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ECHO Tirol am Teller 2016

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Buchtipp<br />

besonders gesunden Fettzus<strong>am</strong>mensetzung. Sobald<br />

die Kuh aber dank reichlich Kraftfutter acht-, neun-,<br />

zehntausend Liter und mehr Milch gibt, wendet sich<br />

das Blatt und ein grundsätzlich gesundes Produkt<br />

verkehrt sich ins Gegenteil.<br />

Dann ist die Milch der Turbokuh tatsächlich ungesund?<br />

Kirchmaier: Ja! Und wenn man logisch nachdenkt,<br />

kann das auch nicht anders sein. Wie soll ein Tier,<br />

das unter widrigsten Bedingungen das Dasein fristet<br />

und mit einer – man spricht von „Nutzungsdauer“ –<br />

von rund zwei Jahren abgedankt hat, ein gesundes<br />

Lebensmittel hervorbringen? Die „Geiz-ist-geil“-<br />

Mentalität bringt uns im Gesundheitssektor nur<br />

eines: krank machende Lebensmittel, die aber dem<br />

Lebensmittelcodex entsprechen und d<strong>am</strong>it verkauft<br />

werden dürfen. Wir in <strong>Tirol</strong>, wir verfügen über<br />

einen der kostbarsten Schätze unserer Zeit, nämlich<br />

eine Landwirtschaft, die noch die Produktion von<br />

gesunden Lebensmitteln ermöglicht. Aber wenn wir<br />

im Handel die billige H-Milch der <strong>Tirol</strong>er Frischmilch<br />

vorziehen, nur noch „Länger frisch“ und Co einkaufen<br />

und bei Obst und Gemüse alles makellos sein<br />

muss, dann wird dieser Schatz sehr schnell verloren<br />

gehen. Werfen Sie einen Blick in die Supermärkte<br />

Kroatiens und Co und suchen Sie dort nach regionalen<br />

Lebensmitteln. Das müsste eigentlich für uns<br />

Warnung genug sein.<br />

Welche Rolle spielt Fleisch in der <strong>Tirol</strong>er Küche?<br />

Kirchmaier: Interessanterweise hatten die<br />

Menschen früher in der Zeit zwischen Frühjahr<br />

und Herbst, also in einer Zeit, in der extrem hart<br />

gearbeitet wurde, fast kein Fleisch zur Verfügung.<br />

Zum einen, weil man es nicht konservieren konnte,<br />

und zum anderen, weil selbst Speck ungekühlt in den<br />

warmen Monaten nicht ewig hält. Die Theorie, dass<br />

man Fleisch benötigt, um Kraft zu bekommen, ist<br />

d<strong>am</strong>it widerlegt. Man kann Fleisch durch eine Kombination<br />

von anderen Lebensmitteln vielfach ersetzen.<br />

Genau dieses Wissen nutzten die alten <strong>Tirol</strong>er,<br />

indem sie Getreideprodukte oder Kartoffeln mit<br />

Milch und/oder Ei kombinierten. Kein Wunder, dass<br />

als erste Mahlzeit vor dem morgendlichen Feldgang<br />

vielerorts ein Brei aus Milch und Getreide serviert<br />

wurde. Also das sogenannte Koch oder „Muas“.<br />

Besteht ein Zus<strong>am</strong>menhang zwischen der modernen<br />

Ernährung und Lebensweise und der Zunahme von Nahrungsmittelunverträglichkeiten<br />

