der kriegsbeschädigte <strong>Reichwein</strong><br />

nach dem Krieg, �daß Böses immer nur Böses erzeugt,<br />

daß ein an sich verbrecherischer Weg niemals zur Erreichung<br />

eines guten Zieles führen kann; daß die schwerste<br />

Rechtsverletzung die wider das Leben des Nebenmenschen<br />

ist.�<br />

In seinem Aufsatz mit dem Titel �Gewalt oder Gewaltlosigkeit�<br />

aus dem Jahre 1924 schreibt er: �Jeder von uns<br />

spürt täglich dieses Problem: gegenüber irgendeiner Lage<br />

Gewalt als Mittel einzusetzen oder den Weg der Güte<br />

zu wählen (...).� 116<br />

Sei nicht gewalttätig, Gewalt erzeugt immer nur<br />

Gewalt.<br />

Sei gütig.<br />

Töte nicht.<br />

Gehen wir noch einmal in <strong>Reichwein</strong>s Jugendzeit zurück.<br />

Am 13. Oktober 1913 hatten sich über 2000 junge<br />

Leute aus 13 Jugendverbänden am hohen Meißner in<br />

Hessen versammelt; sie einigten sich auf die Formel:<br />

�Die Freideutsche Jugend will nach eigener Bestimmung,<br />

vor eigener Verantwortung, mit innerer Wahrhaftigkeit<br />

ihr Leben gestalten; für diese Freiheit tritt sie unter<br />

allen Umständen geschlossen ein.� 117<br />

Das war auch <strong>Reichwein</strong>s Maxime. Als Freideutscher<br />

entschied er sich für ein bewusst jugendbewegtes, freies<br />

Leben in Deutschland, in Europa und auf der ganzen<br />

Welt. Sich selbst bestimmen, eigenverantwortlich sein,<br />

sein eigenes Leben ohne Lüge gestalten: frei sein � das<br />

sind die Leitsätze, die <strong>Reichwein</strong> verwirklichen wollte<br />

und für die er letztendlich starb.<br />

Diese Sätze gelten auch für seine pädagogischen Aktivitäten,<br />

ob als Volkshochschullehrer, als <strong>Lehrer</strong>bildner, als<br />

<strong>Lehrer</strong>, als Museums- oder als Medienpädagoge.<br />

Über einen Besuch in der einklassigen Volksschule Tiefensee,<br />

einem Örtchen in der Mark Brandenburg bei<br />

Berlin, in der <strong>Reichwein</strong> zur Bewährung 1933 bis 1939<br />

eingesetzt war, berichtet ein Besucher aus England,<br />

Lord Lymington:<br />

�(...) Kurz vor seinem fünften Schuljahr besuchten Rolf<br />

Gardiner und ich ihn. Wir kamen in ein Klassenzimmer<br />

voller buntgestrichener Pulte und einfachen, solide gezimmerten<br />

Stühlen. An der Decke hingen lustige Räder<br />

mit Lampen zur Beleuchtung des Raumes an den Win-<br />

116 <strong>Reichwein</strong>, A.: Gewalt oder Gewaltlosigkeit (Grundgedanken<br />

einer Arbeitsgemeinschaft, die im September [1924] in Pößneck<br />

stattfand). In: Volkshochschulblätter. N. F. der �Blätter der<br />

Volkshochschule Thüringen� (Gotha), 6. Jg.,Nr. 7 (Oktober<br />

1924), S. 71<br />

117 Zitiert nach: Schlemmer, H.: <strong>Der</strong> Geist der deutschen Ju-<br />

gendbewegung, München 1923, S. 18.<br />

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terabenden. In einem Regal stand buntes Tongeschirr.<br />

Alles war von den Kindern hergestellt.<br />

Nach seiner Ankunft war er [<strong>Reichwein</strong>] zum Förster gegangen<br />

und hatte ihn überredet, die Klassen im Freien<br />

im Forstwesen zu unter<strong>richten</strong>. Mit diesem alten Förster<br />

verbrachten wir einen angenehmen Nachmittag in den<br />

Wäldern, wo Buchen zwischen den überall wachsenden<br />

Kiefern der napoleonischen Kriege gepflanzt waren. <strong>Adolf</strong><br />

war ebenfalls zum Schmied und zum Tischler gegangen,<br />

die seine Klasse ebenfalls unter<strong>richten</strong> sollten.<br />

Er fand Tonerde und erhielt die Erlaubnis des Landeigentümers,<br />

sie zu bearbeiten, damit er den Kindern beibringen<br />

konnte, wie man selber Geschirr herstellt und<br />

bemalt. Sie lernten sich selbst zu helfen. Wie sehr hätten<br />

unsere Erzieher die Stirn darüber gerunzelt, wie wenig<br />

Zeit die Schüler mit Rechnen, Schreiben und Lesen verbrachten!<br />

Trotzdem war die Abgangsquote der Schüler<br />

<strong>Reichwein</strong>s bis 1939 zur zweitbesten in ganz Deutschland<br />

geworden, und sie waren die glücklichsten Kinder,<br />

die ich je gesehen habe.� 118<br />

Was <strong>Reichwein</strong> in Tiefensee praktiziert, ist die Sprengung<br />

des Fachunterrichts, die Aufhebung der alten<br />

Buch- und Buchstabenschule. <strong>Der</strong> Klassenraum ist weder<br />

Kaserne noch Hörsaal; er ist Werkstatt, in dem ein<br />

Werk geschaffen wird. <strong>Der</strong> methodische Ausdruck hierfür<br />

ist: Vorhaben (Projekt).<br />

<strong>Reichwein</strong>s Freund Otto Haase, Leiter der Pädagogischen<br />

Akademie in Frankfurt a.d. Oder (1930-1932), beschreibt<br />

den Vorhaben-Unterricht wie folgt:<br />

�Sie werden bemerkt haben�, spricht er zu den Studierenden�,<br />

�daß eine gängige Unterrichtsform in unserem<br />

Plan fehlt, völlig ausfällt: das Schulehalten, die Lektion,<br />

der Fachunterricht. Warum verzichten wir auf diesen<br />

doch zu einem sehr stabilen Pfeiler ausgebauten Teil<br />

des Unterrichtsgebäudes? Weil Schulehalten eine mit<br />

äußeren Machtmitteln geschaffene und aufrechterhaltene<br />

Lehrsituation darstellt und auf die Dauer <strong>Lehrer</strong> und<br />

Kind zur Unfreiheit erziehen, die Schule zum Marionettentheater<br />

des Lebens machen muß. Weil zum anderen<br />

der gefächerte Unterricht, das Fachprinzip, auch in seinen<br />

klügsten Formen ein bedenkliches Surrogat der wissenschaftlichen<br />

höheren Schule bleiben wird, bedenklich<br />

deshalb, weil das Fachprinzip das sicherste Mittel ist,<br />

eine echte Formung der Volksschule aus ihrem Wesen<br />

heraus zu verhindern. (...) Die Gestaltung eines Vorhabens<br />

ist eine Form des kollektiven Arbeitsunterrichts, in<br />

dem arbeitsteilig ein bestimmtes Werk von einer Klassengemeinschaft<br />

geschaffen wird.<br />

In der Regel muß ein ursprüngliches Bedürfnis (ein wahres<br />

Interesse) der Kinder an der Gestaltung eines aus<br />

dem kindlichen Lebensraum stammenden Werkes vorliegen.<br />

118 Schulz, U. (Hg.): <strong>Adolf</strong> <strong>Reichwein</strong>. Ein Lebensbild aus Briefen<br />

und Dokumenten. München 1974, S. 270

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