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Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 4/2010 - Ärztekammer ...

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SchleSwig-holStein<br />

Freiwillige Selbstkontrolle statt Ausstieg<br />

Bundesmodellprojekt „Skoll“ geht<br />

neue Wege in der Suchttherapie<br />

Alkohol, Medikamente, Kaufrausch oder Glücksspiel: Bundesweites Projekt<br />

stärkt Eigeninitiative<br />

„Skoll“ steht für Selbstkontrolltraining – ob beim Alkohol<br />

und Rauchen, beim Spielen oder Chatten am<br />

PC, beim Essen oder Hungern, bei aggressivem<br />

oder selbstverletzendem Verhalten. Nach Angaben<br />

der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS)<br />

haben etwa 36 Millionen Menschen in Deutschland<br />

ein Problem mit Zigaretten, Alkohol, Glücksspiel,<br />

dem Internet und anderen Konsum- oder Verhaltensweisen,<br />

die Suchtgefahr bergen. Gefordert seien<br />

neue Beratungs- und Hilfemodelle für Menschen mit<br />

problematischem Konsumverhalten.<br />

Oft seien es die Allgemeinärzte, die zuerst mit diesen<br />

Mustern bei ihren Patienten konfrontiert werden,<br />

sagt Heidi Gräßle, von Frauen Sucht Gesundheit.<br />

Sie seien wichtige Ansprechpartner, wenn es darum<br />

gehe, sich mit dem eigenen Konsum und Verhalten<br />

auseinanderzusetzen. Doch es gibt Ängste und<br />

Hemmschwellen. Das Kursprogramm „Skoll“ versucht,<br />

diese als niedrigschwelliges Trainingsangebot<br />

zu umgehen. Selbstheilungskräfte, vorhandene<br />

Ressourcen, eigene gesunde Verhaltensmuster und<br />

Bewältigungsstrategien werden dabei gefördert und<br />

genutzt.<br />

„Skoll“ ist ein Bundesmodellprojekt, 16 Einrichtungen<br />

sind beteiligt, davon ist die Kieler Beratungsstelle<br />

die einzige in <strong>Schleswig</strong>-Holstein und bundesweit<br />

die einzige, die geschlechtsspezifisch arbeitet.<br />

Grundidee ist ein Perspektivenwechsel. Niemand<br />

wird wegen seines Verhaltens an den Pranger gestellt<br />

oder verurteilt. Ganz bewusst nehmen die Mitarbeiterinnen<br />

der Suchtberatungsstelle wie Heidi Gräßle<br />

eine akzeptierende Haltung ein. Der neue Ansatz: An<br />

dem Training sollen Männer und Frauen aller Altersgruppen<br />

teilnehmen, unabhängig davon, welches<br />

Suchtmittel sie konsumieren oder welches Suchtverhalten<br />

sie zeigen. Damit unterscheidet sich „Skoll“<br />

nach eigenen Angaben von herkömmlichen Programmen,<br />

die sich an klar beschriebene Zielgruppen<br />

richten. An elf Gruppenabenden besprechen die<br />

Teilnehmer, was sie treibt. Denn es gibt etwas, was<br />

36 <strong>Schleswig</strong>-<strong>Holsteinisches</strong> <strong>Ärzteblatt</strong><br />

die Sucht nach Alkohol und Nikotin, nach den Stunden<br />

vor dem Computer oder den Drang zum Einkauf<br />

verbindet: Alle diese Verhaltensweisen dienen als<br />

Beruhigungsmittel (um zu betäuben, Ängste zu unterdrücken),<br />

als Aufputschmittel (um sich Glücksgefühle<br />

zu verschaffen und eine innere Leere zu füllen)<br />

und zur Bestätigung – als Ersatz für Anerkennung in<br />

anderen Lebensbereichen, Trost oder Belohnung.<br />

Die Frauen fragen die Teilnehmer: Benötigen Sie das<br />

Glas Wein, die Zigarette? Beglücken sie Sie über den<br />

Moment hinaus? Haben Sie das Geld dafür? Gibt es<br />

nicht andere Rituale, die ähnlich stärken, den Moment<br />

auskosten lassen?<br />

Das Training möchte das Risikobewusstsein fördern<br />

und die Eigenverantwortlichkeit für das eigene Verhalten<br />

und die eigene Gesundheit stärken. Die kognitive<br />

Bearbeitung des riskanten Suchtmittelkonsums<br />

soll helfen, eingeengte Denk- und Lebensmuster<br />

zu überwinden, erläutert Gräßle. Die Auseinandersetzung<br />

in der Gruppe fördert die realistische<br />

Selbsteinschätzung der Teilnehmer. Alle müssen<br />

sich selbst beobachten, ein Profil erstellen, sich auf<br />

dieser Grundlage täglich analysieren, Gefühle herausfiltern,<br />

um Situationen zunächst zu erkennen und<br />

dann meistern zu lernen. Anspannung und Stress<br />

sollen nicht der Schlüssel zu Konsum oder den vertrauten<br />

Verhaltensgewohnheiten sein. Wissenschaftler<br />

wie Prof. Martin Härter (Institut und Poliklinik für<br />

Medizinische Psychologie am UKE) begleiten das<br />

Bundesmodellprojekt.<br />

Erste Ergebnisse zeigen: „Manche Teilnehmer schaffen<br />

es, das Problem zu reduzieren, andere wollen<br />

den Ausstieg und entscheiden sich für eine Therapie“,<br />

sagt Heidi Gräßle und beschreibt, was ebenfalls<br />

zählt: „Manchmal ist es ein Erfolg, wenn das Problem<br />

auf gleichem Level bleibt – denn so wird unter<br />

Umständen die harte Suchtkarriere verhindert.“<br />

Infos: Frauen Sucht Gesundheit <strong>Schleswig</strong>-Holstein,<br />

Tel. 0431/61549, www.skoll.de<br />

Annemarie Heckmann

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