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Der Lehrer wird's schon richten,... - Adolf-Reichwein-Verein

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eichwein forum Nr. 8 / Juli 2006<br />

und diese bei der Erschließung ihrer zukünftigen Schicksale<br />

unterstützt, wieder in sein ursprüngliches Recht zu<br />

bringen. 69 Aus dieser Beziehung wurde die Logik des<br />

von der HJ zur Denunzierung der Schule verwendeten<br />

�Generationenkonflikts� klar entfernt.<br />

1.3. Aus der obigen Darstellung leitet sich nun die Frage<br />

ab, wie aus der <strong>Lehrer</strong>-Schüler-Beziehung eine Erziehungsform<br />

aufgebaut werden soll. Dies stellt den zweiten<br />

Diskussionspunkt dar. Hier befasst sich <strong>Reichwein</strong><br />

mit der Gruppenbildung. Die Tatsache, dass die einklassige<br />

Schule Kinder von 6 bis14 Jahren umfasst, mag ein<br />

Grund hierfür sein. Für <strong>Reichwein</strong> lag der Zweck jedoch<br />

vielmehr darin, die Entwicklung des Kindes auf menschlicher<br />

Koexistenz basierend bewusst auf die �soziale<br />

Kraft� auszu<strong>richten</strong> (S. 177). 70 Von diesem Standpunkt<br />

aus breite sich in der �Gruppe� eine �Nachbarschaft� der<br />

gesamten Schülerschaft aus, auf der eine gemeinschaftliche<br />

Arbeits- und Betätigungsform in �Kameradschaft�<br />

(S. 189) aufgebaut werde. Wie weiter unten noch näher<br />

ausgeführt wird, stellt die dabei entstandene Gruppe eine<br />

Verschmelzung des �Werkschaffens� als Lerntätigkeit<br />

zu einem einheitlichen Ganzen (S. 30.) dar, wobei sich<br />

diese Gruppe aus frei gestalteten, offenen �Arbeitsgruppen�<br />

sowie der �Gruppe als Ganzes� zusammensetzt (S.<br />

185).<br />

Die Anwesenheit eines 'lernbehinderten' Kindes wird im<br />

oben umrissenen Schulalltag bei der Bildung der Gemeinschaft<br />

vorausgesetzt. Dies war für eines der Kinder<br />

in Tiefensee tatsächlich erforderlich, für welches nach<br />

dem Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses<br />

(im Juli 1933 in Kraft getreten) seit Januar 1934 die getrennte<br />

Einschulung in Hilfsschulen (= Sonderschulen)<br />

gefordert wurde (XV, Bd. 2. S. 341). Deshalb sollte die<br />

Tiefenseer Schule als �Lebenseinheit der Nachbarschaft�<br />

charakterisiert werden (III, S. 189). Mit anderen<br />

Worten, <strong>Reichwein</strong> ist prinzipiell der Ansicht, dass die<br />

nazistische Aussonderung von Behinderten zu eugenisch-rassistischen<br />

Zwecken (d.h. rassebiologische Auslese)<br />

abzulehnen sei. Dies findet auch in den folgenden<br />

Formulierungen seinen Ausdruck: �Wert und Wirksamkeit<br />

jeder Erziehungsgemeinschaft ist untrüglich am<br />

Stande ihrer Sorgenkinder abzulesen. [...] Es darf, so<br />

schwer die Verwirklichung ohne Fördergruppen auf dem<br />

Lande auch sein mag, kein Kind vernachlässigt oder gar,<br />

angeblich 'minderen Anspruchs', aus der Nachbarschaft<br />

offen oder insgeheim ausgeschieden werden. Es gehört<br />

ja gerade zum sozialen Reichtum dieser Nachbarschaft,<br />

daß sie die Schwachen mitbesorgen und mittragen<br />

kann.� (S. 185.)<br />

69 Das Wort "Erzieher" an Stelle des "<strong>Lehrer</strong>s" war ein nazistischer<br />

Modeausdruck. Diese besonderen Umstände würde<br />

<strong>Reichwein</strong> in Betracht ziehen.<br />

70 In diesem Zusammenhang würdigte <strong>Reichwein</strong> die Vorstellung<br />

von "Gemeinschaft" als Erziehungsgrundlage. Vgl. K. Fricke:<br />

Die Pädagogik <strong>Adolf</strong> <strong>Reichwein</strong>s. Ihre systematische<br />

