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Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 4/2010 - Ärztekammer ...

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4. Die Diagnose ist eine Ausschlussdiagnose.<br />

Praktisch konfrontiert sind damit in erster Linie Allgemeinmediziner,<br />

Internisten, Kardiologen, Anästhesisten/Intensivmediziner,<br />

Orthopäden, Neurologen,<br />

Pulmologen und der Bereich der physikalischen Medizin.<br />

Das PPS ist zugleich ein therapeutisches Problem,<br />

denn es gibt keine hinreichend befriedigende<br />

physiotherapeutische und medikamentöse Einflussmöglichkeit.<br />

Kausal handelt es sich um einen neurogenen<br />

Strukturdefekt. Dieser ist als solcher nicht<br />

heilbar, sondern nur eingeschränkt symptomatisch<br />

behandelbar. Die wesentliche Therapie besteht in einer<br />

dosierten Entlastung des neuromuskulären Systems<br />

einschließlich der respiratorischen Komponente.<br />

Das gilt gleichfalls für die kontrollierte Physiotherapie<br />

unter Beachtung ihrer speziellen Risiken bezüglich<br />

des PPS. Nicht vergessen werden darf die<br />

Überlastungsprävention auf psychischem Gebiet.<br />

Bei seiner Gratwanderung zwischen Minder- und<br />

Überbeanspruchung befindet sich der Patient in einem<br />

Circulus vitiosus mit zunehmender Behinderung.<br />

Damit erfüllt das PPS alle Bedingungen einer<br />

chronischen Erkrankung. Mobilität, funktionelle Unabhängigkeit<br />

und Entlastung sind nicht zuletzt auch<br />

durch technische Hilfsmittel vordringlich prophylaktisch<br />

zu befördern oder zu erhalten. Die Progredienz<br />

liegt bei ungefähr 1 Prozent jährlich und kann nach<br />

neueren Erkenntnissen bei vermuteter Altersabhängigkeit<br />

unter relativ extremer Belastung bis zu 17<br />

Prozent (Zitat FRANZ)) betragen, wobei die Altersabhängigkeit<br />

eigentlich als Ausdruck von Belastungsdauer,<br />

Belastungsgröße und Vorschadensgröße zu<br />

werten ist.<br />

Beim Einsatz von Medikamenten wurde bisher kein<br />

signifikant positiver Effekt auf das PPS nachgewiesen.<br />

Dagegen können PPS-Patienten durch eine unkritische<br />

Arzneiverordnung gefährdet werden. Das<br />

kann unter anderem bei Betablockern, Cholesterinsenkern,<br />

Myorelaxantien, Narkotika/Anästhetika,<br />

Opiaten und Psychopharmaka der Fall sein. Narkosen<br />

und Operationen stellen für diese Patienten ein<br />

besonderes Risiko dar. Besonders risikobehaftet ist<br />

die Atmung.<br />

Die oben genannten Probleme allein schränken häufig<br />

ihres Folgeaufwandes wegen den notwendigen<br />

Behandlungsumfang ein. Erschwerend kommt hinzu,<br />

dass bis heute ein mangelhafter spezifischer<br />

Kenntnisstand bei der überwiegenden Zahl der Ärzte<br />

und Patienten sowie leider auch eine nicht selten<br />

anzutreffende Ignoranz bei der medizinischen,<br />

Medizin und Wissenschaft<br />

einschließlich der sozialmedizinischen, der sozialen<br />

und sozialpolitischen Betreuung eine adäquate<br />

Versorgung der Betroffenen verhindert, ja darüber<br />

hinaus sehr häufig zu Fehldiagnosen, Fehlbehandlungen<br />

und Fehlentscheidungen mit teilweise fatalen<br />

Folgen für die Lebensqualität der PPS-Patienten<br />

führt. Die Probleme des PPS liegen grundsätzlich in<br />

der Sache, werden jedoch leider viel zu häufig zum<br />

Nachteil bzw. Schaden für den Patienten durch interpersonelle<br />

Probleme aus dem Arzt-Patient-Verhältnis<br />

überdeckt.<br />

Das Post-Polio-Syndrom lehrt uns, dass Poliomyelitisinfektion<br />

und Poliomyelitiserkrankung mehr Schäden<br />

setzen, als sich aus ihrem klinischen Erscheinungsbild<br />

und dem der Primärfolgen ableiten lässt.<br />

Es ist nicht heilbar, chronisch progredient, sein Verlauf<br />

ist weitgehend schicksalhaft und individuell sehr<br />

unterschiedlich ausgeprägt.<br />

Zur Vertiefung dieser abrisshaften Darstellung muss<br />

auf die zahlreichen einschlägigen Literaturstellen<br />

verwiesen werden.<br />

Literatur beim Verfasser oder im Internet unter<br />

www.aeksh.de<br />

Dr. Peter Brauer, Mitglied im Ärztlichen Beirat der Polio-Selbsthilfe<br />

e. V., Internet www.polio-selbsthilfe.net<br />

Ausgabe 4 | April <strong>2010</strong> 61

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