Report_Issue 1/2009 - Jubiläum/ 20 Jahre Mauerfall
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Antje Mayer: Das sieht ja lecker aus. Sie schneiden<br />
gerade einen Šopska-Salat für mich. Warum<br />
wird der bei mir zu Hause nie so gut wie auf<br />
dem Balkan?<br />
Barbara Maier: Man muss die Zutaten, Gurken<br />
und Tomaten, so klein wie möglich schneiden.<br />
Außerdem wird er in den Restaurants auf<br />
dem Balkan ausnahmslos frisch zubereitet. Da<br />
schwimmt in der Küche nichts stundenlang<br />
in der Salatsoße und wird durchgeweicht. Ich<br />
glaube, das ist letztlich das Geheimnis. Ach ja,<br />
keinen Essig verwenden. Am Tisch kann sich<br />
dann jeder selbst davon nehmen. Der Feta-<br />
Käse muss am Tisch frisch darübergerieben<br />
werden. Großzügig. Zwiebeln kann man meiner<br />
Meinung nach ruhig weglassen.<br />
Lojze Wieser: Für mich können die Stückchen<br />
ruhig ein wenig größer sein und große Zwiebelringe<br />
gehören für mich dazu. Da gehen unsere<br />
Meinungen etwas auseinander. Ich dachte immer,<br />
dass der Šopska-Salat, der dem griechischen<br />
Salat ähnlich ist, eine typisch jugoslawische<br />
Speise sei. Umso überraschter war ich, als<br />
ich hörte, woher sein Name kommt. Von dem<br />
Hirtenvolk der Schopen, die in der Gegend um<br />
Sofia in Bulgarien lebten. Die Schafhirten hatten<br />
Käse und Gemüse zur Genüge und brachten<br />
sich damit über die Sommermonate. Ich habe<br />
in Živko Skračić’ Buch „Artischockenherz und<br />
Mandelkern“ gelesen, dass es ähnlich einfache<br />
„Überlebensspeisen“ in Dalmatien gab. Dort<br />
aßen die Bauern täglich nur eine Faust Mandeln<br />
und tranken dazu Wein. Çopan heißt auf<br />
Türkisch übrigens Hirte, entsprechend wird<br />
dort der Salat in der gleichen Form „Çopan-<br />
Salat“, Hirtensalat, genannt.<br />
Ich kenne diesen Salat auch aus der Ukraine,<br />
wo man ihn mit viel Dill und Petersilie isst. Die<br />
fein gehackten Kräuter sind von der Menge her<br />
fast gleichwertig mit den restlichen Zutaten,<br />
dadurch schmeckt der Salat frisch und ist sehr<br />
vitaminhaltig.<br />
B. M.: Das klingt interessant. Man lernt nie<br />
aus. Das probieren wir gleich einmal aus (geht<br />
in den Garten und kommt mit einem Bündel<br />
Kräuter zurück).<br />
Sie waren vergangenes Jahr gemeinsam 17<br />
Tage lang auf dem Balkan auf kulinarischer Recherchetour.<br />
Was haben Sie geschmacklich mit<br />
nach Hause genommen?<br />
78<br />
Die Kultur- und Wissenschaftsvermittlerin Barbara Maier und der Verleger und Buchautor Lojze Wieser begaben sich<br />
auf eine kulinarische Entdeckungsreise auf den Balkan. Beide bewirteten Antje Mayer in ihrem Haus in Klagenfurt mit<br />
Šopska-Salat, Gulasch und kühlem Rakia, erzählten von ihren Geschmackserlebnissen und philosophierten über die<br />
gesellschaftliche Tragweite von Essen, Trinken und der Zubereitung von Speisen.<br />
— Antje Mayer im Gespräch mit Barbara Maier und Lojze Wieser —<br />
B. M.: Wir sind mit unserem betagten Škoda<br />
Octavia über 5.000 Kilometer gefahren, haben<br />
neun Länder bereist, 45 Interviews geführt, 38<br />
Lokale besucht und haben gut hundert Speisen<br />
verkostet. Ich habe mich pudelwohl gefühlt,<br />
kein Gramm zugenommen und hatte nie ein<br />