bzw. Allergien?<br />

Kirchmaier: Vermutlich ja. Bei Allergien handelt es<br />

sich um ein „überschießendes“ Immunsystem. Wer<br />

sein Immunsystem in der Kindheit ordentlich trainiert,<br />

entwickelt seltener eine Allergie. Wer alles desinfiziert<br />

und sein Kind steril halten möchte, läuft Gefahr,<br />

dass das Kind mit den alltäglichen Allergenen<br />

nicht mehr zurechtkommt und eine Allergie entwickelt.<br />

Den Unverträglichkeiten liegen verschiedene<br />

Ursachen zugrunde. Unverträglichkeiten müssen<br />

nicht immer zu einer medizinischen Intervention<br />

führen. Essen Sie z. B. eine große Portion Bohnensalat<br />

und Sie werden die Unverträglichkeit spüren, aber<br />

nicht die Notwendigkeit sehen, deshalb einen Arzt<br />

aufzusuchen. Viele der Unverträglichkeiten rühren<br />

daher, dass die Leute nicht mehr ordentlich kauen, z.<br />

B. beim Genuss von Smoothies. D<strong>am</strong>it verliert man<br />

eine wichtige Mund-Gehirn-Signalübertragung, die<br />

aber für eine beschwerdefreie Verdauung nötig ist.<br />

Achtzig Prozent des Geschmacks entsteht über den<br />

Geruch. In der Nase sitzen Geruchsrezeptoren, die<br />

über einen Nerv mit dem Gehirn verbunden sind.<br />

Werden diese Epithelien aktiviert, produziert der<br />

Darm Verdauungsenzyme. Kommt kein oder ein zu<br />

geringes Signal, gibt es zu wenig Reaktion im Darm<br />

und d<strong>am</strong>it ein Verdauungsproblem.<br />

Es gibt auch den Megatrend „Superfood“. Ein Marketingbegriff,<br />

der Lebensmittel mit Gesundheitsvorteilen<br />

bezeichnet. Gibt es solche Lebensmittel bei uns?<br />

Kirchmaier: Ja, und zwar direkt vor unserer Haustür,<br />

z. B. unsere Almmilch, Preiselbeeren,<br />

Heidelbeeren und Wildkräuter von den Almen. Bei<br />

Superfood wie Goji, Chia & Co lohnt es sich, etwas<br />

genauer hinzusehen. Vieles von dem, was uns heute<br />

als gut umworbenes Superfood untergejubelt wird,<br />

entpuppt sich bei näherer Betrachtungsweise als<br />

Marketing-Gag. Für das Aufspalten von Chia-S<strong>am</strong>en<br />

fehlen uns zum Beispiel die nötigen Enzyme. Mörsert<br />

man die S<strong>am</strong>en und weicht sie nicht lange genug<br />

ein, so kann es zur Verstopfung kommen. Lässt man<br />

die S<strong>am</strong>en aber länger quellen, so beugen Sie zwar<br />

einer Verstopfung vor, aber die in den S<strong>am</strong>en enthaltenen<br />

Fettsäuren können oxidieren. Also in Summe<br />

eine fragliche Wirkung.<br />

Welcher Trend bereitet Ihnen Sorgen?<br />

Kirchmaier: Der Trend des Selbsttestens von Nahrungsmittelunverträglichkeiten<br />

bei Kindern und die<br />

daraus resultierenden, gut gemeinten, aber falschen<br />

Therapiemaßnahmen. Ein Klassiker: Mein Kind<br />

darf kein Getreide, keine Milch, keine Nüsse, keine<br />

Kartoffeln und – wegen Fructosemalabsorption –<br />

kein Obst essen. Was kann mein Kind noch essen?<br />

<br />

Da wird die Liste des Erlaubten dann recht kurz.<br />

Kirchmaier: Ja, und nicht nur das. Vielfach wird das<br />

Prinzip falsch verstanden. Ein Kind befindet sich im<br />

Wachstum. Es wächst nicht nur in die Länge, auch die<br />

Strukturen im Körper müssen wachsen. Wenn man<br />

seinem Kind die Verdauuung in Gips legt, darf man<br />

sich nicht erwarten, dass das Kind je eine gesunde<br />

Verdauung entwickeln kann. Das ist eine Hypothek<br />

für das ganze Leben.<br />

<br />

Interview: Marian Kröll<br />

Xund und<br />

knackig<br />

Angelika Kirchmaier hat mittlerweile<br />

mehr als ein Dutzend Sach- und<br />

Kochbücher verfasst. Nicht wenige<br />

davon erschienen im Tyrolia-Verlag.<br />

An dieser Stelle seien zwei Neuerscheinungen<br />

besonders hervorgehoben:<br />

Xunde<br />

TIROLER KÜCHE<br />

In diesem stabilen, küchentauglichen<br />

Ringbuch findet sich ein<br />

wahrer Schatz an <strong>Tirol</strong>er Gerichten,<br />

die Angelika Kirchmaier in akribischer<br />

Arbeit ges<strong>am</strong>melt und auf<br />

die Höhe der Zeit gebracht hat. Dass<br />

sich gesunde Ernährung und <strong>Tirol</strong>er<br />

Küche keineswegs ausschließen,<br />

wird spätestens mit diesem Kochbuch<br />

evident.<br />

GARTENFRISCHE<br />

BLITZGERICHTE<br />

Wenn der Garten oder Obst- und<br />

Gemüsekorb überquellen, ist dieses<br />

Buch der richtige Ratgeber. Das<br />

praktische Suchregister ermöglicht<br />

es, in wenigen Sekunden eine Fülle<br />

an Rezepten zu rund 70 heimischen<br />

Obst- und Gemüsesorten zu finden.<br />

<strong>Tirol</strong> <strong>am</strong> <strong>Teller</strong> <strong>2016</strong> 113

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