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Report_Issue 1/2009 - Jubiläum/ 20 Jahre Mauerfall

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Manuela Hötzl: Ihr Buch beschreibt im Zuge<br />

der Analyse eines Sprachbegriffs auch die momentane<br />

Befindlichkeit von Europa. Welche<br />

Fragen wirft das Sprachproblem in Europa für<br />

Sie auf?<br />

Boris Buden: Die Hauptfrage in meinem Buch<br />

ist die nach der Zukunft Europas. Eine meiner<br />

Thesen: Es gibt weder eine europäische Sprache<br />

an sich, noch kann eine der europäischen<br />

Nationalsprachen diese Rolle übernehmen.<br />

Aber wie soll Europa, das sich vereinigen will,<br />

in Zukunft kommunizieren? Welche gemeinsame<br />

Sprache – die nötig wäre, wenn Europa<br />

wirklich demokratisch sein will – soll die europäische<br />

Öffentlichkeit sprechen?<br />

Die Sprache Europas kann also nur als eine<br />

Art Übersetzungspraxis begriffen werden,<br />

eine sprachliche Kommunikation, die als Prozess<br />

ständiger wechselseitiger Übersetzungen<br />

erfolgt. Dieser Herausforderung ist man sich<br />

momentan noch gar nicht bewusst. Aber in<br />

Zukunft werden weder die Intellektuellen noch<br />

die Politiker Europas diesem Problem ausweichen<br />

können.<br />

Im Zuge Ihrer Suche nach dem „wahren Ziel<br />

von Übersetzungen“ fahnden Sie auch nach der<br />

„verlorenen gesellschaftlichen Emanzipation“.<br />

Wäre diese der „ideologische Neuanfang von<br />

Europa“, von dem Slavoj Žižek im Klappentext<br />

Ihres Buches spricht?<br />

Die Hauptthese meines Buches ist, dass in unserer<br />

postmodernen Zeit alle Sphären des gesellschaftlichen<br />

Lebens, vor allem aber die politische,<br />

in Kultur, oder wenn Sie so wollen, in<br />

die Sprache der Kultur übersetzt wurden. Kultur<br />

ist heute eine Art ultimativer Übersetzung<br />

geworden. Wir schaffen es nicht mehr, aus dem<br />

alles umfassenden Kulturbegriff hinauszukommen.<br />

Das ist ein Punkt, an dem klar werden<br />

muss, dass von der kulturellen Übersetzung allein<br />

keine globale Emanzipation, wie dies manche<br />

glauben, zu erwarten ist. Der „Neuanfang“,<br />

den Žižek fordert, bedeutet nichts anderes als<br />

eine Re-Politisierung unserer historischen Erfahrung<br />

und der ökonomischen Sphäre. Der<br />

erste Schritt zu diesem neuen Beginn ist die<br />

Erkenntnis, dass es eine Erfahrung auch außerhalb<br />

der Kultur gibt und dass diese Erfahrung<br />

erst durch eine praktische Veränderung zu machen<br />

ist. Früher nannte man diese Veränderung<br />

die Revolution, heute jedoch müssen wir sie<br />

neu erfinden.<br />

Europa ist also auf dem falschen Weg, wenn es<br />

sich über eine gemeinsame kulturelle Identität<br />

definieren möchte?<br />

Natürlich ist Europa auf dem falschen Weg,<br />

wenn es glaubt, die kulturelle Entwicklung allein<br />

könne sein Schicksal entscheiden. Dieser<br />

Glaube ist sogar sehr gefährlich, weil er uns<br />

64<br />

Die<br />

blind für die politischen Widersprüche und<br />

neue, bislang noch unbekannte Antagonismen<br />

macht, die das Projekt der europäischen Einigung<br />

unausweichlich mit sich bringt. Gerade<br />

gegen diese politische Blindheit richtet sich<br />

mein Buch. Genauer gesagt, gegen den naiven<br />

Glauben an eine neue kulturelle Identität.<br />

Und zwar eine Identität, die jenseits der alten<br />

Vorstellung von den essenziellen Identitäten<br />

europäischer Nationen als eine Art „kulturelle<br />

Hybridität“ entstehen soll. Diese würde uns die<br />

Antwort auf eine ebenfalls entscheidende Frage<br />

der europäischen Zukunft ersparen, nämlich<br />

die Frage, ob aus Europa eine Art föderativer<br />

Nationalstaat entstehen soll. Die Souveränität<br />

