Report_Issue 1/2009 - Jubiläum/ 20 Jahre Mauerfall
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Der Migrationsforscher Michael Jandl befasst sich dem heiklen Thema „Migration und illegale<br />
Beschäftigung“. Im Interview mit „<strong>Report</strong>“ erklärt er, warum die in Österreich geltenden<br />
Übergangsfristen bezüglich des Zuzugs von Arbeitnehmern aus den neuen EU-Mitgliedsländern<br />
nur zum Teil erfolgreich sein können – und wie eine vernünftige Migrationspolitik der Zukunft<br />
ausschauen könnte.<br />
— Barbara Tóth im Gespräch mit Michael Jandl —<br />
Barbara Tóth: In einer Studie, die vom österreichischen<br />
Wissenschaftsfonds FWF mitfinanziert<br />
wird, fokussieren Sie vor allem auf<br />
laufende Entwicklungen auf dem irregulären<br />
Arbeitsmarkt. Zu welchen ersten Ergebnissen<br />
sind Sie gekommen?<br />
Michael Jandl: Migration und irreguläre Beschäftigung<br />
in Österreich sind auf keinen Fall<br />
gleichzusetzen mit illegaler Migration an sich.<br />
Illegaler Aufenthaltsstatus kann, aber muss<br />
nicht Bestandteil dabei sein. Das Beispiel der<br />
Pflegerinnen aus Tschechien und der Slowakei<br />
ist ein Paradebeispiel dafür, weil Bürger<br />
aus den neuen EU-Mitgliedstaaten seit dem<br />
1. Mai <strong>20</strong>04 sich in Österreich legal aufhalten,<br />
aber eben nicht arbeiten dürfen. Gerade im<br />
Pflegebereich sind die Dinge nicht so einfach,<br />
wie sie in den Medien dargestellt wurden. Die<br />
Anwerbung läuft über Organisationen, die sich<br />
als Mitgliederorganisationen ausgeben, wo<br />
Beiträge gezahlt werden müssen – das ist ein<br />
Graubereich.<br />
Gibt es vergleichbare Mechanismen auch in anderen<br />
Branchen?<br />
Wir haben uns mit illegaler Migration in einer<br />
Vielzahl von Bereichen beschäftigt. Die wichtigste<br />
ist sicher die Baubranche, wobei man den<br />
Begriff weiter fassen muss. Da geht es um das<br />
Baunebengewerbe bis hin zu privaten Umbauten<br />
in den blühenden Vororten von Wien, wo<br />
sich Menschen private Schwimmbäder, Lauben<br />
und Ähnliches errichten lassen. Hier funktionieren<br />
die Netzwerke und Anwerbungen<br />
eher auf informeller Basis, über Bekannte und<br />
Freunde und deren Weiterempfehlungen.<br />
Profitieren nicht auch die Menschen, die aus<br />
den Nachbarländern zu uns kommen? Sonst<br />
würden Sie die Strapazen nicht auf sich nehmen.<br />
Natürlich bietet ein Lohngefälle immer Anreize<br />
zur Migration. Es sind aber – nach den bisherigen<br />
Erfahrungen der Forschung als auch<br />
nach unseren Erkenntnissen aus Migranten-<br />
Interviews – meist nicht die unterqualifizierten<br />
Arbeitslosen, die mobil sind, sondern andere<br />
Gruppen. Mittel- bis Höherqualifizierte, Mobile,<br />
Junge, die keine Perspektiven zu Hause finden<br />
und die Migration meistens als temporäres<br />
Projekt sehen. Alle wollen wieder nach Hause<br />
gehen. Aber ob es dazu auch wirklich kommt …<br />
meist ist die Rückkehr eher eine Illusion.<br />
Für die sogenannten Gastarbeiter der siebziger<br />
<strong>Jahre</strong> blieb es in vielen Fällen eine Illusion. Lassen<br />
sich die Migranten von damals mit jenen<br />
aus den neuen Nachbarländern vergleichen?<br />
