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Der Lehrer wird's schon richten,... - Adolf-Reichwein-Verein

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eichwein forum Nr. 8 / Juli 2006<br />

nen die Erfahrung der Reife des gelingenden Lebens<br />

noch abgeht. Auf jeden Fall aber gilt: der Gegenstand<br />

der Betrachtung ist der Schaft und die Ähre eines Halmes.<br />

Dieser wurde aus seinem Um-Feld herausgehoben.<br />

Er ist nun nicht mehr �gleichgültig� wie in der Perspektive<br />

der Arbeits- und Verbrauchsoptik des Alltagslebens,<br />

sondern bedeutsam. Er ist von eigenem Wert<br />

als eine Grundform des vegetativen Lebens. Diese wird<br />

mit Blick auf das Ganze und seine Teile in der Schönheit<br />

und inneren Wahrheit ihrer Form erfasst. Im kontemplativen<br />

Schauen kann sich das Angeschaute in<br />

seiner metapraktischen Perspektive zeigen. Dies gilt<br />

sinngemäß auch für Beachtung und Betrachtung der<br />

übrigen �Natur- und Kunstformen�, von denen die Rede<br />

war: Jedesmal ist ein Moment des Innehaltens zu bemerken,<br />

des verweilenden Betrachtens, Beobachtens,<br />

Schauens und Bedenkens, das nach dem Wesen und<br />

Beweggrund der Erscheinung sucht.<br />

2. 2 <strong>Der</strong> goethische Aspekt<br />

Fassen wir den hier unterbreiteten �Kanon der Grundformen�<br />

zugleich mit dem �Gesetzmäßigen�, das die<br />

von <strong>Reichwein</strong> genannten Naturformen und Artefakte<br />

hinsichtlich des Zusammenhanges von Inhalt und Form<br />

(Form und Funktion, Wesen und Erscheinung) verbindet,<br />

noch einmal in den Blick. Es wird dann offenkundig,<br />

dass das Dargestellte über eine auf Geschmacksbildung<br />

zielende Formenkunde noch hinausgeht. - Ohne Zweifel:<br />

<strong>Der</strong> �aus Ton gebrannte Krug�, von dem im Basistext<br />

abschließend die Rede ist, kann für den handwerklichen<br />

Formenschatz stehen, dessen Verlebendigung im Stilgefühl<br />

einer neuen Generation das besondere Anliegen<br />

des Volkskundlers <strong>Reichwein</strong> war. Aber die Ausrichtung<br />

der Grundsatzformulierungen nicht nur auf die �Kunstformen<br />

des menschlichen Schaffens� sondern zugleich<br />

auch auf die �Formen der Natur� und die Betonung der<br />

�nahen inneren Verwandtschaft der Natur- und Kunstformen�<br />

hinsichtlich ihrer Begründung im �Gesetzmäßigen�<br />

verweist mit struktureller Signifikanz auf das Naturund<br />

Kunstverständnis Goethes. 30 Wilhelm v. Humboldt<br />

fasste diese Deutung der künstlerischen Produktion von<br />

den Wachstumsgesetzen und der Ästhetik der Naturformen<br />

her in seiner Rezension von Goethes zweitem römischen<br />

Aufenthalt in die Worte: �Goethes Dichtungstrieb,<br />

verschlungen in seinen Hang und seine Anlage zur<br />

bildenden Kunst, und sein Drang, von der Gestalt und<br />

dem äußeren Objekt aus dem inneren Wesen der Naturgegenstände<br />

und den Gesetzen ihrer Bildung nachzuforschen,<br />

sind in ihrem Prinzip eins und ebendasselbe<br />

und nur verschieden in ihrem Wirken.� 31<br />

2.3 <strong>Der</strong> kosmologische Aspekt<br />

Die Naturstudien Goethes waren auf den Umkreis der<br />

