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Handwerk<br />
Naturhefe: Ein<br />
Handwerkerwissen<br />
Zur Person<br />
Gotthard Valier st<strong>am</strong>mt aus einer Südtiroler<br />
Bäckerf<strong>am</strong>ilie. Sein Urgroßvater<br />
betrieb eine Bäckerei in der Bozner<br />
Altstadt. Vom Erbe kaufte Gotthards<br />
Großvater um die letzte Jahrhundertwende<br />
eine Bäckerei in Innsbruck, die seither<br />
ebenso als F<strong>am</strong>ilienbetrieb geführt wird.<br />
Gotthard Valier baute sie zur Konditorei<br />
um. Heute unterstützt der pensionierte<br />
Konditor- und Bäckermeister seinen Sohn<br />
im Betrieb.<br />
Die modernen Essensgewohnheiten haben sich in den letzten<br />
50 Jahren drastisch verändert. Experten stehen dieser Entwicklung<br />
skeptisch gegenüber, mahnen beim Konsum industriell hergestellter<br />
Lebensmittel zur Mäßigung und empfehlen hausgemachte Kost. Ein<br />
Lebensmittel, dessen Zubereitung schon mehrere tausend Jahre alt ist,<br />
spielt dabei eine besondere Rolle: das Brot.<br />
U<br />
nser Körper ist von bemerkenswerter<br />
Stabilität. Diese entwickelte sich über<br />
hunderttausend Generationen, und ist<br />
seit jeher von zwei Dingen geprägt: den K<strong>am</strong>pf gegen<br />
Infektionen zu überleben und ausreichend ernährt<br />
zu werden. „Durch diese Erfahrungen ist unser<br />
Körper heute in der Lage, mit relativ wenig sehr<br />
gut zurechtzukommen,“ sagt Alexander Moschen,<br />
Gastroenterologe an der Med-Uni Innsbruck. Nun<br />
habe sich in den letzten zwei bis drei Generationen<br />
unser Lebensstil aber völlig verändert. Den einen<br />
steht Nahrung im Überfluss zur Verfügung, während<br />
andere wiederum mit Unterversorgung kämpfen.<br />
Dabei ist der Körper spars<strong>am</strong> und kann einen Energiespeicher<br />
für Zeiten der Knappheit anlegen – eine<br />
Knappheit, die aber hierzulande nicht kommt. In<br />
diesem Zus<strong>am</strong>menhang sei es für Moschen sinnvoll,<br />
sich mit dem Thema Nahrung und den Lektionen,<br />
die die Menschen im Laufe ihrer Entwicklungsgeschichte<br />
erlernten, bewusst auseinanderzusetzen.<br />
Besonders faszinierend findet er die Entstehungsgeschichte<br />
des Brots. „Wir nehmen heute an, dass<br />
der Weizenanbau in etwa 5000 Jahre alt ist. D<strong>am</strong>als<br />
wurden wohl noch einfache Fladen aus Mehl und<br />
Wasser hergestellt,“ erzählt der Internist. Möglicherweise<br />
vergaß jemand einmal einen Teig: Durch die<br />
Luftkeime fing dieser an zu blubbern, wurde größer.<br />
Und als der Bäcker ihn wiederfand, beschloss er, das<br />
gute Zeug nicht wegzuwerfen, sondern im Ofen<br />
zuzubereiten. Wie groß mag wohl die Überraschung<br />
beim Anblick und Kosten des ersten Brotlaibs<br />
gewesen sein?<br />
Vielfältige Welt der Hefe<br />
Einer, der die Faszination für die Wirkung von Bakterien<br />
auf Nahrungsmittel mit Dr. Moschen teilt, ist<br />
der Innsbrucker Konditor- und Bäckermeister Gotthard<br />
Valier. Sein Spezialgebiet sind süße Hefeteige<br />
für die italienischen Weihnachtsklassiker Panettone<br />
und Pandoro. „Beides reine Naturprodukte,“ erklärt<br />
Valier, der schon immer der italienischen, französischen<br />
und spanischen Essenskultur zugetan war.<br />
Er ist sehr froh über seine vielen Kontakte in diesen<br />
Ländern, denn durch sie durfte er eine Essenskultur<br />
kennenlernen, die er hierzulande vermisst. „Bäckereiprodukte<br />
aus Hefeteig gibt es dort überall, süß und<br />
gesalzen, und sie werden regelrecht zelebriert. Mit<br />
einem Stück Weißbrot, C<strong>am</strong>embert oder Prosciutto,<br />
dazu ein Gläschen Wein, hat man gegessen“,<br />
schwärmt Valier. Ein Panettone wäre mit handelsüblicher<br />
Bierhefe aus dem Päckchen nicht machbar,<br />
diese entwickelt ganz andere Poren als die Naturhefe.<br />
Der Umgang d<strong>am</strong>it ist allerdings eine eigene Wissenschaft,<br />
die der Konditormeister hervorragend<br />
beherrscht. Traditionelles italienisches oder französisches<br />
Brot wird aus einem lang geführten Hefeteig<br />
gebacken, d<strong>am</strong>it sich das Gluten richtig entwickelt<br />
und für die gewünschte Lockerheit sorgt. Dabei wird<br />
dem neuen Teig immer etwas alter Teig hinzugefügt.<br />
Dieser besteht im Prinzip nur aus einem Wasser- und<br />
Mehlgemisch, das zur Fermentation gebracht wird.<br />
Gotthard Valier fügt Apfelsaft hinzu, d<strong>am</strong>it es durch<br />
den Fruchtzucker schneller vergärt. „Mit einem<br />
Mehl wie beim Italiener wären wir glücklich“, soll<br />
Gotthards Vater immer wieder gesagt haben. Dieses<br />
ist klimatisch bedingt besonders reich an Kohlenhydraten,<br />
wovon die Hefe letztendlich profitiert.<br />
Gutes Brot verlangt Geduld<br />
Sobald die Fermentation anfängt, kann diese gelenkt<br />
werden, um den Geschmack zu beeinflussen. Dafür<br />
muss der Teig immer wieder ruhen, dann wieder mit<br />
Fotos: Friedle (1), Fotolia (1)<br />
34 <strong>Tirol</strong> <strong>am</strong> <strong>Teller</strong> <strong>2016</strong>