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Sportlerinnen. Spitzenleistungen vor leeren Rängen?

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pointieren sich dort noch. Der Boxkampf wird so zum ambivalenten, aber exakt<br />

inszenierten Symptom eines Unbehagens in beiden Geschlechtern. 4<br />

Ganz anders Eastwood. Er zelebriert die unerhörte Leichtigkeit des Kampfboxens<br />

und Siegens und beschwört nebenher undefiniert dräuendes Unheil, das wie<br />

unvermeidlich über allem und allen liegt. Er tut so, als ob wir es mit archaischen<br />

Schicksalsmächten und nicht mit konkreten gesellschaftlichen Missständen zu<br />

tun hätten. Maggie ist zwar Frau, aber kein sexuelles Wesen. Die Liebesbeziehungen<br />

im Film reduzieren sich auf einen bizarr sublimierten Vater-Tochter-<br />

bzw. Lehrer-Schülerinnen-Bund – und eine knorrige Altmännerfreundschaft.<br />

Auch die Rassen- und Klassenkonstellationen werden verklärt beziehungsweise<br />

mythologisiert – in der Figur des armen, aber weisen «Negers» (Morgan Freeman)<br />

als Erzählerfigur. Im Fall von Maggies abgrundtief hinterhältiger «white<br />

trash»-Familie werden sie aufs Gröbste dämonisiert dargestellt. Und was passiert<br />

mit dem Sprengkopf dieser äusserst konservativ ausgestalteten Auslegeordnung,<br />

dem scheinbar unaufhaltsamen Aufstieg der jungen Boxerin? Dieses<br />

«Problem» seiner Geschichte «löst» Eastwood mit brutalster Gewalt – auch auf<br />

narrativer Ebene. (Ebenfalls wichtig festzuhalten ist, dass wir die Perspektive<br />

des Trainers während des ganzen Films nie verlassen.) Auf dem Höhepunkt ih-<br />

108 rer Karriere wird Maggie von einem monströs überzeichneten dunkelhäutigen<br />

109<br />

«Mannsweib» (laut Erzählerstimme eine ehemalige ostdeutsche Prostituierte)<br />

regelwidrig ins Koma geboxt – um dann im restlichen Verlauf des Films quälend<br />

langsam weiter abgetötet zu werden. 5 Maggies gelähmter Körper funktioniert<br />

nun als krasser Gegensatz zu ihrem athletisch trainierten, kaum je ruhig gestellten<br />

Sportlerbody aus der ersten Hälfte des Films. Damit nicht genug: Es muss ihr<br />

ein Bein amputiert werden, dann beisst sie sich aus lebensmüder Verzweiflung<br />

selbst die Zunge ab – womit es auch mit ihren verbalen Aufmüpfigkeiten <strong>vor</strong>bei<br />

ist. Schliesslich hilft ihr der Trainervater mit Spritze und durch das Abschalten<br />

der lebenserhaltenden Apparate, freiwillig aus dem Leben zu scheiden, be<strong>vor</strong> er<br />

wie ein Gespenst spurlos in der Dunkelheit verschwindet.<br />

Entgegen den Debatten in den USA ist «Million Dollar Baby» nun aber m.E.<br />

weniger ein Beitrag zur aktiven Sterbehilfe, sondern eben – spezifischer und<br />

perfider – das Dokument einer erstaunlich unverblümten, auf der Ziellinie ausgebremsten<br />

und dann gänzlich ausgelöschten proletarischen weiblichen Aufstiegshoffnung.<br />

In diesem Sinn geht es hier auch nicht um Sport, sondern um<br />

notdürftig als «Sportfilm» verkleidete Ideologie. 6 Diese scheint auch verdichtet<br />

in der Formel auf, die Frankie Dunn seiner Boxerin auf den Rücken schreibt und<br />

die zu ihrem Sportler- und Kosenamen wird: «Mo cuishle». Die Bedeutung dieses<br />

gälischen Ausdrucks wird erst kurz <strong>vor</strong> Ende aufgeschlüsselt – «mein Liebling,<br />

mein Blut» – und entlarvt sich so in der Stunde von Maggies Tod als qua-<br />

Olympe 21/05<br />

Abb. 3<br />

si völkischer Signifikant für eine sublimierte, geschlechtslose Metaphysik des<br />

Blutes und der eingebildeten Blutsbande. Der ehrliche, kleine Film «Girlfight»<br />

dagegen unternimmt mit einer sinnlichen Inszenierung von Blut, Schweiss, Tränen,<br />

Körpern und Fäusten den Versuch, diese und andere scheinheilige weltanschauliche<br />

Strategien im Kronkreten zu durchbrechen.<br />

1 Der Film basiert auf einer Kurzgeschichte von F. X. Toole (aus der Sammlung «Rope Burns»), die<br />

aber einige Ausschmückung und Zuspitzung erfährt.<br />

2 Antagonismus wird verstanden im weitesten Sinn von Ernesto Laclau und Chantal Mouffe<br />

(«Hegemony and Socialist Strategy», 2nd Ed., Verso, London/NY 2001) als letztlich unlösbarer<br />

Widerspruch und Sackgasse des Unrechts in der hegemonialen Ordnung der Dinge. Man kann diesen<br />

Antagonismus mit der Figur des «Clinchs» beim Boxen bildhaft umschreiben, also die Situation, wenn<br />

die Boxer derart heillos ineinander verknotet sind, dass der Kampf zum Stillstand kommt.<br />

3 Ein Vergleich des Slogans für den neuen Boxfilm mit Russell Crowe – «Cinderella Man» – mit<br />

demjenigen für «Girlfight» sagt schon fast alles: «Cinderella Man»: «When America was on its knees,<br />

he brought us to our feet» – «Girlfight»: «Prove them wrong!»<br />

4 Nicht unähnlich David Finchers Film «Fight Club», in welchem der Kampf mit blossen Fäusten als<br />

Symptom einer Krise zeitgenössischer Männlichkeit inszeniert wird.<br />

5 Tückischerweise spielt hier auch der von Verleiherverbänden eingeforderte Ehrenkodex der<br />

FilmkritikerInnen mit: Fast ausnahmslos alle halten sich an die Vorgabe, den entscheidenden «Twist»<br />

des Films, die Lähmung von Maggie, in den Besprechungen nicht zu erwähnen. Der eigentliche<br />

Skandal des Films, die radikale «Demontage» der Athletin bleibt so aus der öffentlichen Rede<br />

weitgehend ausgeblendet.<br />

6 Eastwood selber betont in Interviews gerne, dass es in seinem Film weder um Politik noch um Sport,<br />

sondern <strong>vor</strong> allem um eine Liebesgeschichte gehe (vgl. z.B. Süddeutsche Zeitung, 24.3.2005,<br />

www.sueddeutsche.de/kultur/artikel/69/50019/ 29.3.2005), womit er zwar einen analytisch-kritischen<br />

Zugriff von sich weisen, aber nicht aus der Welt schaffen kann.

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