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Report_Issue 1/2009 - Jubiläum/ 20 Jahre Mauerfall

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DIE<br />

ZUNGE<br />

REICHT<br />

(WIRKLICH)<br />

WEITER<br />

ALS DIE<br />

HAND<br />

— Lojze Wieser — — Lojze Wieser —<br />

Der Pionier Lojze Wieser blickt auf <strong>20</strong> <strong>Jahre</strong> Erfahrung als<br />

Verleger von Literatur aus dem südosteuropäischen Raum<br />

zurück.<br />

„Die slowenische Literatur gehört zu jenen ‚kleinen Literaturen‘, die im deutschen Sprachraum<br />

leider viel zu wenig bekannt sind. Das liegt keineswegs an ihrer Qualität, vielmehr an mangelnden<br />

(oder mangelhaften) Vermittlerleistungen, Übersetzungen, was wiederum zu einem erheblichen<br />

Teil auf mangelndes Publikumsinteresse und auf die Risiko-Unlust der Verlage zurückzuführen<br />

ist. Wenn in den letzten <strong>Jahre</strong>n von slowenischer Literatur die Rede war, so meist im<br />

Zusammenhang mit den kärntnerslowenischen Autoren Florjan Lipuš und Gustav Januš, für<br />

die sich Peter Handke als Übersetzer engagiert hat. Dass Gustav Januš für sein lyrisches Œuvre<br />

1984 den angesehenen Petrarca-Preis erhielt, hatte insofern stellvertretende Bedeutung, als die<br />

Auszeichnung dazu beitrug, die slowenische Literatur ins Bewusstsein vieler Leser zu rücken.“<br />

(Ilma Rakusa, „Neue Zürcher Zeitung“, 8. August 1986)<br />

Lesen ist Abenteuer im Kopf. Wenn ich auf die <strong>20</strong> <strong>Jahre</strong> zurückblicke, in denen wir nun schon im<br />

Wieser Verlag Literatur aus blinden Flecken Europas verlegt haben, dann zieht an meinem geistigen<br />

Auge wahrlich eine abenteuerliche Zeit vorbei.<br />

Als wir damals begonnen haben, Literatur aus dem europäischen Osten zu veröffentlichen, als wir<br />

begonnen haben, den vielen Literaturen dieses Raumes ein Gesicht zu geben, als wir die Texte von<br />

slowenischen, kroatischen, serbischen, albanischen, bulgarischen, rumänischen, ungarischen, tschechischen,<br />

slowakischen und polnischen Autorinnen und Autoren herauszugeben begannen, war die<br />

Sowjetunion noch nicht Vergangenheit, Jugoslawien noch nicht von einem Krieg zerstückelt und die<br />

Europäische Union in der heutigen Form unerreichbar. Da haben wir das Hoffen gelernt. Da haben wir<br />

die Ahnung von einer vielstimmigen Welt im Sinne gehabt, von der uns die Autorinnen und Autoren in<br />

ihren Büchern, ihren Versen, ihren Erzählungen und ihren Träumen berichtet haben und die uns deren<br />

Übersetzerinnen und Übersetzer ins Deutsche übermittelt haben.<br />

In diesen <strong>20</strong> <strong>Jahre</strong>n haben wir knapp 900 Bücher verlegt. Rund 15 Prozent davon sind Sachbücher<br />

und wissenschaftliche Werke, der Großteil Belletristik. Davon sind mehr als ein Drittel Übersetzungen<br />

aus dem ost- und südosteuropäischen Raum.<br />

Wir haben 1997 die Reihe „Europa Erlesen“, die erfolgreichste Serie des Verlages, begründet, in<br />

der wir knapp 10.000 Texte von mehr als 3.500 Autorinnen und Autoren in gut 150 Bänden gedruckt<br />

haben – wovon ein Drittel von Übersetzerinnen und Übersetzern aus über 50 Sprachen ins<br />

Deutsche übertragen wurde.<br />

In über 750 Vorträgen, Präsentationen, Lesungen und Diskussionen von Aachen bis Sarajewo, von<br />

Brüssel bis Košice, von Ankara bis Tirana und Ljubljana haben wir die Literatur sprechen lassen,<br />

über 100.000 Bücher haben wir zu Besprechungen an Redaktionen verschickt und über <strong>20</strong>.000mal<br />

haben diese Schriften in Besprechungen, Berichten und Anmerkungen Beachtung gefunden,<br />

in mehr als 3.000 Stunden hat die Stimme der von uns verlegten Literatur in den Radios Gehör<br />

gefunden und – zusammengenommen – in gut 300 Stunden via Fernsehen verzaubert.<br />

Unter den Übersetzungen nimmt die slowenische Literatur einen vorrangigen Platz ein. Allein im<br />

Wieser Verlag sind mittlerweile knapp 100 Werke aus dem Slowenischen beziehungsweise Bücher,<br />

die sich mit der slowenischen Literatur beschäftigen, erschienen. Nimmt man alle Veröffentlichungen<br />

der Verlage, vorwiegend mit slowenischem Hintergrund in Kärnten, so ist allein in diesen<br />

zwei Jahrzehnten mehr als das Doppelte an Übersetzungen aus dem Slowenischen erschienen<br />

als je zuvor.<br />

Es lohnt sich, würde ich meinen, sich um Literatur zu bemühen. Denn wo Krankheit ist, wächst<br />

auch das Heilende. Ist doch Literatur Medizin für die Seele und Friedenstifter zugleich. In Zeiten<br />

wie diesen erst recht, wo zusehends immer mehr Nationen beschworen werden und Angst<br />

vor Fremden geschürt wird, jedoch der Mensch, seine Sprache, seine Kunst und seine Literatur,<br />

die uns im Spiegel des Anderen erlauben, wir selbst zu sein, gerne vergessen werden. Denn die<br />

