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6 d’Isarwinkler

URSPRÜNGLICH, FRECH, ORIGINELL UND BODENSTÄNDIG Geschichten, Porträts und Interviews von der Jachenau bis Dietramszell – von Bad Heilbrunn bis Reichersbeuern

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WIAS FRÜHER WAR<br />

Omas große Hände<br />

„Fleiß und Arbeit war ihr Leben,<br />

möge Gott im Jenseits ihr den Lohn<br />

für ihre Mühe geben“ – so stand’s<br />

geschrieben auf dem Sterbezettel<br />

meiner Oma. Das ist schon über 20<br />

Jahre her, aber ich kann mich noch<br />

gut daran erinnern, dass ich mich<br />

damals darüber geärgert habe. Ein<br />

Fazit ihrer 83 Jahre hier auf Erden,<br />

das mich nicht zufriedenstellen<br />

konnte. Ich hätte das Resümee ihres<br />

Lebens ganz anders formuliert. Sie<br />

war eine unheimlich liebe, fürsorgliche<br />

und sehr lustige Oma. Je mehr<br />

Geschichten ich jedoch seitdem<br />

über sie erfahren durfte, desto erschreckender<br />

wurde mir klar, dass<br />

diese Zeilen mehr der Wahrheit<br />

entsprechen, als ich das befürchtet<br />

hatte. Meine Oma hatte vor unserer<br />

gemeinsamen Zeit, die nur einen<br />

Bruchteil ihres Lebens ausmachte,<br />

überwiegend mit Arbeit zu tun. Sie<br />

war die Jüngste von zehn Geschwistern<br />

und wurde schon bald aus<br />

Platzmangel zu einem Onkel umgesiedelt.<br />

Mit zwölf Jahren verließ sie<br />

dann auch ihre Ersatzheimat, um<br />

als Magd auf einem fremden Hof zu<br />

arbeiten.<br />

„Zieh dich warm an!“<br />

... ermahnte sie mich immer wieder<br />

und erzählte mir, wie kalt es in der<br />

Kammer gewesen war, als sie damals<br />

in einem fremden Haus wohnen<br />

musste und welche körperlichen<br />

Folgen dies für sie schon in jungen<br />

Jahren hatte. Als sie irgendwann<br />

meinen Opa kennenlernte, wurde<br />

es nicht besser. Er arbeitete als<br />

Knecht, weil auch er eines von zehn<br />

Kindern war und für sich selbst sorgen<br />

musste. Mein Opa war ein sehr<br />

stolzer Mann mit einem ziemlichen<br />

Dickschädel und wenn er sich etwas<br />

vornahm, musste das zu schaffen<br />

sein. Er wollte sein eigener Chef sein<br />

und Bauer werden. So pachteten die<br />

beiden einen Hof, zusammen mit<br />

viel Arbeit. Als der Opa in den Krieg<br />

ziehen musste und zudem noch ein<br />

paar Jahre in Gefangenschaft war,<br />

brach für meine Oma eine noch härtere<br />

Zeit an. Sie musste nicht nur für<br />

ihre zwei kleinen Söhne sorgen, sondern<br />

auch alle Arbeit auf dem Hof<br />

allein verrichten, um für die Pacht<br />

aufzukommen und für das Überleben<br />

ihrer Familie zu sorgen. Wobei<br />

sie sich um selbiges oft nicht sicher<br />

sein konnte. Weil sie beide Kinder<br />

tagsüber allein lassen musste, um<br />

auf dem Feld und im Stall zu arbeiten,<br />

wusste sie nie, ob sie zu Hause<br />

unversehrte Kinder antreffen würde.<br />

Auch die Rückkehr ihres Mannes<br />

stand zu jeder Zeit infrage. Unglaublich,<br />

zu was diese kleine Person<br />

imstande war.<br />

„Viele Hände machen der<br />

Arbeit schnell ein Ende!“<br />

... sagt ein Sprichwort. Omas Tagwerk<br />

erledigten meist nur ihre beiden<br />

Hände. Heute weiß ich, warum<br />

Oma so kräftige und große Hände<br />

hatte, die eigentlich gar nicht zum<br />

Rest der Oma passten. Ihre gebückte<br />

Haltung erklärte sich allerdings nur<br />

zu gut. Ich hätte es ihr von Herzen<br />

gegönnt heutzutage Mama zu sein.<br />

Sich nicht alle Tage ums Überleben<br />

ihrer Kinder zu sorgen, sich über<br />

volle Teller zu freuen und über gemeinsame<br />

glückliche Zeit mit der<br />

Familie. Und wenn ich heute höre:<br />

„Der oder die ist eine ganz eine<br />

Fleißige!“ denk ich oft an meine<br />

Oma und frag mich, was der oder<br />

die wohl für ein Leben führt. Nur<br />

gut, dass wir heute unser Leben viel<br />

mehr bestimmen dürfen: Welche<br />

Schule wir besuchen, welchen Beruf<br />

wir erlernen, was, für wen und<br />

manchmal sogar wie viel wir arbeiten<br />

wollen. Ein echter Luxus, über<br />

den wir uns viel öfter freuen sollten.<br />

Text & Bild: Michaela Probst<br />

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