der existierenden Nationalstaaten muss aber<br />

früher oder später abgeschafft werden oder, im<br />

Gegenteil, Europa muss eine ganz andere Form<br />

der Demokratie ausprobieren.<br />

„Selbst wenn wir Sprachen<br />

nicht perfekt sprechen, sollten<br />

wir sie in den Mund nehmen,<br />

um ihren Geschmack<br />

zu kosten.“<br />

Welche kann das sein?<br />

Das kann etwa eine solche sein, die sich auf die<br />

Tradition der europäischen Revolutionen, oder,<br />

noch präziser, auf die Erfahrungen der revolutionären<br />

Räterepubliken berufen wird.<br />

Die Räterepubliken haben sich doch in dauernden<br />

Streitigkeiten rasch aufgelöst?<br />

In diesem ständigen Streit, aus dem auch mein<br />

Buch heraus entstanden ist, fühle ich mich<br />

nicht so schlecht. Aber Scherz beiseite. Die<br />

Rede ist von einer anderen Demokratieerfahrung,<br />

von einem anderen Konzept der Demokratie.<br />

So wie meine eigene kulturelle Identität,<br />

falls ich eine solche haben sollte, nicht mehr in<br />

den konzeptuellen Rahmen der Nationalkultur<br />

passt. Doch eben diese lässt sich nicht mehr ins<br />

Politische übersetzen und es gibt immer noch<br />

keine Demokratie jenseits des Nationalstaates.<br />

In diesem Raum bin ich sowohl politisch<br />

als auch kulturell ein Nichts, ein Lohnarbeiter,<br />

dessen Rechte weit unter dem Niveau der Arbeiterklasse<br />

vor hundert <strong>Jahre</strong>n liegen, da bin<br />

ich, wie einmal ein kroatischer Nationalist über<br />

eine Nation ohne Staat sagte, „wie Scheiße im<br />

Regen“.<br />

Wie haben Sie persönlich die Veränderungen in<br />

Kroatien erlebt?<br />

Was Kroatien betrifft, träumt dieses Land heute<br />

immer noch seinen kulturellen Souveränitätstraum<br />

und arbeitet damit an einer Selbst-<br />

Der Philosoph Boris Buden, Autor des Buches „Der Schacht von Babel –<br />

Ist Kultur übersetzbar?“, spricht im Interview mit Manuela Hötzl von<br />

einer Gesellschaft, die Politik nicht mit Kultur verwechseln sollte, und<br />

von Europa als einer Übersetzungsgemeinschaft.<br />

— Manuela Hötzl im Gespräch mit Boris Buden —<br />

evolution<br />

neu erfinden<br />

Isolation seiner Kultur. Obwohl die Kroaten<br />

ihre Sprache mit Serben und Bosniern teilen,<br />

versuchen sie, ihre eigene Version von den zwei<br />

anderen radikal abzugrenzen. Auf diese Weise<br />

schaden sie unendlich ihrer eigenen Sprache.<br />

Die Folge dieses Sprachautismus ist eine Situation,<br />

die an jene aus dem 19. Jahrhundert<br />

erinnert, als sich Kroatien noch innerhalb<br />

der Habsburger Monarchie befand. Die Elite<br />

studierte damals hauptsächlich in Wien und<br />

sprach Deutsch, die Sprache des Wissens, intellektueller<br />

Kommunikation und Hochkultur.<br />

Den Volksmassen blieb die vollkommen autistische,<br />

zu einer ernsthaften kulturellen und<br />

intellektuellen Produktion gar nicht fähige kroatische<br />

Muttersprache.<br />

Wurde Deutsch durch eine neue „Elitensprache“<br />

ersetzt?<br />

Heute ist Englisch die Sprache der Elite. Diese<br />

Elite studiert im Ausland, hauptsächlich an den<br />

amerikanischen oder britischen Fakultäten, wo<br />

die intellektuelle Kommunikation sich vor allem<br />

in englischer Sprache abspielt.<br />

Kann Englisch nicht die Rolle einer gemeinsamen<br />

europäischen Sprache übernehmen?<br />

Der französische Philosoph Etienne Balibar<br />

hat darauf aufmerksam gemacht, dass Englisch<br />

„mehr oder weniger“ die europäische Sprache<br />

ist. Aber Englisch ist auch die Sprache der<br />

globalen Kommunikation, die in vielen unterschiedlichen<br />

Formen auftritt. Andererseits ist<br />

Englisch auch die Sprache nur zweier der europäischen<br />

Nationen. Warum sollte also ausgerechnet<br />

diese Sprache die Rolle der Sprache<br />

