Der Lehrer wird's schon richten,... - Adolf-Reichwein-Verein
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eichwein forum Nr. 8 / Juli 2006<br />
gebraucht wird, aus eigenem Willen einzusetzen� und<br />
dass das Kind �im Bereich seines persönlichen Schaffens,<br />
immer bei seinem Selbst� sein sollte (ebenda), folgt<br />
er damit den gleichen Linien, die auch die Grundlage der<br />
Weimarer politischen Bildung (�Erziehung zur Mündigkeit�)<br />
waren und somit die Oppositionsprinzipien gegenüber<br />
der NS-Ideologie enthalten. Doch nicht nur dies allein:<br />
Seine Absichten überschnitten sich auch mit dem<br />
Gedankengut des Gründers der dänischen Volkshochschule<br />
N.F.S. Grundtvig, der nach geistiger Eigenständigkeit<br />
der Bauern im Rahmen des gegenwärtigen Wiederaufbaus<br />
strebte. 85 Damit lässt sich wohl sagen, dass<br />
<strong>Reichwein</strong>s Absicht im Grunde mit dem Wunsch nach<br />
'geistigem Erwachen' des in die Unterstützung des NS-<br />
Staates integrierten Bauernstandes und einer vollständigen<br />
Landreform übereinstimmte. So betrachtet wurden<br />
die durch die Praxis an der Landschule in Tiefensee erlangten,<br />
oben beschriebenen Widerstandsprinzipien unter<br />
begrenzten Bedingungen und zukunftsgewandt der<br />
darauffolgenden jungen Generation eingepflanzt und<br />
von dieser übernommen.<br />
3. Schlusswort<br />
Die obige Diskussion hat sich auf die Aspekte des �Widerstands�<br />
gegenüber der NS-Reform in <strong>Reichwein</strong>s<br />
Schulpraxis in dem kleinen Straßendorf Tiefensee konzentriert,<br />
um die Realität der antinazistischen Erziehung<br />
zu einem bestimmten Grade aufzuklären. Am Schluss<br />
dieser Arbeit möchte ich die grundlegenden Merkmale<br />
der Tiefenseer Unterrichtspraxis zusammenfassend<br />
noch einmal skizzieren.<br />
Zunächst muss gefragt werden, wie <strong>Reichwein</strong>s Tätigkeiten<br />
als solche im NS-System überhaupt möglich waren.<br />
Dies ist nicht nur auf vorteilhafte äußere Umstände,<br />
d.h. persönliche Verbindungen zum Kultusministerium<br />
über Kontakte zur sog. �Becker-Gruppe� und den dadurch<br />
gebotenen Schutz, sowie auf Lücken und die inkonsequente<br />
Durchführung der �Gleichschaltung� im<br />
Schulsystem zurückzuführen. Wichtig ist dabei, dass<br />
<strong>Reichwein</strong>s Standpunkt der NS-Erziehung ähnelte. Dieser<br />
Berührungspunkt entstand durch das �Landleben�,<br />
das als Konzept seinen Vorstellungen zugrunde lag, sowie<br />
den damit unzertrennbaren Erfahrungen mit der �Jugendbewegung�.<br />
Mit anderen Worten: <strong>Reichwein</strong> und<br />
die NS-Erziehung finden sich durch seine Vorliebe für<br />
das Dorfleben und seine Erkenntnis über eine notwendige<br />
Landschulreform (Kritik der traditionellen Schule) gewissermaßen<br />
in der gleichen Arena. Außerdem können<br />
seine auf praktischen Erfahrungen basierenden Konzepte,<br />
wie die �Gruppenbildung� beim Lernen sowie die<br />
�Verheimatlichung� (�Lebensnähe�, �Bodenständigkeit�)<br />
als auch die Methode des �Gesamtunterrichts�, die im<br />
Rahmen der verschiedenen reformpädagogischen Strömungen<br />
entwickelt wurden, auf nazistische Weise inter-<br />
85 Siehe dazu Peter Rosbach (Pseudonym von <strong>Adolf</strong> <strong>Reichwein</strong>):<br />
Grundtvig, in: Pädagogisches Zentralblatt, 13. Jg./1933<br />