Man kann es nicht direkt vergleichen. Zurzeit<br />
der Gastarbeiteranwerbung wurden die Menschen<br />
ganz gezielt geholt – für ganz bestimmte<br />
Industriebereiche in Österreich. Seit 1974 haben<br />
wir einen Anwerbestopp. Es gibt auch ganz<br />
gravierende Unterschiede bei den Migranten:<br />
Zum Teil sind sie proaktiver, besser gebildet und<br />
werden vor allem nicht für niedrig qualifizierte<br />
Tätigkeiten geholt. Ob auch sie das klassische<br />
Gastarbeiterschicksal ereilt, steht noch nicht<br />
fest. Man darf aber auch nicht vergessen, dass<br />
sehr viele Gastarbeiter auch wieder zurückgegangen<br />
sind. Nur ein Teil ist geblieben. Dieser<br />
Teil hat aber seine Familien nachgeholt. Damit<br />
war eine wichtige Vorentscheidung gefallen, in<br />
Österreich zu bleiben. Das ist der Punkt: Wenn<br />
Kinder hier aufwachsen, ist eine Rückkehr äußerst<br />
unwahrscheinlich.<br />
Zeichnet sich ab, dass auch Migranten aus den<br />
neuen EU-Staaten beginnen, ihre Familienangehörigen<br />
nachholen?<br />
Die Migration seit der EU-Erweiterung ist,<br />
überraschend für alle, doch sehr gering – vor<br />
allem im Vergleich zur Migration aus den traditionellen<br />
Herkunftsländern. Personen, die aus<br />
dem ehemaligen Jugoslawien und der Türkei<br />
zugezogen sind und zuziehen, machen zusammen<br />
noch immer zwei Drittel der Migranten in<br />
Österreich aus. Trotz Ostöffnung war das Volumen<br />
aus den neuen Mitgliedsstaaten Polen,<br />
Ungarn, Slowakei und Tschechien minimal.<br />
Gerade in Österreichs unmittelbarer Nachbarschaft<br />
gibt es viele gemeinsame historische und<br />
kulturelle Traditionen. Würde da eine verstärkte<br />
Zusammenarbeit in der Migrationspolitik<br />
nicht sinnvoll sein?<br />
Unsere Nachbarländer schauen nicht unbedingt<br />
nach Österreich. Man hat hier einiges versäumt.<br />
Man schaut eher nach Brüssel oder über<br />
den Großen Teich. Migration ist bei den neuen<br />
Mitgliedsländern auch nicht so ein Thema. Die<br />
Anzahl der Migranten liegt bei ein bis zwei Prozent<br />
der Bevölkerung. Die Auswanderung ist da<br />
schon ein wichtigeres Thema. Das spiegelt sich<br />
auch institutionell wieder. Da geht es nicht nur<br />
um Brain Drain, sondern um die positiven Beiträge<br />
der Ausgewanderten – vor allem in Form<br />
von Geldüberweisungen nach Hause. Gleichzeitig<br />
ist man dabei, sehr schnell zu lernen. In<br />
einigen neuen Mitgliedsländern gibt es schon<br />
modernere Migrationspolitik als in Österreich.<br />
Tschechien entwickelt etwa schon Pilotprojekte,<br />
um hoch qualifizierte Kräfte ins Land zu holen.<br />
175 bis <strong>20</strong>0 Millionen waren <strong>20</strong>05 weltweit Migranten.<br />
In Europa leben 56 Millionen Einwanderer.<br />
Michael Jandl ist Migrationsforscher am International<br />
Centre for Migration Policy Development (ICMPD), einer<br />
internationalen Organisation mit Hauptsitz in Wien.<br />
www.icmpd.org<br />
Barbara Tóth ist Journalistin und Buchautorin in Wien.<br />
Sie schreibt für die Wiener Wochenzeitung „Falter“ und<br />
die „Basler Zeitung“ über österreichische Politik und<br />
Mitteleuropa.<br />
Das gesamte Interview ist im „<strong>Report</strong>“ im Oktober <strong>20</strong>06<br />
(online) erschienen.