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Sportlerinnen. Spitzenleistungen vor leeren Rängen?

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lesben im Sport – Zwischen unsichtbarkeit und Skandal<br />

Myrjam Cabernard<br />

Rund fünf bis zehn Prozent der Frauen empfinden gleichgeschlechtlich. Zumindest<br />

einige davon dürften auch Spitzensport betreiben. Doch wo sind sie, die lesbischen<br />

Skifahrerinnen, Fussballerinnen oder Leichtathletinnen? 1 «Hm ... keine<br />

110 Ahnung. Und überhaupt: Es spielt doch keine Rolle, ob eine Sportlerin lesbisch<br />

Disziplin; die Fussballerinnen mussten sich gar bis 1996 gedulden. 111<br />

10 <strong>Sportlerinnen</strong> in<br />

ist oder hetero, das ist Privatsache und hat mit der sportlichen Leistung nichts zu<br />

tun.» 2 Das ist richtig, nur: Wie viele heterosexuelle <strong>Sportlerinnen</strong> gibt es? Weshalb<br />

darf der Freund oder Ehemann offiziell und stolz am Spielfeld stehen? Und<br />

wie kommt es, dass die Lebenspartnerin einer lesbischen Sportlerin unsichtbar<br />

bleibt?<br />

Von «männlicher Stärke» und «weiblicher Schwäche»<br />

Die traditionellen Geschlechterrollen beruhen auf dem komplementären Schema<br />

der «männlichen Stärke» und der «weiblichen Schwäche» 3 : Begriffe wie Kraft, Stärke<br />

oder Durchsetzungsvermögen gelten als männlich, Eigenschaften wie Schwäche,<br />

Schönheit oder Anschmiegsamkeit als weiblich. Parallel zur Industriegesellschaft<br />

entwickelte sich im 19. Jahrhundert der moderne Sport als Domäne von Männern<br />

für Männer. 4 Der Sport wurde damit zum Inbegriff der Werte, die als männlich<br />

galten und Weiblichkeit ausschlossen. 5 Es erstaunt daher nicht, wenn Frauen und<br />

pubertierende Mädchen noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit medizinischen<br />

und moralischen Argumenten von als männlich geltenden sportlichen Betätigungen<br />

wie Rennen, Springen oder Kämpfen abgehalten wurden: «Die weiblichen Unterleibsorgane<br />

verwelken und das künstlich gezüchtete Mannsweib ist fertig.» 6 Zu viel<br />

Aktivität mit männlichem Charakter bewirke, dass der weibliche Körper sich dem<br />

eines Mannes angleiche. Als Folge mangelnder Körperbetätigung und einschnüren-<br />

Olympe 21/05<br />

der Kleider zeigten viele Mädchen denn auch bald tatsächliche Anzeichen von konstitutioneller<br />

Schwäche. 7<br />

Ende des 19. Jahrhunderts wurde auch die «weibliche Conträrsexuelle» erfunden:<br />

Weibliche Homosexualität galt fortan als pathologischer Zustand, bei dem «das<br />

Weib sich als Mann fühlt». 8 Die «originär-lesbische» Frau galt als Karikatur des<br />

Mannes, mit derbem Auftreten, selbstbewusstem Gang und unweiblichem Körper,<br />

triebgesteuert, unersättlich und «ansteckend». Frauenliebende Frauen, die nicht ins<br />

Bild des Mannsweibs passten, bezeichnete die Wissenschaft kurzerhand als «pseudo-homosexuell».<br />

9 Grundsätzlich konnte jede Frau und jedes Mädchen von einem<br />

«originär-lesbischen» Mannsweib verführt oder «angesteckt» werden. Darum die<br />

Warnung an alle Frauen: Meidet Lesben und männliche Sportarten. Zudem zementierte<br />

sich in vielen Köpfen die Vorstellung, dass eine Frau mit Vorlieben für Männersportarten<br />

auch lesbisch sein müsse.<br />

Zerrissenheit zwischen Sportlerin und frau<br />

Das ist lange her. Ableger dieses Gedankenguts nisten freilich immer noch in den<br />

Köpfen. Zwar haben sich Frauen in den vergangenen hundert Jahren einen Platz im<br />

Sport erkämpft – gegen alle Widerstände: Frauenhandball ist seit 1976 olympische<br />

Männersportarten wurden mit dümmlichen Kommentaren eingedeckt und lächerlich<br />

gemacht. 11 Die Medien bezeichneten sie als geschlechtsabnorm und unweiblich,<br />

wenn der Körper muskulös und die Bewegungen nicht weiblich anmutig, sondern<br />

bestimmt und raumgreifend waren. Und immer droht(e) der Verdacht, eine Lesbe<br />

zu sein. Die Tennisspielerin Martina Navratilova galt in den 1980er Jahren als unweibliches<br />

Muskelpaket. Die Medien betitelten sie als «grobschlächtiges Raubtier»,<br />

bei der eine «Chromosomenschraube locker sein müsse» und die «von Natur aus<br />

etwas anderes sei als eine Frau». 12 Allerdings hat sich das Idealbild des «weiblichen<br />

Körpers» in den letzten Jahren stark verändert: Muskeln sind heute – zumindest in<br />

einem gewissen Rahmen – durchaus trendy und gelten auch als sexy. Martina Navratilova<br />

hielt unlängst neidlos fest: «Gegen die Williams-Schwestern 13 sehe ich aus<br />

wie ein Schluck Wasser in der Kurve.» 14<br />

Trotzdem gilt auch heute: Während Männer als Sportler in ihrer Geschlechtsidentität<br />

bestärkt werden, kann sich eine Sportlerin nicht als Frau fühlen, weil<br />

sie sportliche Höchstleistungen erbringt, sondern höchstens, obwohl sie dies<br />

tut. 15 Eine Sportlerin lebt in zwei getrennten Welten: In der Welt des Sports,<br />

wo sie «männliche» Eigenschaften haben muss, und in der Welt ausserhalb, wo<br />

sie «weiblich» sein muss, um als Frau anerkannt zu werden. 16 Das kann zu einer<br />

Zerrissenheit zwischen Sportlerin-Sein und Frau-Sein führen. 17 Strategien<br />

daraus sind der totale Rückzug aus dem Sport oder der Rückzug in den Sport:

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