Problem mit der Verdauung.<br />
Was hat Ihnen am besten geschmeckt?<br />
B. M.: Ich war beeindruckt von der Vielfalt der<br />
neuen Geschmacksvarianten. In Erinnerung<br />
bleibt mir ein sehr sinnlicher Gesamteindruck.<br />
Kochen ist in den Restaurants des Balkans<br />
nichts, was man hinter einer Milchglasscheibe<br />
versteckt, sondern Bestandteil des ganzen Ess-<br />
und Trinkvergnügens. Man bereitet die Speisen<br />
teilweise noch am offenen Feuer zu und der<br />
Gast „isst“ als Vorspeise schon mit der Nase<br />
und natürlich auch mit den Ohren mit.<br />
Durch den Kommunismus, nicht zuletzt durch<br />
strenge EU-Normen und den Trend zur Globalisierung<br />
sind viele kulinarische Traditionen in<br />
den zentral- und südosteuropäischen Ländern<br />
verloren gegangen. Besinnt sich eine neue Generation<br />
nun wieder auf ihr „Gedächtnis der<br />
Zunge“?<br />
L.W.: In Slowenien wurde der Kochbuchklassiker<br />
„Slovenska kuharica“, der 900 Rezepte<br />
beinhaltet, immerhin bisher 28-mal aufgelegt.<br />
Die erste Auflage dieses Werks erschien 1868.<br />
Rezepte sind lebendige Dinge, die über die<br />
Jahrzehnte auch immer wieder Veränderungen<br />
erfahren. Die sogenannten „Fastenspeisen“<br />
etwa gibt es in den späteren Auflagen nicht<br />
mehr, weil im Sozialismus der religiöse Begriff<br />
des Fastens ja nicht verwendet werden durfte.<br />
Seit der Wende sind diese Speisen übrigens<br />
wieder drin.<br />
Aber reden wir es nicht schön: Viel Wissen um<br />
die Beschaffenheit, die Art der Zubereitung,<br />
nicht zuletzt die medizinische Heilfähigkeit<br />
von Nahrungsprodukten sind in Ost – wie in<br />
West – bereits unwiderruflich vergessen. Die<br />
Menschen verstehen heute nicht mehr mit Lebensmitteln<br />
umzugehen.<br />
Wir gehen heute mit Nahrungsmitteln verschwenderisch<br />
um. Die junge ukrainische<br />
Schriftstellerin Marjana Gaponenko wundert<br />
sich beispielsweise in einem Text, den sie für<br />
„<strong>Report</strong>“ verfasst hat, dass wir im Westen Müll<br />
ein Politikum“<br />
„Essen ist<br />
trennen. In der Ukraine sei das nicht nötig, weil<br />
es dort kaum etwas zum Trennen gebe, da alles<br />
verwertet werde.<br />
B. M.: Nehmen Sie etwa ein Huhn. Man kann<br />
vom Magen bis zum Kamm alles an ihm verwenden<br />
und muss nichts wegwerfen. Ich denke,<br />
dass man diesen Respekt vor den nährenden<br />
Dingen auf dem Balkan noch öfter erleben<br />
kann, weil der natürliche Zyklus der Dinge<br />
nicht durchbrochen ist.<br />
L. W.: Ich esse Innereien gerne und bereite sie<br />
ebenso gerne zu. Wenn meine Frau ihre Freundinnen<br />
einlädt, koche ich für sie Kuttelsuppe.<br />
Eine Sache des Vertrauens. Innereien sind im<br />
Allgemeinen günstig und – entgegen ihrem Ruf<br />
– gut für die Gesundheit. Rehleber beispielsweise<br />
hilft gegen Arthritis, aber die bekommt<br />
man im Geschäft gewöhnlich nicht, denn die<br />
Jäger behalten sich diese Spezialität für sich<br />
selbst. Aus hygienischen Gründen verlassen<br />
die Innereien viele Schlachthöfe nicht mehr; es<br />
kostet beispielsweise zu viel, einen Darm gut zu<br />
reinigen. Der „ekelige“ Rest wird bestenfalls zu<br />
Hunde- und Katzenfutter verarbeitet oder eben<br />