(II, S. 22-37).<br />
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pretiert und gedeutet (�nazifiziert�) werden, andererseits<br />
aber auch wieder voneinander getrennt werden. Auf diese<br />
Weise hatte er von Anfang an genügend Spielraum,<br />
um seine Tätigkeit in Tiefensee dem äußeren Anschein<br />
nach an die NS-Erziehungsreform anzupassen. Allerdings<br />
handelte es sich hier in der Tat um Tätigkeiten an<br />
einer Versuchsschule, die den Zweck hatte, die Reformen<br />
voranzutreiben, was ihm andersherum ermöglichte,<br />
seinen antinazistischen �Widerstand� in seine Argumentation<br />
mit einzuschließen. <strong>Reichwein</strong>s �Versuch einer<br />
pädagogischen Insel� (W. Huber) 86 im nationalsozialistischen<br />
Deutschland konnte nur unter diesen Voraussetzungen<br />
realisiert werden.<br />
Die zweite Frage muss in Bezug auf die Realität des<br />
�Widerstands� in Tiefensee gestellt werden. Bei diesem<br />
Diskussionspunkt handelt es sich darum, wie <strong>Reichwein</strong><br />
die im Rahmen der NS-Reform geförderte dualistische<br />
Jugendpolitik, auf Grund derer es zu Schwankungen der<br />
schulischen Erziehung und darüber hinaus zu deren<br />
kraftlosen gefährlichen Manifestation kam, entlang den<br />
Vorstellungen der unvollendeten Weimarer Erziehungsreform<br />
umstrukturieren wollte und in seinen Aktivitäten<br />
verwirklichte. Wie oben ausgeführt, war die �neue� Schule<br />
= eine �Erziehungsgemeinschaft� und fand als solche<br />
in der Tiefenseer Landschule eine charakteristische Existenz-<br />
und Aktivitätsform, in der sein der NS-Reform<br />
gegenüber oppositioneller Standpunkt deutlich sichtbar<br />
sein sollte. Dies besagt, dass die Reformpädagogik -<br />
und mit ihr die Vorstellungen und Methoden der Reformbewegung<br />
- durch Absorption und Berufung auf einer<br />
geschickten Kombination fußte und auf diese Weise ihr<br />
ganz eigene Gegenvorschläge gegenüber der Denunzierung<br />
der Schule durch die HJ und die NS-<br />
Erziehungsreform bildete. Damit kann die �ideologische<br />
Ausnutzung der pädagogischen Bewegung� (K. Aurin) 87<br />
in der NS-Erziehung auch als eine praktische Widerlegung<br />
aufgefasst werden. Wenn <strong>Reichwein</strong>s Gegenvorschläge<br />
hingegen vom erzieherischen Inhalt her betrachtet<br />
werden, wird seine im Zusammenhang mit der �Heimat�<br />
gegen die nazistische Ideologie opponierende<br />
grundlegende Haltung noch deutlicher. <strong>Der</strong> Gegensatz<br />
zwischen den Schemata von �'Heimat' zu 'Volk'� und<br />
�'Heimat' zur 'offenen Welt'� bringt dies im Besonderen<br />
zum Ausdruck. Es war eine notwendige Folge, dass<br />
<strong>Reichwein</strong> unter diesen Umständen das Motiv der �Selbständigkeit�<br />
verwendet und versucht, im Schulleben entgegen<br />
der NS-Lehre einen so weit wie möglich freien<br />
Raum zu schaffen.<br />
<strong>Der</strong> �Versuch einer pädagogischen Insel� in Tiefensee<br />
endete mit seiner Versetzung an das Berliner Staatliche<br />
86 W. Huber: Museumspädagogik und Widerstand 1939-1944,<br />
in: W. Huber/A. Krebs (Hrsg.): a. a. O., S. 309.<br />
87 K. Aurin: Die Reformpädagogik als Wegbereiter des Nazis -<br />
oder ideologische Ausnutzung der pädagogischen Bewegung<br />
durch die Nazis, in: Chr. Salzmann (Hrsg.): a. a. O., S. 356.