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PDF 8.8 MB - orden pour le mérite

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Tradition, doch die Wirkung auf politische und administrative Entscheidungen<br />

b<strong>le</strong>ibt begrenzt. Immerhin, die Hal<strong>le</strong>nser Medizinische<br />

Fakultät gewährt altsprachlich Versierten einen Bonus bei der Zulassung<br />

zum Studium.<br />

Sprachbewußtsein und präziser Sprachgebrauch sind nicht al<strong>le</strong>s.<br />

Menschliches Tun ist selten so eindeutig motiviert, daß man darüber<br />

in präzisen Begriffen reden kann. Literatur aber, neue und alte, in<br />

Poesie oder Prosa, vermag Tun und Reden der Menschen und ihre<br />

wahren oder vorgeblichen Beweggründe auch ohne begriffliche<br />

Fixierun g deutlich zu machen. Wer das und die Wege der Autoren<br />

zu diesem Ziel aus dem Umgang mit Literatur verstehen <strong>le</strong>rnt, erfährt<br />

das doppelte Vergnügen am anthropologischen und am ästhetischen<br />

Erkenntnisgewinn. Wo aus dem Unterricht dieses Vergnügen<br />

erwächst, wird sich auch die Bereicherung der sprachlichen<br />

Ausdrucksfähigkeit einstel<strong>le</strong>n, bestes Indiz für einen gelungenen<br />

Bildungsprozeß.<br />

Am Anfang des vorigen Jahrhunderts gab es im Reichstag heftigen<br />

Widerspruch gegen eine Militärvorlage der Regierung, und so begann<br />

der Reichskanz<strong>le</strong>r seine Replik:<br />

Lass’ es jetzt gut sein, Seni, steig’ herab,<br />

Der Morgen graut, und Mars regiert die Stunde.<br />

August Bebel, damals führender Kopf der Sozialdemokratie, war ein<br />

durch eigenes Bemühen hochgebildeter Mann und erkannte zweifellos<br />

das Zitat. Doch selbst im entgegengesetzten Fall hätte er schon<br />

aus der poetischen Diktion den von seinem Gegenspie<strong>le</strong>r intendierten<br />

Stil verstanden. Wenn er über eine aus der Literatur bereicherte<br />

Sprache verfügt, vermag ein Sprecher, ob mit oder ohne Zitate, sowohl<br />

der Sache als auch der jeweiligen Befindlichkeit des Gegenübers<br />

gerecht zu werden. So vermeidet er das Odium der Verbissenheit<br />

und kann auch der Ironie die ätzende Schärfe nehmen.<br />

Hoffen wir, daß die unabweisbaren Forderungen, welche die technische<br />

Zivilisation an unsere Schu<strong>le</strong>n richtet, Sprachen, Literaturen<br />

und musische Fächer nicht zu sehr in den Hintergrund drängen. Zur<br />

Bildung gehört gewiß die Fähigkeit, Hebel am technisch-admini-<br />

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