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Report_Issue 1/2009 - Jubiläum/ 20 Jahre Mauerfall

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„Die Geschichte der<br />

Gegenwartskunst<br />

in dieser Sammlung<br />

ist eine Geschichte<br />

von ‚Nachbarschaften‘“<br />

Die fünf Mitglieder der internationalen Jury von „Kontakt. Die Kunstsammlung der<br />

Erste Group“ für zeitgenössische und moderne Kunst im Überblick: Silvia Eiblmayr,<br />

Jiří Ševčík, Branka Stipančić, Adam Szymczyk, Georg Schöllhammer.<br />

Jirˇí Ševčík „Ich erwarte mir, dass die Sammlung<br />

jene Lücke schließt, die in vielen musealen<br />

Sammlungen klafft: Sie soll verdrängte<br />

Bilder des Unterbewussten zeigen. Ich freue<br />

mich darauf, dass eine hohe Konzentration<br />

bedeutender künstlerischer Arbeiten aus<br />

Osteuropa zu sehen sein wird, die auf unterschiedlichen<br />

Realitäten, unterschiedlichen<br />

Erfahrungen und unterschiedlichen Zeiten<br />

basieren. Die Sammlung könnte auch das<br />

zeigen, was wir gar nicht voneinander wissen<br />

wollen. Und vor allem könnte sie insofern<br />

Impulse setzen, als sie neue Erfahrungen verarbeitet,<br />

die wir noch vor uns haben. Dadurch<br />

werden wir wohl etwas in unsere Erfahrung<br />

aufnehmen müssen, das sich erstaunlicherweise<br />

auch als unsere Realität erweist, und<br />

wir werden mit etwas umgehen lernen müssen,<br />

das so fremd gar nicht ist und doch nicht<br />

den anerkannten Standards entspricht.“<br />

Jiří Ševčík war von 1962 bis 1965 u. a. Chefredakteur<br />

des Magazins „Architektura CSR“. Von 1966 bis 1989<br />

lehrte er an der Prager Architekturfakultät am Institut<br />

für Theorie und Geschichte der Kunst und Architektur.<br />

Seit 1996 ist er als Vize-Direktor der Akademie der angewandten<br />

Künste in Prag tätig und seit 1997 außerdem<br />

Leiter des Forschungszentrums und Archivs für<br />

tschechische Kunst.<br />

Silvia Eiblmayr „Die Auseinandersetzung<br />

mit der Kunst der ehemals sozialistischen,<br />

jetzt postsozialistischen Länder war immer<br />

Teil meines kuratorischen Interesses, das<br />

sich auch in der Arbeit für den Aufbau der<br />

Sammlung niederschlägt. Dabei sollte eine<br />

Erfahrung, die man mit Ausstellungen immer<br />

wieder machen kann, auch zum Tragen kommen,<br />

nämlich dass künstlerische Arbeiten,<br />

die in ausgesuchte Kontexte oder in spezielle<br />

thematische Zusammenhänge gesetzt werden,<br />

ästhetisch produktiv werden und bisher nicht<br />

beachtete Bedeutungen freisetzen können.<br />

Die Sammlung soll durch gezielt hergestellte<br />

Querverbindungen einen hermeneutischen<br />

Beitrag zum historischen und aktuellen Verständnis<br />

und zur Interpretation der geistigen,<br />

kulturellen und politischen Felder bilden, die<br />

die beteiligten Länder miteinander teilen oder<br />

in denen sie sich voneinander unterscheiden.“<br />

Silvia Eiblmayr ist Kunsthistorikerin. Von 1988 bis<br />

<strong>20</strong>04 arbeitete sie als Lektorin an der Akademie der<br />

bildenden Künste in Wien und u. a. an der Kunsthochschule<br />

für Medien Köln und an der Universität in Zürich.<br />

Von 1999–<strong>20</strong>08 war sie Direktorin der Galerie im Taxispalais,<br />

Innsbruck. <strong><strong>20</strong>09</strong> kuratierte sie zusammen mit<br />

