Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Interview<br />
„Die <strong>Tirol</strong>er<br />
Küche ist gesund“<br />
Kochbuch-Autorin und Tausendsassa Angelika Kirchmaier<br />
über gesunde <strong>Tirol</strong>er Küche, die Rolle von Fetten und Kohlenhydraten<br />
und die hiesige Variante von „Superfood“.<br />
Zur Person<br />
Die Diaetologin, Gesundheitswissenschaftlerin,<br />
Köchin, Touristikkauffrau<br />
und Autorin Angelika Kirchmaier präsentiert<br />
seit 15 Jahren auf ORF Radio <strong>Tirol</strong><br />
wöchentlich Ernährungs- und Kochtipps.<br />
Kirchmaier verfasste zahlreiche Kochbücher.<br />
Lieblingsrezept gibt es keines, aber<br />
ein Gericht, das ihr gar nicht schmeckt,<br />
nämlich gebratene Leber.<br />
Sie haben sich in der Recherche zu Ihrem Kochbuch<br />
„Xunde <strong>Tirol</strong>er Küche“ intensiv mit der <strong>Tirol</strong>er Küche<br />
auseinandergesetzt. Wie lässt sich diese Küche charakterisieren?<br />
Angelika Kirchmaier: Bei der ursprünglichen <strong>Tirol</strong>er<br />
Küche handelt es sich um eine sehr gesunde Küche.<br />
Der verschwenderische Umgang mit Fleisch, Zucker,<br />
minderwertigem Fett und Weißmehl stellt eine<br />
Abbildung unserer heutigen Überflussgesellschaft<br />
dar. Weißmehl gab es früher nicht, weil man es<br />
schlichtweg nicht herstellen konnte. Auf jedem Hof<br />
baute man Getreide an, das dann als volles Korn in<br />
mit Bachwasser betriebenen Mühlen im Ort oder in<br />
der Umgebung zerkleinert wurde. Zucker zählte zur<br />
absoluten Kostbarkeit. Wollte man die rund 1000<br />
alten, von mir im Zuge der Recherche ges<strong>am</strong>melten<br />
Rezepte nachkochen, bräuchte man in Summe nicht<br />
einmal einen Kilo Zucker. Auch Honig setzte man<br />
d<strong>am</strong>als äußerst spars<strong>am</strong> ein, war dieser doch für viele<br />
Menschen mehr Medizin als Kochzutat.<br />
Sie haben also eine im Grunde genommen gesunde Kost<br />
vorgefunden?<br />
Kirchmaier: Ja. Ich kehrte zum Ursprung zurück,<br />
musste allerdings das eine und andere in Sachen<br />
Kochtechniken und Zutaten modifizieren, weil<br />
sich durch die heutigen Techniken das Kochen sehr<br />
vereinfachen lässt und es einige Zutaten in der<br />
ursprünglichen Form nicht mehr gibt, so z. B. den<br />
Vorläufer von Backpulver, genannt Cremor tartari.<br />
Welches Rezept war das kurioseste?<br />
Kirchmaier: Ein Rezept aus gerade einmal vier Zutaten:<br />
Mehl, Wasser, Milch und Marmelade. Daraus<br />
sollte ein mit Marmelade gefüllter Strudel entstehen.<br />
Kurzum, der Strudel schmeckte hervorragend, die<br />
Optik erinnerte aber eher an ein Hundehäufchen.<br />
Dieses Gericht fand verständlicherweise keinen Einzug<br />
in das Buch. Einige der alten Rezepte für Kinder<br />
mit Gedeihstörungen würde man heute allein schon<br />
aus ernährungsmedizinischer Sicht nicht mehr<br />
anbieten, z. B. ein Säuglings-Kindsmus aus reichlich<br />
Butter und Rahm.<br />
Man sagt der <strong>Tirol</strong>er Küche nach, dass sie sehr fetttriefend<br />
wäre. Ist das nun doch nicht der Fall?<br />
Kirchmaier: Jein! Die heutige Küche präsentiert sich<br />
vielfach mehr als fetttriefend, die alte, ursprüngliche<br />
<strong>Tirol</strong>er Küche war das nicht unbedingt. Reichlich Fett<br />
k<strong>am</strong> nur dann zum Einsatz, wenn man die Kalorien,<br />
sprich die Energie benötigte, z. B. im Sommer<br />
auf der Alm. ABER, und das ist der entscheidende<br />
Unterschied: Früher gab es ausschließlich gesunde<br />
Fette. Dies aus einem einfachen Grund: Die intensive<br />
Masthaltung von heute kannte man früher nicht,<br />
genauso wenig wie Kühe, die 10.000 Liter Milch und<br />
mehr produzieren, oder Schweine, die auf Schiffen<br />
gezüchtet, geschlachtet und verarbeitet werden. Man<br />
fütterte die Tiere mit dem, was die Natur hergab und<br />
was bei der Herstellung von z. B. Käse anfiel. Molke<br />
für die Schweine, Gras, selbst angebautes Futter und<br />
frisches Quellwasser. Dazu durften die Tiere viel Zeit<br />
im Freien genießen, sei es auf den Almen oder den<br />
Naturwiesen <strong>am</strong> Hof. Diese Art der Haltung und<br />
Fütterung erlaubte die Produktion von sehr gesunden<br />
Fetten, die mit den heutigen billigen Fetten von<br />
Masttieren aus aller Welt nichts gemeins<strong>am</strong> haben.<br />
D.as heißt, selbst wenn man einmal etwas mehr Fett<br />
verspeiste, so schadete das überhaupt nicht. Zum<br />
einen, weil man sich ausreichend bewegte, und zum<br />
anderen, weil es sich um Fette zur Gesundherhaltung<br />
handelte. Auch wir können heute noch diese gesunden<br />
Fette genießen, z. B. in Form von heimischer<br />
Almbutter, heimischen Almkäsesorten und Fleisch<br />
von Tieren aus extensiv gehaltener Landwirtschaft.<br />
Ein Almschwein z. B. überholt in Sachen Gesundheit<br />
jede Pute aus intensiver Masthaltung. Einziger<br />
Unterschied: Die Pute genießt die bessere Lobby, d.<br />
h. der Mensch von heute denkt, dass Schweinefleisch<br />
automatisch schlecht und Hühnchen und Pute<br />
automatisch gesund wären.<br />
Ist daran die industrielle Massentierhaltung mit ihren<br />
kurzen Mastzeiten schuld?<br />
Kirchmaier: Genau. Wenn eine Kuh jährlich 4000<br />
bis 6000 Liter Milch sezerniert und im besten Fall<br />
auf der Alm grasen darf, dann äußert sich das in einer<br />
Fotos: Tyrolia (2), Ilvy Rodler (1)<br />
112 <strong>Tirol</strong> <strong>am</strong> <strong>Teller</strong> <strong>2016</strong>