einfach entsorgt.<br />
Bewirken die vielen Kochsendungen, die auf<br />
dem Balkan ebenso wie bei uns das Fernsehprogramm<br />
füllen, nicht eine Rückbesinnung?<br />
L. W.: Viele, vor allem die Jüngeren, können<br />
nicht einmal mehr kochen, da ändern auch<br />
diese Lifestyle-Formate im Fernsehen nichts<br />
daran.<br />
Das macht sie immer mehr von einer globalen<br />
Nahrungsindustrie abhängig, die Fertigprodukte<br />
anbietet und einen möglichst allgemeinen<br />
Kundengeschmack befriedigen muss.<br />
Dadurch geht aber auch das Sensorium für die<br />
verschiedensten Geschmackskombinationen<br />
verloren und der Respekt vor der Produktion<br />
von Lebensmitteln. Dadurch verbreitet sich im<br />
Grunde auch zunehmend die Armut, da sich<br />
die Menschen nicht mehr selbst versorgen können.<br />
Apropos Armut: Sie erzählen in Ihrem Buch<br />
„Kochen unter anderen Sternen“ von der dorfbekannten<br />
Bettlerin Ina, die in Ihrer Kindheit zu<br />
Ihrer Familie in Abständen zu Besuch kam …<br />
L. W.: Wenn Ina kam, tischte meine Mutter<br />
nicht Margarine, sondern Butter auf. Sie bekam<br />
den echten Kaffee, der sehr wertvoll war,<br />
und mein Vater stellte ein Frakali, ein Gläschen,<br />
vom besten Schnaps auf den Tisch. Wohl<br />
ein Relikt aus dem Mittelalter, ein Memento<br />
mori: Je mehr du gibst, desto mehr Seelenheil<br />
erhältst du nach dem Tode. Gastfreundschaft<br />
war – wie heute noch auf dem Balkan – ein hohes<br />
Kulturgut, das das gesellschaftliche Gleichgewicht<br />
erhalten hat.<br />
Essen und Trinken verbindet!<br />
L. W.: Das Kochen gehört wie die Literatur zu<br />
den Eckpfeilern einer Kultur. Die Sprache und<br />
das Essen werden mit der Zunge „bearbeitet“,<br />
sind Ausdruck einer Identität, es bringt die<br />
Menschen zusammen, hat eine sozialhygienische<br />
Eigenschaft. Ich behaupte sogar, Essen ist<br />
ein Politikum.<br />
Kultur- und Wissenschaftsvermittlerin Barbara Maier,<br />
geboren 1961, studierte Germanistik und Kunstgeschichte.<br />
Sie ist Leiterin der Fachabteilung Wissenstransfer<br />
an der Alpen-Adria-Unversität Klagenfurt.<br />
Lojze Wieser wurde 1954 geboren und verlegt seit<br />
1979 Bücher. Von 1981 bis 1986 war er Leiter des Drava<br />
Verlages und seit 1987 ist er Eigentümer des Wieser<br />
Verlags. Er wurde mit dem Ersten Österreichischen<br />
Staatspreis für Verleger ausgezeichnet.<br />
Buchtipps<br />
Lojze Wieser: „Kochen unter anderen Sternen.<br />
Geschichten von entlegenen Speisen“, Czernin Verlag,<br />
Wien <strong>20</strong>07<br />
Hans Gerold Kugler, Barbara Maier: „Santoninos Kost“,<br />
Wieser Verlag, Klagenfurt/Celovec <strong>20</strong>01; erschienen in<br />
deutscher, slowenischer und italienischer Sprache<br />
„Geschmacksverwandschaften. Eine kleine europäische<br />
Speisefibel mit Geschichten und Rezepten“, zusammengestellt<br />
von Lojze Wieser, Christoph Wagner<br />
und Barbara Maier, Wieser Verlag, Klagenfurt/Celovec<br />
<strong>20</strong>08<br />
Norbert Schreiber, Lojze Wieser, „Wie schmeckt Europa?“,<br />
Wieser Verlag, Klagenfurt/Celovec <strong><strong>20</strong>09</strong><br />
www.czernin-verlag.at<br />
www.wieser-verlag.com<br />
Erschienen im „<strong>Report</strong>“ im Juli <strong>20</strong>08 (online)