VALIE EXPORT den Österreich-Pavillon bei der Biennale<br />

in Venedig.<br />

88<br />

Branka Stipančić „In vielen ost- und südosteuropäischen<br />

Ländern gibt es bekanntermaßen<br />

Sammlungen zeitgenössischer Kunst, die<br />

in Depots gehortet werden, weil die Museen<br />

über keine geeigneten Räumlichkeiten verfügen,<br />

um diese Werke der Öffentlichkeit zu zeigen.<br />

Man denke nur an die bemerkenswerte<br />

ArtEast Collection <strong>20</strong>00+ der Moderna Galerija<br />

in Ljubljana oder die Sammlung internationaler<br />

Kunst des Museums für zeitgenössische<br />

Kunst in Zagreb. Ich bin überzeugt, dass die<br />

Sammlung unterschiedliche, bis vor Kurzem<br />

eher isolierte Kulturräume verbinden und der<br />

Öffentlichkeit Arbeiten zeigen wird, die – aus<br />

rein nicht-künstlerischen Gründen – jahrelang<br />

unbeachtet geblieben sind. Ich zweifle nicht<br />

daran, dass die Sammlung den Dialog fördern<br />

und zu einem besseren Verständnis zeitgenössischer<br />

Kunst beitragen wird.“<br />

Branka Stipančić ist Kunstkritikerin und freie Kuratorin,<br />

lebt und arbeitet in Zagreb (Kroatien). Sie war von 1983<br />

bis 1993 Kuratorin am Museum für zeitgenössische<br />

Kunst in Zagreb und Direktorin des Soros Center für<br />

zeitgenössische Kunst in Zagreb von 1993 bis 1996.<br />

Georg Schöllhammer „Was mich an der Arbeit<br />

dieser Sammlung besonders interessiert,<br />

ist – neben der Hoffnung, mit ihr gewisse<br />

Ungleichgewichte in der Kunstgeschichtsschreibung<br />

der letzten Jahrzehnte ausgleichen<br />

helfen zu können – das Nachdenken<br />

über die Konsequenzen eines ‚global cultural<br />

flow‘. Die Sammlung wird thematisch etwas<br />

bündeln, um es dann wieder freizugeben und<br />

in verschiedenen Kontexten auch in der Herkunftsregion<br />

arbeiten zu lassen. Und das wird<br />

begleitet von Forschungsstipendien, Publikationen,<br />

einer Dokumentation von Kontextmaterial<br />

und einer wohl durchdachten Reihe von<br />

anderen Maßnahmen, die lokal Effekte haben<br />

sollen. Was in der gängigen Version des universalistischen<br />

Redens von der Globalisierung<br />

der Kunst und in vielen privaten Sammlungen<br />

unter den Tisch fällt, ist der Gründungsjury<br />

besonders wichtig: dass das Ethos von Lokalität<br />

eine Eigenheit des künstlerischen Lebens<br />

ist. Die Geschichte der Gegenwartskunst in<br />

dieser Sammlung als eine Geschichte von<br />

‚Nachbarschaften‘, das heißt von mehr oder<br />

weniger isolierten und labilen Bezugssystemen,<br />

zu erzählen, das wäre unser Anspruch.<br />

Adam Szymczyk „Die Sammlung schlägt eine<br />

deutlich andere, neue Richtung ein, öffnet<br />

sich der Kunst aus Mittel- und Osteuropa.<br />

Der von ihr betrachtete geografische Raum<br />

ist nicht und darf auch nicht zu eng gesteckt<br />

sein. Das Hauptaugenmerk liegt auf Kunst,<br />

die bisher größtenteils der Aufmerksamkeit<br />

bedeutender privater und öffentlicher<br />

Sammlungen (in Westeuropa) entgangen ist.<br />

Wir sind überzeugt, dass die Sammlung einen<br />

wichtigen Beitrag für ein umfassenderes Verständnis<br />

der Ausdrucksformen in der zeitgenössischen<br />

Kunst der letzten 40 <strong>Jahre</strong> leisten<br />

kann. Viele Arbeiten, die gezeigt werden,<br />

sind in Westeuropa kaum bekannt, selbst in<br />

Expertenkreisen nicht. Die Sammlung wird<br />

somit auch einen wichtigen erzieherischen<br />

Aspekt haben und – so bleibt zu hoffen – so<br />

manches Dogma der jüngeren Kunstgeschichte<br />

neu definieren.“<br />

Adam Szymczyk ist seit <strong>20</strong>03 Direktor der Kunsthalle<br />

Basel. Von 1994 bis 1995 war er kuratorischer<br />

Assistent für Film und Video am Zentrum für zeitgenössische<br />

Kunst in Warschau. Er war außerdem von 1997<br />

bis <strong>20</strong>03 als Kurator für die Stiftung Galerie Foksal in<br />

Warschau tätig. In den vergangenen zehn <strong>Jahre</strong>n arbeitete<br />

er an Ausstellungen und Publikationen von und<br />

über Künstler wie Pawel Althamer, Douglas Gordon,<br />

Susan Hiller, Job Koelewijn, Edward Krasinski, Piotr<br />

Uklanski und Krzysztof Wodiczko.<br />

Wir hoffen, dadurch und darüber auch zu<br />

einer Geschichte von neuer Kunst als einer<br />

Technik, die Lokalität produziert, beitragen<br />

zu können. Gleichzeitig hoffen wir, dass eine<br />

solche Sichtweise es ermöglichen wird, zu<br />

erkennen, welchen Anteil bei der Produktion<br />

entsprechender Kategorien Künstler, Intellektuelle,<br />

Museumsleute, Galeristen, die lokale<br />

Politik und das soziale, mediale, ökonomische<br />

Spannungsfeld etc. innehaben. Ich wünsche<br />

mir, dass es uns gelingt, über die nächsten<br />

<strong>Jahre</strong> mit dem Aufbau dieser Sammlung in<br />

diese Richtung zu arbeiten. Ich würde das<br />

– auch wenn das paradox klingen mag – als<br />

eine politische Aufgabe bezeichnen.“<br />

Georg Schöllhammer ist Leiter von tranzit Österreich,<br />

Kulturjournalist und Kurator. Von 1988 bis 1994 schrieb<br />

er für die Tageszeitung „Der Standard“. Seit 1992 hält<br />

Schöllhammer als Gastprofessor Vorlesungen über die<br />

Theorie der Gegenwartskunst an der Universität für<br />

künstlerische und industrielle Gestaltung in Linz. Er ist<br />

Chefredakteur und verantwortlicher Textchef bei „springerin<br />

– Hefte für Gegenwartskunst“ und war Herausgeber<br />

einer Publikationsreihe der „documenta 12“.<br />

Erschienen im „<strong>Report</strong>“ im April <strong>20</strong>05 (online)

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