Europas übernehmen?<br />

Sie gehen vom Sprachbegriff Wilhelm von<br />

Humboldts aus, der eine Nation letztlich nur<br />

über die Sprache definierte. Haben sich gerade<br />

die osteuropäischen Staaten dieses Konzept zu<br />

einfach angeeignet?<br />

Auf dem humboldtschen Verständnis von Sprache<br />

als einer in sich geschlossenen Totalität<br />

und als Ausdruck einer in sich geschlossenen<br />

Gemeinschaft beruht auch die Idee einer Homologie<br />

von Sprache und Kultur, die in letzter<br />

Konsequenz impliziert, dass es keine europäische<br />

Kultur an sich geben kann bzw. dass die<br />

europäische Kultur nur eine Art Summe europäischer<br />

Nationalkulturen ist. Auch die osteuropäischen<br />

Nationen hatten die romantische<br />

Phase der Nationenbildung, und zwar meistens<br />

im 19. Jahrhundert. Das ist auch dann passiert,<br />

wenn es ihnen nicht gleich gelungen ist, diese<br />

kulturelle „Wiedererstehung“ mit der Gründung<br />

eines eigenen Nationalstaates zu krönen.<br />

Wenn sie heute diesen Prozess politisch<br />

zu Ende bringen, erscheint er uns als eine Art<br />

Anachronismus.<br />

Passiert das Gleiche auch im Westen?<br />

Man denke nur an all die Institutionen der sogenannten<br />

Nationalkultur, die sich sowohl im<br />

Osten als auch im Westen weiterhin politischer<br />

Unterstützung erfreuen und das kulturelle Leben<br />

in ganz Europa dominieren. Institutionell<br />

sind damit die europäische Kultur und die auf<br />

Nationalsprachen basierenden Erziehungssysteme<br />

europäischer Völker noch immer auf dem<br />

Stand des 19. Jahrhunderts.<br />

Immer mehr Staaten, auch Österreich, zwingen<br />

Ausländer, die Landessprache zu erlernen.<br />

Halten Sie das für richtig?<br />

Dieser Zwang ist kontraproduktiv. Außerdem<br />

ist er ebenso von einer konservativen historischen<br />

Perspektive motiviert, nämlich von der<br />

Überzeugung, die Nationalkultur bilde den ultimativen<br />

Horizont moderner Kultur, und wer<br />

sie nicht hat, sei akulturell oder primitiv. Der<br />

schon genannte Etienne Balibar sah gerade die<br />

Zukunft europäischer Kultur in Menschen, die<br />

den Horizont der Nationalkultur überschritten<br />

haben.<br />

Welche Übersetzungsmethoden sollen demnach<br />

in der EU praktiziert werden?<br />

Das kann ich nicht beantworten. Etwas jedoch<br />

muss betont werden: dass Übersetzung immer<br />

mehr ist als bloß ein sprachliches Geschehen. Es<br />

ist immer auch eine kulturelle, politische und<br />

soziale Auseinandersetzung mit dem Fremden.<br />

Die sogenannte sprachliche oder literarische<br />

Übersetzung ist nur ein Teil der „Übersetzungspraxis“,<br />

wie ich sie verstehe.<br />

Sollten wir alle in Zukunft mehr Sprachen sprechen?<br />

Ja, selbst wenn wir sie nicht perfekt sprechen<br />

und verstehen, sollten wir sie in den Mund nehmen,<br />

um ihren Geschmack zu kosten.<br />

Boris Buden, geboren 1958 in Kroatien, studierte klassische<br />

und moderne Philosophie in Klagenfurt, Zagreb<br />

und Ljubljana. Seit 1984 arbeitet er als freier Journalist<br />

und Publizist. Buden veröffentlicht regelmäßig auf<br />

Deutsch, Englisch und Französisch philosophische, politische<br />

und kulturkritische Essays. Als Aktivist der kroatischen<br />

Friedensbewegung rief er 1993 die Zeitschrift<br />

„arkzin“ ins Leben.<br />

Boris Buden, „Der Schacht von Babel – Ist Kultur übersetzbar?“,<br />

Kulturverlag Kadmos, Berlin <strong>20</strong>04<br />

Boris Buden/Stefan Nowotny, „Übersetzung: das Versprechen<br />

eines Begriffs“, Turia + Kant, Wien <strong>20</strong>08<br />

Das gesamte Interview mit Boris Buden ist im „<strong>Report</strong>“<br />

1/<strong>20</strong>05 erschienen.

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