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Buchtipp<br />
besonders gesunden Fettzus<strong>am</strong>mensetzung. Sobald<br />
die Kuh aber dank reichlich Kraftfutter acht-, neun-,<br />
zehntausend Liter und mehr Milch gibt, wendet sich<br />
das Blatt und ein grundsätzlich gesundes Produkt<br />
verkehrt sich ins Gegenteil.<br />
Dann ist die Milch der Turbokuh tatsächlich ungesund?<br />
Kirchmaier: Ja! Und wenn man logisch nachdenkt,<br />
kann das auch nicht anders sein. Wie soll ein Tier,<br />
das unter widrigsten Bedingungen das Dasein fristet<br />
und mit einer – man spricht von „Nutzungsdauer“ –<br />
von rund zwei Jahren abgedankt hat, ein gesundes<br />
Lebensmittel hervorbringen? Die „Geiz-ist-geil“-<br />
Mentalität bringt uns im Gesundheitssektor nur<br />
eines: krank machende Lebensmittel, die aber dem<br />
Lebensmittelcodex entsprechen und d<strong>am</strong>it verkauft<br />
werden dürfen. Wir in <strong>Tirol</strong>, wir verfügen über<br />
einen der kostbarsten Schätze unserer Zeit, nämlich<br />
eine Landwirtschaft, die noch die Produktion von<br />
gesunden Lebensmitteln ermöglicht. Aber wenn wir<br />
im Handel die billige H-Milch der <strong>Tirol</strong>er Frischmilch<br />
vorziehen, nur noch „Länger frisch“ und Co einkaufen<br />
und bei Obst und Gemüse alles makellos sein<br />
muss, dann wird dieser Schatz sehr schnell verloren<br />
gehen. Werfen Sie einen Blick in die Supermärkte<br />
Kroatiens und Co und suchen Sie dort nach regionalen<br />
Lebensmitteln. Das müsste eigentlich für uns<br />
Warnung genug sein.<br />
Welche Rolle spielt Fleisch in der <strong>Tirol</strong>er Küche?<br />
Kirchmaier: Interessanterweise hatten die<br />
Menschen früher in der Zeit zwischen Frühjahr<br />
und Herbst, also in einer Zeit, in der extrem hart<br />
gearbeitet wurde, fast kein Fleisch zur Verfügung.<br />
Zum einen, weil man es nicht konservieren konnte,<br />
und zum anderen, weil selbst Speck ungekühlt in den<br />
warmen Monaten nicht ewig hält. Die Theorie, dass<br />
man Fleisch benötigt, um Kraft zu bekommen, ist<br />
d<strong>am</strong>it widerlegt. Man kann Fleisch durch eine Kombination<br />
von anderen Lebensmitteln vielfach ersetzen.<br />
Genau dieses Wissen nutzten die alten <strong>Tirol</strong>er,<br />
indem sie Getreideprodukte oder Kartoffeln mit<br />
Milch und/oder Ei kombinierten. Kein Wunder, dass<br />
als erste Mahlzeit vor dem morgendlichen Feldgang<br />
vielerorts ein Brei aus Milch und Getreide serviert<br />
wurde. Also das sogenannte Koch oder „Muas“.<br />
Besteht ein Zus<strong>am</strong>menhang zwischen der modernen<br />
Ernährung und Lebensweise und der Zunahme von Nahrungsmittelunverträglichkeiten<br />
bzw. Allergien?<br />
Kirchmaier: Vermutlich ja. Bei Allergien handelt es<br />
sich um ein „überschießendes“ Immunsystem. Wer<br />
sein Immunsystem in der Kindheit ordentlich trainiert,<br />
entwickelt seltener eine Allergie. Wer alles desinfiziert<br />
und sein Kind steril halten möchte, läuft Gefahr,<br />
dass das Kind mit den alltäglichen Allergenen<br />
nicht mehr zurechtkommt und eine Allergie entwickelt.<br />
Den Unverträglichkeiten liegen verschiedene<br />
Ursachen zugrunde. Unverträglichkeiten müssen<br />
nicht immer zu einer medizinischen Intervention<br />
führen. Essen Sie z. B. eine große Portion Bohnensalat<br />
und Sie werden die Unverträglichkeit spüren, aber<br />
nicht die Notwendigkeit sehen, deshalb einen Arzt<br />
aufzusuchen. Viele der Unverträglichkeiten rühren<br />
daher, dass die Leute nicht mehr ordentlich kauen, z.<br />
B. beim Genuss von Smoothies. D<strong>am</strong>it verliert man<br />