mit dem (geistigen) Auge wahrnehmbaren Phänomene<br />

28<br />

zentriert. <strong>Der</strong> Morphologe sah mit �gegenständlichem�<br />

Blick die auf das kosmologische Ganze verweisende<br />

Gestalt und �innere Form� der Dinge des Mineral-<br />

Pflanzen- und Tierreichs. Das Weltbild Humboldts umfasste<br />

demgegenüber als Resultat einer �schöpferischen<br />

Verschmelzung Goethischer Methodik mit den<br />

Ergebnissen und der Arbeitsweise der technischmathematisch<br />

eingestellten Naturwissenschaft� (W.<br />

Linden) das universale Ganze des Himmels- und Erdraumes<br />

vom Standpunkt der eigenen Forschungen und<br />

des Weltwissens seiner Zeit. Während Humboldt �die<br />

gesetzmäßige Ordnung der Himmelsräume wie abgespiegelt<br />

im Erdeleben� sah, suchte Herder, so könnte<br />

man mit Humboldt formulieren, nach deren �Abspiegelung�<br />

im Gang der Menschheitsgeschichte. Die physische<br />

und die moralische Welt wurden von ihm nach der<br />

�großen Analogie der Natur� als kosmologische Einheit<br />

verstanden. Unbeschadet dieser unterschiedlichen Akzentuierungen<br />

erfolgte die Deutung der Welt bei Goethe,<br />

Herder und Humboldt als �Kosmos� - als �Universum,<br />

als Weltordnung, als Schmuck des Geordneten�<br />

(Humboldt) - letztlich vom Standpunkt der alteuropäischen<br />

Kosmostheorie. 32 Für das von ihr konstituierte<br />

Weltbild sind die strukturellen Begriffe �Hierarchischer<br />

Stufenbau� (die drei Reiche der Natur und der naturbedingten<br />

Menschenwelt nach der Ordnung der scala naturae),<br />

�Allzusammenhang� (Vernetzung, wechselseitige<br />

Abhängigkeit), �Harmonie� (Gleichgewicht der Proportionen<br />

und Kräfte) von grundlegender Bedeutung.<br />

Für die Rückführung des universalen Ordnungsgefüges<br />

auf die Gestaltungskraft einer geistigen Potenz metaphysischen<br />

Ursprungs, die auf �Entelechie� (Entwicklung,<br />

Metamorphose) der �inwendigen Form� (Shaftesbury)<br />

der Dinge drängt, stehen die Begriffe der �Lebenskraft�<br />

(Herder, Humboldt) bzw. des �Bildungstriebes�<br />

(Goethe). Zum �Kosmos� als �Universum, als<br />

Weltordnung, als Schmuck des Geordneten� gehören<br />

als Insignien einer grundschichtigen Seinsdimension<br />

auch die �einfachen Formen� der �Formenkunde�: die<br />

kristallinen und vegetativen Wuchsformen der Natur<br />

bzw. �Erdlebens�-Formen (Bienenwabe, Schneekristall,<br />

Eisblume; Gletscher, Dünen, Wolken, Pflanzen) ebenso<br />

wie die originären Zweckformen der handwerklichen<br />

Kunst (Tonkrug, Gewebe, Geräte): Sie entstammen<br />

den drei Reichen der Natur und der naturbedingten<br />

Menschenwelt. Es sind ästhetische Phänomene, deren<br />

Gestalt durch �Harmonie� und �Gleichgewicht der Proportionen<br />

und Kräfte� bestimmt ist. Und ihnen liegt � in<br />

goethischer Weltsicht und mit den Worten <strong>Reichwein</strong>s<br />

gesagt � eine �aufbauende und ordnende� Kraft<br />

zugrunde: �Entelechie� (�Lebenskraft�, �Bildungstrieb�).<br />

3. Zusammenfassung<br />

Als Antwort auf die Frage nach dem Zusammenhang zwischen<br />

der �Formenkunde� und dem übrigen Unterricht ist

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