Grundlegung und praktische Verwirklichung als Sozialerziehung,<br />

Frankfurt a. M. 1974, S. 66 -71.<br />

14<br />

Übrigens sind die oben beschriebenen Versuche einer<br />

Erziehungsgruppe als solche nicht unbedingt <strong>Reichwein</strong>s<br />

eigene Schöpfung. Es ist sicher, dass er einen<br />

Präzedenzfall dafür in den Lebensgemeinschaftsschulbewegungen<br />

seit 1910 fand, vor allem aber in der Versuchsschule<br />

�Jena-Plan� P. Petersens, den <strong>Reichwein</strong><br />

während seiner Jenenser Zeit kennengelernt hatte. 71<br />

Darüber hinaus jedoch spielt in seinen Plänen eher die<br />

Erfahrungen der frühen Jugendbewegung, die er als<br />

Sinnbild des �[...] geistigen Durchbruchs der 'Genossenschaft'�<br />

rückblickend gelobt hat (S. 174), eine große Rolle.<br />

Er war sich darüber bewusst, dass die (Tiefenseer)<br />

Erziehungsgruppe �in einer inneren geschichtlichen<br />

Verwandtschaft zu jener Bewegung der Jugend� steht<br />

(S. 194). In der Tat lässt sich sagen, dass sein Konzept<br />

der Entwicklung von der �Nachbarschaft� zur �Kameradschaft�<br />

grundsätzlich auf den im gemeinsamen Umfeld<br />

des Landlebens basierenden Erfahrungen mit dieser<br />

Bewegung aufbaut.<br />

Hier stellt sich nun die Frage, in welcher Beziehung die<br />

Erziehungsgruppe in Tiefensee zur HJ von Schirachs als<br />

�weltanschauliche Erziehungsgemeinschaft� (VII, S.<br />

130.) steht. Dies liegt darin begründet, dass der mit erzieherischen<br />

Werten belegte, von <strong>Reichwein</strong> gebrauchte<br />

Begriff der �Kameradschaft� der Jugendbewegung auch<br />

von der nazistischen Jugendführung verwendet und insbesondere<br />

in der Nachfolge der deutschen Jugendbewegung<br />

auch als organisatorische Grundvorstellung der<br />

HJ von dieser gepriesen wurde (VII, S. 77, 96). Allerdings<br />

fußten die Vorsätze der HJ zur �Selbstführung�<br />

und �Erziehung zur Unabhängigkeit�, die auf nazistischen<br />

Führerprinzipien im Rahmen paramilitärischer,<br />

organisierter Aktivitäten beruhten, auf der Gleichung<br />

�Hierarchie = Kontrolle�. In diesem Zusammenhang wurde<br />

darauf hingewiesen, dass die Durchführung dieser<br />

Aktivitäten konsequent auf eine �Gesamtheit� ausgerichtet<br />

war. 72 Dabei galten gegenüber dem �Ganzen� (d.h.<br />

HJ gleichbedeutend mit �Volksgemeinschaft�) als vorgegebene<br />

Existenz für die einzelnen Mitglieder der Gruppe<br />

ausschließlich absoluter Gehorsam und Hingabe. Mit<br />

anderen Worten, die von der HJ befürwortete �Kameradschaft�<br />

beruht auf einer vollständigen Ablehnung der<br />

�Subjektivität�, so dass der Begriff zu einem Synonym für<br />

eine totale �Gleichförmigkeit� der Überzeugungen und<br />

Handlungen der Jugend stand.<br />

Um den eigenen Standpunkt von der 'Substanz' der HJ<br />

zu unterscheiden, hat <strong>Reichwein</strong> darauf hingewiesen,<br />

dass �die (von der HJ geforderten; Anm. d. Verf.) sehr<br />

jungen <strong>Lehrer</strong>� dazu neigen würden, �(zu blindem Gehorsam<br />

zwingende; Anm. d. Verf.) steinalte Formen�<br />

einzusetzen. Im Gegensatz dazu würden sich die Aktivitäten<br />

in Tiefensee auch von den radikalpolitischen Bündischen<br />

Bewegungen unterscheiden, so dass sie eher<br />

71 Vgl. auch I. Rüttennauer: Brennpunkt Tiefensee, in: Pädagogik<br />

und Schule in Ost und West, Jg.15/1967, S. 349.<br />

72 A. Klönne: a. a. O., S. 55-56.

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