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Report_Issue 1/2009 - Jubiläum/ 20 Jahre Mauerfall

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Manuela Hötzl: Sie sagten einmal, dass mit<br />

dem Fall des Eisernen Vorhangs „Pandora’s<br />

box of political nightmare“ für Kroatien geöffnet<br />

wurde. Gleichzeitig hatte dort schon unter<br />

Tito eine wesentliche Entwicklung Richtung<br />

Unabhängigkeit ihren Anfang genommen. Wie<br />

ist die Situation momentan in Kroatien?<br />

Vedran Mimica: In den fünfziger, sechziger<br />

und siebziger <strong>Jahre</strong>n unterschied sich Jugoslawien<br />

in vielen Aspekten von anderen osteuropäischen<br />

Ländern hinter dem ehemaligen<br />

Eisernen Vorhang. Vor allem, weil Tito nicht<br />

vergleichbar mit anderen politischen Repräsentanten<br />

jener Zeit, wie Breschnew, Ceaus¸escu<br />

oder Honecker, war. Diese Politiker waren vollends<br />

vom sowjetischen Block dominiert – Tito<br />

bekanntlich nicht. Doch die Verhinderung einer<br />

Demokratisierung in der Ökonomie kostete<br />

ihn die politische Legalisierung in Europa und<br />

leitete die Entwicklungen dieses Landes, den<br />

Zustand, in dem es sich heute befindet, erst ein.<br />

Gleichzeitig war Jugoslawien in seiner Rolle als<br />

Pufferzone zwischen Ost und West ökonomisch<br />

höchst erfolgreich. Was Tito als eine Art politisches<br />

Genie, das er sicher war, auch für sich so<br />

definierte und ausspielte.<br />

Was bedeutete die integrative und doch internationale<br />

Politik Titos für die kulturelle Szene<br />

von Ex-Jugoslawien?<br />

Für die kulturelle Szene in Jugoslawien war der<br />

Zusammenbruch des Landes fatal. Man darf nicht<br />

vergessen, dass unter Tito künstlerische Freiheit<br />

möglich war. Eine Avantgarde – wie unter Stalin<br />

– „entstand“ nicht, sie war immer präsent. Während<br />

in Ostdeutschland oder der Sowjetunion der<br />

Stalin-Realismus als wichtigste Bewegung galt,<br />

hielt Joseph Beuys in Belgrad einen Workshop<br />

ab. Das zeigt den großen Unterschied.<br />

Waren die kulturellen Unterschiede und Identitäten<br />

damals gar nicht so wichtig, zum Beispiel<br />

zwischen Slowenien und Kroatien?<br />

Unterschiede gab es natürlich immer. Jugoslawien<br />

war nie ein homogenes Gebilde. Slowenien<br />

und den Kosovo kann man auch nicht<br />

miteinander vergleichen. Unterschiedliche Geschichte,<br />

Sprache, Ökonomie und Kultur waren<br />

in Jugoslawien immer miteinander verbunden.<br />

Ich vergleiche Ex-Jugoslawien gerne mit der<br />

heutigen EU. Die Unterschiede zwischen Portugal<br />

und Irland etwa könnten nicht größer<br />

sein. Das heißt nicht, dass das schlecht wäre.<br />

Schon Titos Idee war, dass besser entwickelte<br />

Nationen den weniger entwickelten helfen und<br />

beide voneinander profitieren sollen. Das ist<br />

heute exakt das „Argument“ der EU. Der große<br />

Unterschied liegt im Erfolg, den die EU hat,<br />

und dem Misserfolg, den Jugoslawien hatte.<br />

42<br />

Vedran Mimica (geboren 1954), kroatischer Architekt und Direktor des Amsterdamer Berlage-<br />

Instituts, ist immer noch eng mit seiner Heimat verbunden. Obwohl er seit 1979 im Ausland lebt,<br />

setzt er sich immer noch aktiv für sein Land ein. Im Interview analysiert er die Bedeutung von<br />

Tito und das Drama um Milošević für das Kulturleben in Kroatien heute. Doch neue Prozesse<br />

sind im Entstehen, denn eine engagierte Szene von unabhängigen Vereinen nimmt die kulturelle<br />

