Der Lehrer wird's schon richten,... - Adolf-Reichwein-Verein
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eichwein forum Nr. 8 / Juli 2006<br />
men und autonome schulische Reformen gehören im<br />
allgemeinen eng zusammen und sind um des Erfolges<br />
willen aufeinander angewiesen. Die ideale Voraussetzung<br />
für pädagogische Reformen scheint eine Mischung<br />
von Anreizen/Anstößen von außen und internen Vorhaben/<br />
�Antworten� zu sein (z. B. Ganztagsschule); eine<br />
hohe Selbstständigkeit der innerschulischen Akteure ist<br />
für das Gelingen unerlässlich.<br />
Als Beispiel wähle ich die Ganztagsschule. Sie kann ein<br />
Anhängsel an die Vormittagsschule sein, die diese kaum<br />
berührt; sie kann aber auch zu einer völlig neuen Schule<br />
(Rhythmisierter Schultag, neue Lernformen, neue Angebote)<br />
führen.<br />
d) Ein Grundproblem der Schulreformen ist die Bildungspolitik.<br />
Ihre Ansätze sind zumeist kurzschrittig<br />
(Perspektive einer Wahlperiode oder weniger) und auf<br />
wenige Aspekte fokussiert, zuweilen auch sehr medienabhängig.<br />
Dies erzeugt in den Schulen vielfach berechtigte<br />
Abwehr. Allerdings sind Pädagoginnen und Pädagogen<br />
geneigt, die Eigengesetzlichkeit von Bildungspolitik<br />
zu verkennen; manche Kritik artet in modische Politikerbeschimpfung<br />
oder Ablehnung auch guter Vorschläge<br />
aus. <strong>Der</strong>zeit gibt es kein befriedigendes Gleichgewicht<br />
zwischen schulischen und politischen Notwendigkeiten.<br />
V Welchen Zusammenhang kann man zwischen der<br />
Praxis und den Schriften <strong>Reichwein</strong>s im Blick auf die<br />
heutigen schulpädagogischen Diskussionen und Vorhaben<br />
herstellen?<br />
<strong>Adolf</strong> <strong>Reichwein</strong><br />
�� Impulsgeber für heute<br />
Vortrag am 9. November 2005 in Bad<br />
Ems anlässlich des 50-jährigen Bestehens<br />
der <strong>Adolf</strong>-<strong>Reichwein</strong>-Förderschule<br />
Bad Ems<br />
Dr. Uli Jungbluth<br />
Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Mädchen<br />
und Jungs,<br />
hier im damaligen Ems, auf der anderen Lahnseite in der<br />
Bleichstraße, wurde vor 107 Jahren ein Mensch geboren,<br />
der nur 46 Jahre alt werden sollte. -<br />
Denken wir einmal selbst an unsere eigene Lebensgeschichte<br />
zurück. Lassen wir einmal unser eigenes Leben<br />
bis zum 47sten Jahr Revue passieren.<br />
Nun, was hätten wir an Impulsen aufzuweisen? An Impulsen,<br />
die gut 60 Jahre später noch Bestand hätten? Ja<br />
55<br />
an Impulsen, die über die Zeiten hinweg Gültigkeit hätten?<br />
Hand aufs Herz � fiele uns da spontan etwas ein? Oder<br />
müssten wir lange nachdenken? Vielleicht gar allzu lange?<br />
Im Blick auf <strong>Adolf</strong> <strong>Reichwein</strong> fällt uns solch Nachdenken<br />
nicht schwer.<br />
Stellen Sie sich vor, meine Damen und Herren, Sie würden<br />
ein viertel Jahr lang zunächst im Zuchthaus in Brandenburg-Görden<br />
und hernach im Polizeigefängnis �Lehrter<br />
Straße� in Berlin-Moabit sitzen, weil die beim Volksgerichtshof<br />
eingegangenen Anklagepunkte des Oberreichsanwalts<br />
gegen Sie wie folgt lauteten: �Landesverrat,<br />
Feindbegünstigung, Hochverrat, Nichtanzeige eines<br />
hochverräterischen Unternehmens�. 114<br />
Stellen Sie sich vor, Sie würden vom Kopf bis zur Kniekehle<br />
grün und blau geschlagen; beim Schlafen wäre<br />
einer Ihrer Arme mit beiden Beinen zusammengekettet;<br />
Sie würden auf einem kleinen Zettel an Ihre Frau schreiben<br />
und um ein frisches Hemd bitten, da das alte voller<br />
Blutspuren wäre.<br />
Stellen Sie sich vor, Sie wären sehr blass und abgemagert.<br />
Sie hätten keine Stimme mehr. Denn bei den ständigen<br />
Verhören würde Ihre Kehle zugedrückt, um Aussagen<br />
zu erzwingen, und wenn Sie halb ohnmächtig<br />
würden, würden Sie mit kaltem Wasser übergossen.<br />
In dieser Situation hielt <strong>Reichwein</strong> stand. Er hat den angeklagten<br />
Berliner Arzt Dr. Rudolf Schmid nicht belastet.<br />
In dessen Praxis hatte sich <strong>Reichwein</strong> mit Kommunisten<br />
im Juni 1944 getroffen, um die Widerstandsbasis zu<br />
verbreitern. Wie <strong>Reichwein</strong> wenige Wochen vor seiner<br />
Verhaftung in Straßburg kommunistischen Widerstandsgruppen<br />
berichtete, seien alle Versuche zur 'Aktivierung<br />
der Feldmarschälle' gescheitert. Am 4. Juli 1944, 16 Tage<br />
vor dem 20. Juli, nimmt die Gestapo <strong>Reichwein</strong> fest.<br />
Bei der Hauptverhandlung im Oktober 1944 wird Dr.<br />
Schmid durch <strong>Reichwein</strong> entlastet, Schmid wird freigesprochen.<br />
Stellen wir weitere Fragen.<br />
Was würden Sie, meine Damen und Herren, in solcher<br />
Situation an Ihre älteste Tochter schreiben? Was würden<br />
Sie ihr mitgeben? Was wären die Kernsätze? Was Ihre<br />
Lebensmaxime?<br />
<strong>Adolf</strong> <strong>Reichwein</strong> schreibt am 16. Oktober 1944 an seine<br />
Tochter Renate folgendes:<br />
�(...) Sei auch Du hilfsbereit, wo immer du Gelegenheit<br />
hast. Denen, die es brauchen, zu helfen und zu geben,<br />
gehört zu den wichtigsten Aufgaben im Leben. Je stärker<br />
man ist, je mehr Freude man hat, je mehr man ge-<br />
114 Vgl. hierzu und zum Folgenden: Amlung, U.: <strong>Adolf</strong> <strong>Reichwein</strong><br />
1998-1944. Ein Lebensbild des Reformpädagogen, Volkskundlers<br />
und Widerstandskämpfers. Frankfurt/Main 1999, S.<br />
470-483; dort auch die Einzelbelege