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Sportlerinnen. Spitzenleistungen vor leeren Rängen?

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In welcher Sportart verbrennt mensch wohl das Maximum an Kalorien mit minimalem<br />

Gurt auffällig etwas enger und beschliesse, dass meine Neurose genetisch bedingt<br />

Aufwand? Vielleicht wäre es auch von Vorteil, sich der Kokainsucht hinzugeben?<br />

sein muss.<br />

Verbraucht Denken Kalorien?<br />

Nach etwa zehn Minuten bemerke ich, dass ich jetzt gehen werde, und nachdem ich<br />

Eigentlich mag ich es gar nicht, mich zu bewegen, ständig dieses Herzklopfen und<br />

meiner Familie einen schönen Nachmittag gewünscht habe, erbreche ich lautstark in<br />

der Schweiss, der aus den Poren tritt. Grässlich das Gefühl der körperlichen Ertüch-<br />

die Toilette.<br />

tigung, das soll Selbsterfahrung sein? Schmerzen an den Seiten und Keuchen in der<br />

Mein versierter Blick – mein Scanner – treibt mich dazu, nach langer Spiegelbetrach-<br />

Mitte. Das Atmen fällt schwer, und die Gedanken rasen zuerst, bis sie dann ganz<br />

tung aus dem Haus zu stürmen und so weit zu laufen, bis ich kollabiere. Eigentlich<br />

weg sind. Völlig verloren und nur getrieben von der Motivation, die eigene Grenze<br />

rennen nicht meine Beine, sondern mein Kopf, ich entdecke erstmals die mentale<br />

zu überwinden.<br />

Kraft, welche den Körper beherrschen kann. Diese Art von Ekstase ist speziell, sie ist<br />

Das Ganze kann auch aus einem fast schon spirituellen Blickwinkel betrachtet wer-<br />

nämlich nicht animalisch. Na ja, es gibt ja nicht wirklich masochistische Tiere, oder?<br />

den. Sport als Grenzerfahrung. Als innere Erfahrung, bei welcher man selbst im Zen-<br />

Es ist schon ein komisches Bild von einem natürlichen Wesen wie mir, das in der Stadt<br />

trum steht. Die Konzentration ist dabei auf die eigene Körperwahrnehmung fixiert.<br />

unter seinen Artgenossen umherrennt, um dünner zu sein als sie, und dabei weint,<br />

Aber das ist doch alles Heuchelei. Jeder Mensch, der Sport macht, will dadurch besser<br />

aussehen, und wenn ich ehrlich bin, dann ist mir sowieso egal, ob mein Körper gesund<br />

weil es alles für einen Big Mac geben würde.<br />

ist. In dem Fitnessstudio, in das ich mich hin und wieder schleppe, ist das Ambiente<br />

Eigentlich glaube ich, dass ich überfordert bin. Ja genau, ich würde viel lieber ganz<br />

auch nicht so gesund. Ich merke das an den Blicken der Leute, die sich da so richtig<br />

einfach draußen in der Natur meine Nahrung suchen, um zu überleben, dabei würde<br />

wohl fühlen. Sie haben nämlich alle etwas gemeinsam, eine extrem entwickelte Iris,<br />

ich mich auch genug bewegen.<br />

die dazu fähig ist, mit Hilfe eines integrierten Scanners die fixierte Person abzuche-<br />

Dick werden Menschen erst im Überfluss und in der Lethargie, in unserer Gesellschaft<br />

62 cken und sofort festzustellen, welches deren Problemzonen sind. Sie haben diesen<br />

sind das beste Freunde. Diese Zustände stehen aber im Widerspruch zu dem Ideal, 63<br />

Scanner durch jahrelange Schulung entwickelt, und alles begann mit Barbie.<br />

dem Prototyp des Menschen unserer westlichen Gesellschaft. Dieser ist den Idealen<br />

dieser Gesellschaft entsprechend gutaussehend und dadurch potenziell erfolgreich.<br />

Also richtet sich unsere Kultur nach diesem Prototyp. So sind viele unserer Mitmenschen<br />

doch meist so erschöpft vom Erfolgreichsein, dass sie unglücklich und leer sind<br />

und deswegen ganz viel essen müssen, um dies zu kompensieren. Dies führt aber zu<br />

einem Verlust ihrer Attraktivität. Um ihre Seele also wieder in einen schönen, reizenden<br />

Lockvogel zu verwandeln, stürzen sich die hilfesuchenden Massen in die Hände<br />

der klatschenden Sportindustrie und erwarten ein neues Körpergefühl.<br />

Da soll mir noch jemand erzählen, dass ich diesen Komplexhaufen, auch Menschheit<br />

genannt, nicht durchschaue. Dennoch werde ich mich nicht darauf einlassen, dick zu<br />

werden, nur weil ich nachdenke. Ich sehe nämlich meine persönliche Erscheinung als<br />

Selbstdarstellung. Diese zu bestimmen liegt an mir. Ich finde, dass mein Aussehen<br />

das Spiegelbild meiner etwas verkorksten Psyche darstellt, wieso soll ich also anders<br />

erscheinen, als ich mich hier fühle? Vielleicht versuch ich's mal mit Meditieren.<br />

Mein Scanner ist auch schon langsam ziemlich ausgereift, er wird täglich geschult,<br />

und ich denke, dass ihn die Werbung ziemlich fördert, so signalisiert er mir sofort,<br />

wenn er sich beim Zappen angesprochen fühlt, und hinterlässt eine Notiz auf meinem<br />

mentalen Einkaufszettel. Momentan befindet sich eine Fastenkurwoche – «garantiert<br />

gesund und effektiv» – darauf. Auch sollte ich endlich mit Power Yoga<br />

anfangen, das ist nämlich mental förderlich und macht schnell dünn.<br />

Am schnellsten und radikalsten durchfährt es mich, wenn mein Scanner eine Person<br />

entdeckt, die meinen Neid weckt, sagen wir eine sehr magere Person.<br />

Dann schickt er Wellen durch mich, die mich bis ins nächste Schwimmbad spülen,<br />

wo ich dann auch beharrlich 45 Minuten schwimme und dabei gelegentlich ohnmächtig<br />

werde.<br />

Wieso drehen sich denn meine Gedanken jetzt schon wieder um mich und meine<br />

Erscheinung und ihre Verbesserung? Eigentlich wäre ich gerne fett und zufrieden.<br />

«Chasch mär jetzt bitte ändli mal dä Rahm gä?», fragt meine Tante, die fett, aber<br />

nicht zufrieden ist. «Ou, sorry han di gar nöd ghört», sage ich, die nicht fett und nicht<br />

zufrieden ist.<br />

«Scho rächt, jegerlisnai, gsesch aber gar chli magi us, scho no schlimm, nüt vo däre<br />

gluschtige Polenta ässe z chönä hä» 1 , fletscht sie. Ich ignoriere sie, schnalle meinen<br />

Olympe 21/05<br />

1 Dialog in Deutsch:<br />

«Kannst du mir jetzt bitte endlich mal den Rahm reichen?»<br />

«Oh, entschuldige, hab dich gar nicht gehört.»<br />

«Schon in Ordnung, ach nein, siehst aber schon ziemlich mager aus, ist schon recht schlimm, nicht von dieser<br />

leckeren Polenta essen zu können, oder?»

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