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Die Säugetiere des Fürstentums Liechtenstein (Mammalia)

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Auerochse (Ur) (Bos primigenius)<br />

Ordnung: Paarhufer (Artiodactyla)<br />

Familie: Hornträger (Bovidae)<br />

Merkmale<br />

Der Auerochse ist eine ausgestorbene Art der Wildrinder.<br />

Sein Aussehen lässt sich anhand von Höhlenmalereien (z.B.<br />

Höhle von Lascaux, Frankreich), Beschreibungen und Abbildungen<br />

sowie Knochenfunden rekonstruieren. Mit einer<br />

Kopfrumpflänge von über drei Metern, einer Schulterhöhe<br />

von 1.75 bis 1.88 m bei den Bullen und einem Gewicht bis zu<br />

einer Tonne war der Ur bis zur letzten Eiszeit eines der<br />

mächtigsten Landtiere Europas, vergleichbar mit dem<br />

Wisent. <strong>Die</strong> Hörner wurden bis zu 80 cm lang und waren in<br />

typischer Weise nach vorn geschwungen. <strong>Die</strong> Weibchen<br />

waren um einen Viertel kleiner. <strong>Die</strong> Fellfarbe war schwarzbraun.<br />

Nach der Eiszeit nahm der Auerochse in seiner Grösse<br />

deutlich ab.<br />

Biologie<br />

Der Ur lebte in kleinen Herden unter Führung eines älteren<br />

Weibchens, während die Bullen jeweils ihr eigenes Terri to -<br />

rium besetzten und dieses gegen andere Bullen verteidigten.<br />

Es sind drei Unterarten bekann: der europäische,<br />

indische und afrikanische Auerochse. <strong>Die</strong> modernen europäischen<br />

Hausrinder sind keine direkten Nachkommen <strong>des</strong><br />

europäischen Auerochsen. Der Ort ihrer Domestizierung<br />

wird im Nahen Osten bzw. Indien vermutet.<br />

Verbreitung<br />

Der Ur war einmal vom Pazifik über Asien und Europa verbreitet,<br />

ausserdem besiedelte er auch die Gebiete zwischen<br />

nördlicher Tundra und Nordafrika. Sein erstmaliges Auftreten<br />

in Mitteleuropa wird vor etwa 250’000 Jahren angenommen.<br />

Der Ur starb wohl im Mittelmeerraum und in<br />

Asien bereits um die Zeitenwende aus, während er in Mitteleuropa<br />

sehr viel länger beheimatet war.<br />

Der Ur wurde vielfach am Bodenseeufer in der Stein- und<br />

Bronzezeit festgestellt. Man kann sich den Ur gut in den<br />

ehemaligen Rheinauen <strong>des</strong> Alpenrheintales vorstellen. Er ist<br />

denn auch in den Knochenresten <strong>des</strong> prähistorischen Sied -<br />

lungsplatzes auf dem Eschner Lutzengüetle in <strong>Liechtenstein</strong><br />

in der Michelsberger- und Horgener Zeit vertreten (HART -<br />

MANN-FRICK 1959). Es sind dies Zeiträume um 3’000 bis 2000<br />

v.Chr. Zur gleichen Datierung gehört ein Knochenfund im<br />

Eschner Riet (BECK 1957). Auch auf der befestigten Höhen -<br />

sied lung auf dem nahen Borscht (Schellenberg) findet<br />

HARTMANN-FRICK (1965) Knochen <strong>des</strong> Ur, hier auch noch in der<br />

frühen Bronzezeit (ab 1800 v.Chr.) und sehr deutlich als<br />

häufigste Wildart in der Eisenzeit (ab 800 v.Chr.). 1974<br />

wurde in Goldach (St.Gallen) ein gut erhaltenes Skelett eines<br />

Auerochsen gefunden, <strong>des</strong>sen Alter auf 12’000 Jahre geschätzt<br />

wird. Es liegt in den Sammlungen <strong>des</strong> Naturmuseums<br />

St. Gallen.<br />

In der Schweiz soll es um das Jahr 1000 noch so viele Urrinder<br />

gegeben haben, dass es in der Wildpretliste der<br />

Benedictiones ad mensas <strong>des</strong> St.Galler Mönches Ekkehard IV<br />

(ca. 980-1060) zusammen mit Wildpferd und Wisent Aufnah -<br />

me fand. In Mitteleuropa ist der Ur durch die fortschrei -<br />

tende Landwirtschaft und die wirkungsvolleren Waffen um<br />

1400 verdrängt worden, überlebte zunächst aber in Polen,<br />

Litauen und Ostpreussen, wo er für die Jagd <strong>des</strong> Adels<br />

gehegt worden war. Der letzte bayerische Auerochse soll um<br />

1470 im Neuburger Wald geschossen worden sein<br />

(www.waldwildnis.de/cd/archiv/scherzinger2/index.htm).<br />

Gegen Ende <strong>des</strong> 16. Jahrhunderts wurden die allerletzten<br />

Exemplare im Wald von Jaktorow, 55 Kilometer südwestlich<br />

von Warschau unter den Schutz <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong>herren gestellt.<br />

Danach zählte man 1564 acht alte und drei junge Stiere<br />

sowie 22 Kühe und fünf Kälber. 1599 gab es noch 24 Exemplare,<br />

1602 noch vier, 1620 war noch eine Kuh übrig, die 1627<br />

starb. Im polnischen Jaktorow steht hierfür ein Denkmal.<br />

Lebensraum<br />

Der Ur lebte als tagaktives Tier in offenen Wäldern und ernährte<br />

sich von Gräsern, Laub und Eicheln.<br />

Gefährdung und Schutzmassnahmen<br />

Mit der Ausrottung <strong>des</strong> Ur im Jahre 1627 ist diese Tierart unwiederbringlich<br />

verloren.<br />

In den 1920-er Jahren versuchten die Zoodirektoren Heinz<br />

und Lutz Heck in Hellabrunn-München und in Berlin durch<br />

Rückzuchten ein ähnliches Tier wieder zu erhalten. Sie<br />

kreuzten hierfür spanische und französische Kampfrinder,<br />

das Schottische Hochlandrind und das Ungarische Steppenrind.<br />

Wohl etwas kleiner als der ursprüngliche Ur leben nun<br />

verschiedenenorts physiognomisch ähnliche «Heckrinder».<br />

Mario F. Broggi<br />

Abb. 215 <strong>Die</strong> Heckrinder ähneln äusserlich am ehesten<br />

dem ausgestorbenen Auerochsen. (Foto: Franz Beer)

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