Erfahrung hat uns gelehrt: Literatur sollte die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln sein.<br />

Lojze Wieser wurde 1954 geboren und verlegt seit 1979 Bücher. Von 1981 bis 1986 war er Leiter des Drava Verlages<br />

und seit 1987 ist er Eigentümer des Wieser Verlags. Er wurde mit dem Ersten Österreichischen Staatspreis<br />

für Verleger ausgezeichnet. <strong>20</strong>04 erschien sein Buch „Die Zunge reicht weiter als die Hand – Anmerkungen eines<br />

Grenzverlegers“ (Czernin Verlag, Wien). Zuletzt erschienen: „Kochen unter anderen Sternen – Geschichten von entlegenen<br />

Speisen“ (Czernin Verlag, <strong>20</strong>07) und „Geschmacksverwandtschaften - Eine kleine europäische Speisefibel<br />

mit Rezepten“ (gemeinsam verfasst mit Christoph Wagner und Barbara Maier, Wieser Verlag, <strong><strong>20</strong>09</strong>).<br />

www.wieser-verlag.com<br />

THE<br />

TONGUE<br />

EXTENDS<br />

FURTHER<br />

(TRULY)<br />

THAN THE<br />

HAND<br />

The pioneer Lojze Wieser looks back on <strong>20</strong> years of<br />

experience as a publisher of literature from South-eastern<br />

Europe.<br />

“Slovene literature is one of those ‘small literatures’ that, unfortunately, are far too little known<br />

in the German-speaking world. This has nothing to do with its quality but more with the lack of<br />

(or inadequate) efforts to explain it, and of translations, something that in turn can be traced<br />

back to lack of interest on the part of the public and to the publishing houses’ unwillingness to<br />

take risks. Where Slovene literature has been mentioned in recent years this was generally in<br />

connection with the Carinthian Slovene authors Florjan Lipuš and Gustav Januš, for whom Peter<br />

Handke undertook translations. That Gustav Januš received the highly-regarded Petrarca Prize<br />

for his lyrical oeuvre in 1984 has a particular significance, in that this award then contributed<br />

to shifting Slovene literature into the awareness of many readers.” (Ilma Rakusa, NZZ 8 August<br />

1986).<br />

Reading is an adventure in the mind. When I look back over the twenty years during which we<br />

in Wieser Verlag have published literature from the uncharted territories of Europe then a truly<br />

adventurous period passes by my mind’s eye.<br />

When we began to publish literature from Eastern Europe twenty years ago, when we started to<br />

give the many different literatures from this area a face, when we began to publish Slovene, Croatian,<br />

Serbian, Albanian, Bulgarian, Romanian, Hungarian, Czech, Slovakian and Polish authors<br />

and their literature, the Soviet Union was not yet a thing of the past, Yugoslavia had not been cut<br />

up into pieces by war and the European Union in its present form was unachievable. We learned<br />

how to hope. We had in our minds an intimation of a world with many different voices that the<br />

authors told us about in their books, their verses, their stories and their dreams, and of how translators<br />

could transport these into German for us.<br />

In these twenty years we published almost 900 books, around 15 per cent of these are specialised<br />

books and scholarly works, but most are works of literature. Of these more than a third is made up<br />

of translations from Eastern and South-eastern Europe.<br />

In 1997 we set up the series Europa Erlesen, our most successful series, in which we alone printed<br />

10,000 texts from more than 3,500 authors in a good 150 volumes, one third of these were translated<br />

into German from more than 50 different languages.<br />

In over 750 lectures, presentations, readings, discussions from Aachen to Sarajevo, from Brussels<br />

to Košice, from Ankara to Tirana and Ljubljana we have enabled literature to speak for itself, sent<br />

over 100,000 books to editorial offices for discussions, and more than <strong>20</strong>,000 times they received<br />

recognition in the form of discussions, reports and notices, for more than 3,000 hours the voice<br />

of the literature we publish was heard on radio stations and – all in all – for over 300 hours it<br />

enchanted viewers via television.<br />

Among the translations Slovene literature occupies a leading place. In Wieser Verlag alone to date<br />

100 works translated from the Slovene or books dealing with Slovene literature have appeared.<br />

If one takes all the publications from our house, most of them with a Slovene background in Carinthia,<br />

then in these two decades alone more than twice as many translations from the Slovene<br />

appeared than ever before.<br />

I believe that making an effort on behalf of literature is worthwhile. Where there is sickness, healing<br />

also grows. Literature is medicine for the soul and a peacemaker at one and the same time.<br />

This is particularly the case in times such as these where, once more and increasingly, nations are<br />

invoked and xenophobia is stirred up, but humanity, its language, its art and its literature, which<br />

allow us to be ourselves in the mirror of others, is gladly forgotten! Experience has taught us: literature<br />

should be the continuation of politics but with different means.<br />

Lojze Wieser was born in 1954 and has published books since 1979. From 1981 to 1986 he was head of Drava Verlag<br />

and since 1987 is owner of Wieser Verlag. This publishing house received the First Austrian State Prize for Publishing.<br />

In <strong>20</strong>04 his book “Die Zunge reicht weiter als die Hand – Anmerkungen eines Grenzverlegers”, selected and edited<br />

by Barbara Maier, Franz V. Spechtler and Peter Handke appeared in Czernin Verlag, Vienna. Most recent publications<br />

include: “Kochen unter anderen Sternen – Geschichten von entlegenen Speisen” (Czernin <strong>20</strong>07) and Wieser/Wagner/<br />

Maier, “Geschmacksverwandtschaften – Eine kleine europäische Speisefibel mit Rezepten” (Wieser, <strong><strong>20</strong>09</strong>).<br />

www.wieser-verlag.com<br />

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