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Sportlerinnen. Spitzenleistungen vor leeren Rängen?

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Weiblichkeit und fussball<br />

Anlässlich der Fifa-Weltmeisterschaften im Herrenfussball begeistern sich alle<br />

vier Jahre unzählige Fans jeder Altersstufe für das Sammeln der «Panini»-Kleber<br />

mit den Spielerporträts. Wieso funktioniert diese kommerzielle Erfolgsgeschichte<br />

in Europa (und somit der Schweiz) denn nicht auch im Frauenfussball? Ganz<br />

im Gegensatz zu ihren männlichen Kollegen entsprechen Fussballerinnen dem<br />

gesellschaftlich verankerten geschlechtsspezifischen Idealtypus nicht. Diese Feststellung<br />

hängt natürlich weniger mit der anatomischen Wirklichkeit zusammen<br />

als mit der als unvereinbar empfundenen Verknüpfung von Weiblichkeit und<br />

Fussball in unserer Alltagswelt.<br />

1970 äusserte der deutsche Torjäger Gerd Müller: «Wenn meine Frau Fussball<br />

spielen wollte, würde ich sie in den Allerwertesten treten.» Der «Bund» kommentierte<br />

diese «kernig-bayrische» Aussage nicht weiter. 4 Zwanzig Jahre später<br />

äusserte sich auch Otto Rehagel, der neue Gott am griechischen Fussballhimmel,<br />

zum selben Thema: «Frauen sind grazile Wesen. Kunstturnerinnen<br />

finde ich schön. Aber Mädchen, die wie Brauereipferde auf Fussballfeldern<br />

rumstapfen – da hört doch alles auf!» 5 Die gesellschaftlichen Schönheitsideale<br />

eines Männer- oder Frauenkörpers beeinflussen die Geschlechtsidenti-<br />

74 tät massgeblich: «Female muscularity is viewed as distasteful and inhumane.<br />

de auch die Integration «von Männern und Männlichkeit» in die Diskussion über die 75<br />

Masculine strength and bravura are celebrated and viewed as heroic.» 6 Noch<br />

heute besteht in unserer Gesellschaft ein latenter Konflikt zwischen dem Frau-<br />

Sein und dem Sportlerin-Sein. Weiblichkeitsattribute werden auch noch im<br />

21. Jahrhundert über Schlagworte wie Zurückhaltung, Passivität, Schwäche<br />

und Schüchternheit definiert, während eine Sportlerin kämpferisches, aktives,<br />

ehrgeiziges und selbstbewusstes Engagement an den Tag legen muss, um erfolgreich<br />

zu sein.<br />

Merk-Rudolph relativiert unsere als natürlich empfundene Alltagswirklichkeit:<br />

«Die Definition dessen, was in unserer Zivilisation als weiblich bzw. männlich<br />

gilt, war früher anders als heute und wird sich morgen wieder ändern.» 7 Neben<br />

diesem zeitlichen Aspekt hob Harris aber auch die geographische Relevanz her<strong>vor</strong>,<br />

da «der Begriff von Maskulinität-Feminität durch die jeweiligen Kulturen<br />

und Gesellschaften, in denen man lebt, bestimmt wird, (...).» 8 An dieser Stelle<br />

sei nochmals auf die Stellung des women’s soccer in der nordamerikanischen<br />

Gesellschaft hingewiesen. Gleichzeitig muss diese idyllisch anmutende permissive<br />

Haltung aber relativiert werden, denn exklusiv männliche Sportdomänen<br />

existieren in den USA sehr wohl. Diese siedeln sich bei den als «uramerikanisch»<br />

empfundenen und somit patriotisch angehauchten Sportarten wie American<br />

Football, Baseball und Basketball an. In einigen Staaten nimmt auch Eishockey<br />

diesen Stellenwert ein.<br />

Olympe 21/05<br />

Ganzheitlicher Gender-Diskurs<br />

Während die deutsche Sprache zwischen dem biologisch-anatomischen Geschlecht<br />

und der Geschlechtsidentität keinen Unterschied macht, differenziert das Englische<br />

zwischen «sex» und «gender». Durch diese Distinktion versuchten amerikanische<br />

Frauenforscherinnen die traditionell biologistischen Denkmuster aufzuweichen<br />

und den argumentativen Spielraum mittels eines Begriffs zu erweitern, der die geschlechtsspezifische<br />

Rollenzuschreibung symbolisierte. Dank dieser Definition wur-<br />

Geschlechterverhältnisse gefördert. 9<br />

Dribbeln, Flanken schlagen, jonglieren oder Kopftore erzielen sind keineswegs<br />

geschlechtsbedingte motorische Abläufe, sondern können durch Training geübt<br />

und durch die Aneignung koordinativer Fähigkeiten perfektioniert werden.<br />

Knaben werden nicht als Fussballspieler geboren, sondern in unseren Breitengraden<br />

durch ständige Stimulationen, regelmässige Spielgelegenheiten, Erwartungsdruck<br />

und Anfeuerungen der Erwachsenen oder Kameraden usw. dazu<br />

erzogen.<br />

Die Einbindung der maskulinen Realität und der somit ganzheitliche Gender-Diskurs<br />

gesteht Buben und Männern das Recht zu, auch dann als «richtige Kerle» zu<br />

gelten, wenn sie nicht Fussball spielen können oder (oder noch schlimmer und …)<br />

sich nicht für diesen Ballsport interessieren. Somit geraten also auch Knaben, die<br />

den gängigen Vorstellungen nicht entsprechen und sich vielleicht, wie im Kinofilm<br />

«Billy Elliot», lieber im Ballettsaal als im Boxring bewegen, unter gesellschaftlichen<br />

Druck. Der Einbruch von Fussballerinnen oder Eishockeyspielerinnen in<br />

vermeintlich sichere Männerdomänen und die sich damit allmählich aufweichenden<br />

Gesellschaftsnormen verhelfen demzufolge auch jenen Männern und Knaben<br />

zu mehr Akzeptanz und Freiraum, welche eine als «unmännlich» konnotierte<br />

Sportart ausüben. Der ganzheitliche Gender-Diskurs greift natürlich auch bei Automechanikerinnen<br />

und Säuglingspflegern jenseits der sportlichen Thematik. Wer

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