Entwicklung des Landes in die Hand.<br />

— Manuela Hötzl im Gespräch mit Vedran Mimica —<br />

Wurden die verschiedenen Nationalitäten denn<br />

früher hinsichtlich ihrer eigenen Identitäten<br />

unterstützt?<br />

Nein, diese Identitäten wurden unterdrückt.<br />

Nicht völlig, aber teilweise.<br />

Wird die Tito-Ära in Kroatien heute ignoriert<br />

oder idealisiert?<br />

Idealisiert? In Kroatien weniger. Es ist eher<br />

so, dass meine kroatischen Freunde fast alle<br />

Nationalisten sind. Offensichtlich existiert in<br />

diesem Land eine historisch begründete Tragödie,<br />

die hauptsächlich während des Zweiten<br />

Weltkrieges entstanden ist und die Kroaten in<br />

faschistische Nationalisten und föderalistische<br />

Kommunisten gespalten hat. Ich persönlich bin<br />

stolz, dass mein Vater ein „Titoist“ war. Aber<br />

andere sind es, weil ihre Väter kroatische Nationalisten<br />

waren. Diese ideologische Trennung<br />

ist nach wie vor präsent. Es ist zwar nicht so,<br />

dass wir Kroaten behaupten würden, dass der<br />

Zweite Weltkrieg noch nicht beendet wäre, aber<br />

in den öffentlichen Debatten ist das Thema<br />

weiterhin vorhanden.<br />

Beinhaltet dieser Nationalismus eine Vision?<br />

Ich würde sagen: Nein. Was passierte, ist – seltsam<br />

oder nicht – dass in der sozialpolitischen<br />

Landschaft während der neunziger <strong>Jahre</strong>, als<br />

der Krieg noch sehr präsent war, eine Art strukturalistischer<br />

Diskurs einsetzte. Die kroatischen<br />

Intellektuellen gaben sich links, jedoch links<br />

im Sinne der Frankfurter Schule oder Sartres.<br />

Diese Intellektuellen und ihre Ideen hatten sich<br />

nirgends durchgesetzt, sondern vielmehr eine<br />

seltsame nationalistisch-romantische Vision<br />

eines neuen Staates gefördert. Zu diesem Thema<br />

hat sich auch Boris Groys geäußert. Sinngemäß:<br />

Wenn man seine Geschichte einfach auslöscht,<br />

im Fall von Kroatien seine sozialistische<br />

und kommunistische, dann handle man wie<br />

ein Stalinist. Denn die Stalinisten negierten die<br />

russische Avantgarde, um zu einem neuen, reinen<br />

Ausgangspunkt zurückzukehren. Und das<br />

ist genau das, was die Intellektuellen zu Beginn<br />

der neunziger <strong>Jahre</strong> in Kroatien begünstigten:<br />

eine totale Auslöschung der modernen Tradition<br />

und die Rückkehr zu einer Romantik des<br />

19. Jahrhunderts. Aber wenn man Kroatien als<br />

Teil von Europa definieren will, darf man dieser<br />

neuen Gemeinschaft nicht so entgegentreten,<br />

sondern vielmehr multikulturell, dynamisch<br />

und modern.<br />

Milošević war das große Drama für Jugoslawien<br />

und Kroatien …<br />

Er war einer jener, die den Zusammenbruch Jugoslawiens<br />

und dessen Verschwinden initiierten.<br />

Seine Politik war eine der Zerstörung. Sla-<br />

voj Žižek würde argumentieren: Schauen Sie, es<br />

ist nicht das Balkan-Chaos, sondern vielmehr<br />

ein Chaos der westlichen Mächte, das Figuren<br />

wie Milošević hervorbringt. Sie haben ihn nicht<br />

etwa unterstützt, sondern gar erst geschaffen.<br />

Westeuropa war lange Zeit uneinig über die Bewältigung<br />

der Krise und die Frage der Zukunft<br />

Jugoslawiens. Als man dann im Jahr <strong>20</strong>00 reagierte,<br />

war es offensichtlich längst zu spät. Die<br />

Zersplitterung steuerte in Slowenien, Kroatien<br />

und Bosnien bereits auf ihren Endpunkt zu. Die<br />

Intervention im Kosovo brachte sie dann sozusagen<br />

zum Abschluss. In diesem Sinne wurde<br />

Milošević „vom Westen geschaffen“.<br />

Wie mächtig sind heute noch die Institutionen<br />

des einstigen Apparats?<br />

Manche Ministerien, Universitäten, wissenschaftliche<br />

und kulturelle Institutionen gebärden<br />

sich teilweise „sozialistischer“ als zuvor.<br />

Wenn dahin gehend nicht bald etwas passiert,<br />

wird es sehr schwer, irgendeine neue Entwicklung<br />

in Gang zu setzen. Das ist in allen Ländern<br />

so, nicht nur in Kroatien, sondern auch in<br />