eine wichtige Mund-Gehirn-Signalübertragung, die<br />
aber für eine beschwerdefreie Verdauung nötig ist.<br />
Achtzig Prozent des Geschmacks entsteht über den<br />
Geruch. In der Nase sitzen Geruchsrezeptoren, die<br />
über einen Nerv mit dem Gehirn verbunden sind.<br />
Werden diese Epithelien aktiviert, produziert der<br />
Darm Verdauungsenzyme. Kommt kein oder ein zu<br />
geringes Signal, gibt es zu wenig Reaktion im Darm<br />
und d<strong>am</strong>it ein Verdauungsproblem.<br />
Es gibt auch den Megatrend „Superfood“. Ein Marketingbegriff,<br />
der Lebensmittel mit Gesundheitsvorteilen<br />
bezeichnet. Gibt es solche Lebensmittel bei uns?<br />
Kirchmaier: Ja, und zwar direkt vor unserer Haustür,<br />
z. B. unsere Almmilch, Preiselbeeren,<br />
Heidelbeeren und Wildkräuter von den Almen. Bei<br />
Superfood wie Goji, Chia & Co lohnt es sich, etwas<br />
genauer hinzusehen. Vieles von dem, was uns heute<br />
als gut umworbenes Superfood untergejubelt wird,<br />
entpuppt sich bei näherer Betrachtungsweise als<br />
Marketing-Gag. Für das Aufspalten von Chia-S<strong>am</strong>en<br />
fehlen uns zum Beispiel die nötigen Enzyme. Mörsert<br />
man die S<strong>am</strong>en und weicht sie nicht lange genug<br />
ein, so kann es zur Verstopfung kommen. Lässt man<br />
die S<strong>am</strong>en aber länger quellen, so beugen Sie zwar<br />
einer Verstopfung vor, aber die in den S<strong>am</strong>en enthaltenen<br />
Fettsäuren können oxidieren. Also in Summe<br />
eine fragliche Wirkung.<br />
Welcher Trend bereitet Ihnen Sorgen?<br />
Kirchmaier: Der Trend des Selbsttestens von Nahrungsmittelunverträglichkeiten<br />
bei Kindern und die<br />
daraus resultierenden, gut gemeinten, aber falschen<br />
Therapiemaßnahmen. Ein Klassiker: Mein Kind<br />
darf kein Getreide, keine Milch, keine Nüsse, keine<br />
Kartoffeln und – wegen Fructosemalabsorption –<br />
kein Obst essen. Was kann mein Kind noch essen?<br />
<br />
Da wird die Liste des Erlaubten dann recht kurz.<br />
Kirchmaier: Ja, und nicht nur das. Vielfach wird das<br />
Prinzip falsch verstanden. Ein Kind befindet sich im<br />
Wachstum. Es wächst nicht nur in die Länge, auch die<br />
Strukturen im Körper müssen wachsen. Wenn man<br />
seinem Kind die Verdauuung in Gips legt, darf man<br />
sich nicht erwarten, dass das Kind je eine gesunde<br />
Verdauung entwickeln kann. Das ist eine Hypothek<br />
für das ganze Leben.<br />
<br />
Interview: Marian Kröll<br />
Xund und<br />
knackig<br />
Angelika Kirchmaier hat mittlerweile<br />
mehr als ein Dutzend Sach- und<br />
Kochbücher verfasst. Nicht wenige<br />
davon erschienen im Tyrolia-Verlag.<br />
An dieser Stelle seien zwei Neuerscheinungen<br />
besonders hervorgehoben:<br />
Xunde<br />
TIROLER KÜCHE<br />
In diesem stabilen, küchentauglichen<br />
Ringbuch findet sich ein<br />
wahrer Schatz an <strong>Tirol</strong>er Gerichten,<br />
die Angelika Kirchmaier in akribischer<br />
Arbeit ges<strong>am</strong>melt und auf<br />
die Höhe der Zeit gebracht hat. Dass<br />
sich gesunde Ernährung und <strong>Tirol</strong>er<br />
Küche keineswegs ausschließen,<br />
wird spätestens mit diesem Kochbuch<br />
evident.<br />
GARTENFRISCHE<br />
BLITZGERICHTE<br />
Wenn der Garten oder Obst- und<br />
Gemüsekorb überquellen, ist dieses<br />
Buch der richtige Ratgeber. Das<br />
praktische Suchregister ermöglicht<br />
es, in wenigen Sekunden eine Fülle<br />
an Rezepten zu rund 70 heimischen<br />
Obst- und Gemüsesorten zu finden.<br />
<strong>Tirol</strong> <strong>am</strong> <strong>Teller</strong> <strong>2016</strong> 113