PDF 8.8 MB - orden pour le mérite

solange die Bedingungen zur Vervielfältigung gegeben sind, kommt
es zur lawinenartigen Vermehrung, die natürlich an ihre Grenze
stößt – z.B. wenn bei einer autokatalytischen Reaktion das Substrat
verbraucht ist und die beteiligten Moleküle zum Großteil als Produkt
vorliegen oder wenn im Computer der verfügbare Speicherplatz
belegt ist.
Was wir heute diskutieren wollen, ist die große Tragweite des Prinzips
Vervielfältigung und Selektion, was bei weitem nicht auf Evolution
im Sinne der Entstehung der Arten beschränkt ist. Vielmehr
kommt es in breiter Form in biologischen Systemen zum Tragen, da
diese ja die Fähigkeit zur Vervielfältigung auf vielen Ebenen haben:
Auf der molekularen, der zellulären und der organismischen Ebene.
Ich finde es hochinteressant, zu betrachten, wie die Natur mit dem
daraus resultierenden ›Reproduktionsdruck‹ umgeht, wie sie ihn
nutzt und oft Mühe hat, ihn in Schach zu halten. Es ist ja der Reproduktionsdruck,
aus dem bei Beschränktheit von Ressourcen der Selektionsdruck
entsteht. Man könnte dabei viele Beispiele diskutieren,
z.B. das Ausbrechen und die Bekämpfung von Infektionen oder
das Entstehen unseres Immunsystems, wobei eine Art Evolution auf
zellulärer Ebene stattfindet, oder die Bekämpfung von Computerviren.
Oder wir könnten die ›Biblischen Plagen‹ diskutieren, wovon
sieben (aus insgesamt 10) auf die massenhafte Vermehrung von Fröschen,
Heuschrecken, verschiedenem anderen Getier und von Mikroorganismen
zurückzuführen sind.
Die Vielfalt der Themen ist groß, die Selektion, die wir für den heutigen
Nachmittag getroffen haben, beschränkt sich auf zwei Prozesse:
zum ersten, die Entstehung biologischer Information, so wie
sie in unserem Genom als Ergebnis eines viele 100 Millionen Jahre
andauernden Prozesses der ›fehlerhaften‹ Reproduktion kombiniert
mit Selektionsdruck niedergelegt ist. Darüber wird uns Manfred
Eigen berichten.
Beim zweiten Beitrag von Robert Weinberg geht es um die Frage,
wie unser Körper dem Vervielfältigungsdruck seiner eigenen Zellen
standhält. Jede unserer Körperzellen ist ja im Prinzip reproduktionsfähig.
Damit aus einer Eizelle ein funktionsfähiger Organismus ent-
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