Tschechien, Polen oder Ungarn.<br />

Gilt das auch für die Museen?<br />

Auch für sie. Parallel dazu kann man ein fantastisches<br />

Engagement der „NGOs in culture<br />

and architecture“ beobachten. Diese initiieren<br />

gerade eine interessante „alternative Szene“.<br />

Dennoch: Alternativ, wie sie viele nennen, ist<br />

sie meines Erachtens nicht. Diese unglaublich<br />

aktive kulturelle Produktion ist eher als urban<br />

zu bezeichnen – und multidisziplinär. Das soll<br />

heißen, sie wird von allen möglichen Seiten unterstützt.<br />

Arbeiten diese freien Vereine auch mit staatlichen<br />

Institutionen oder mit Stadtregierungen,<br />

etwa der von Zagreb, zusammen? Wird da untereinander<br />

kommuniziert?<br />

Natürlich, man kann nicht alles schlechtreden.<br />

Es gibt immer jemanden in den Ministerien,<br />

der diese freien Gruppen unterstützt, und eigentlich<br />

wird das von der EU auch erwartet.<br />

Aber manchmal gestaltet sich die Kommunikation<br />

schwer, weil ihnen das Wissen fehlt, etwa<br />

in Fragen des Städtebaus oder bezüglich strategischen<br />

Planens.<br />

Erfahren diese freien Gruppen momentan mehr<br />

Unterstützung als die eher trägen offiziellen Institutionen,<br />

regional wie international?<br />

Diese aktiven NGOs repräsentieren ohne Zweifel<br />

alles, was gerade in Kroatien interessant ist.<br />

Aber ich denke, dass das nicht genug sein kann.<br />

Diese Gruppen werden nie die nötigen Aktivitäten<br />

einer Regierung ersetzen können, schon<br />

gar nicht innerhalb der EU. Gerade unterliegen<br />

sie aber dem Glauben, das tun zu können. Doch<br />

ich denke, dass diese jungen Leute letztendlich<br />

zu clever sind, um wie Don Quijote und Sancho<br />

Pansa zu agieren. Kroatien muss sich in dieser<br />

Beziehung verändern. Seine Institutionen<br />

müssen reformiert werden, sonst ist es besser,<br />

sie zu schließen, als so weiterzumachen wie im<br />

Moment.<br />

Welche Rolle spielt die Privatisierung?<br />

Die Transformation von einem System in das<br />

andere, bei der Demokratie und der freie Markt<br />

über alle osteuropäischen Länder verbreitet<br />

werden, geht sicher ein wenig zu schnell und zu<br />

unkontrolliert vonstatten. Aber niemand kam<br />

und kommt mit einer besseren Lösung. Žižek<br />

wollte zwar über einen „dritten Weg“ nachdenken,<br />

eine Mitte zwischen Kommunismus und<br />

spätem Kapitalismus finden, aber es gab niemanden,<br />

der in der Lage war, das so umzusetzen.<br />

Welches Konzept hat Kroatien?<br />

Im Moment stellt sich die Frage, ob es wirklich<br />

gut ist, einfach alle Aspekte europäischer Integration<br />

in der Politik zu übernehmen, oder ob es<br />

für uns möglich ist, ein Konzept zu finden, das<br />

Kroatien mehr entspricht – doch das wäre wohl<br />

wie ein Wunder. Das sehe ich nicht.<br />

Was fehlt am meisten?<br />

Es gibt keine kritische Masse in Kroatien, die<br />

sich mit der Entwicklung des Landes ernsthaft<br />

beschäftigt. Es existiert keine Möglichkeit, aus<br />

diesem System, wie es jetzt ist, auszubrechen.<br />

In diesem Sinn unterstütze ich diese freien „alternativen“<br />

Vereine. Ihre Aktivitäten sind ausgesprochen<br />

gut für dieses Land. Das hat auch<br />

Auswirkungen auf Mazedonien, Serbien oder<br />

Albanien. Sie brachten zumindest einen internationalen<br />

Diskurs ins Land. Das brauchen wir<br />

zum jetzigen Zeitpunkt.<br />

Vedran Mimica (geboren 1954) ist Direktor des Berlage<br />

Instituts in Amsterdam (NL). Er studierte Architektur<br />

und war nach Abschluss seines Studiums Lektor für<br />

Architektur an der Universität Zagreb und Postgraduate<br />

Researcher an der Delft University of Technology. Zahlreiche<br />

Publikationen über Architektur und Architekturlehre.<br />

<strong>20</strong>07 leitete er u. a. das Kuratorenteam der Internationalen<br />

Architektur Biennale in Rotterdam.<br />

Erschienen im „<strong>Report</strong>“ im Juni <strong>20</strong>04 (online)

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