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Mehrdimensionale Diskriminierung – Begriffe, Theorien und ...

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homogenen Vorstellung von „Minderheiten“ operierte. Entscheidend ist für beide Seiten,<br />

die Vorstellungen zu verändern, die die juristische Wahrnehmung von <strong>Diskriminierung</strong><br />

ebenso problematisch prägen können wie Politiken.<br />

Ähnliche Kritiken wie in den USA wurden auch in Deutschland formuliert. 20 So reichen die<br />

Forderungen nach wirksamem rechtlichen Schutz gegen unterschiedliche <strong>Diskriminierung</strong>en<br />

weit zurück, entwickelten sich allerdings auch sehr unterschiedlich. Politisch stand<br />

die Gleichberechtigung hinsichtlich des Geschlechts lange nur für Frauen <strong>–</strong> <strong>und</strong> nicht wie<br />

heute zunehmend mit Blick auf Geschlechterstereotype <strong>–</strong> auf der Agenda. Anerkannt<br />

waren auch Forderungen nach Fürsorge für Menschen mit Behinderung, nicht aber, wie<br />

heute deutlicher, nach Enthinderung. Konsens bestand in der Ablehnung von Antisemitismus,<br />

aber Recht gegen „Rassismus“ zu fordern, wird bis heute oft als ungerechtfertigte Provokation<br />

empf<strong>und</strong>en. Auch Rechte gegen Nachteile wegen der sexuellen Identität werden<br />

weiterhin nicht mehrheitlich anerkannt. Deutlich wird hier zunächst, dass <strong>Diskriminierung</strong><br />

nicht je dasselbe oder analog zu betrachten ist. Nicht nur wissen wir unterschiedlich<br />

viel über die jeweiligen <strong>Diskriminierung</strong>en; wir nehmen sie auch unterschiedlich ernst<br />

<strong>und</strong> wahr.<br />

Die Ungleichzeitigkeiten <strong>und</strong> Ungereimtheiten einer Auseinandersetzung mit mehrdimensionaler<br />

<strong>Diskriminierung</strong> zeigen sich auch in der Geschichte feministischer Debatten in<br />

Deutschland. Die Erziehungswissenschaftlerin Walgenbach zeigt in einer historisierenden<br />

Analyse unterschiedliche Positionen innerhalb der westdeutschen Frauenbewegungen auf.<br />

Sie stellt diese nicht als eine Bewegung vor, sondern nennt diverse Akteurinnen <strong>und</strong> Kritikpunkte,<br />

Forderungen <strong>und</strong> Erfolge von Frauen mit Behinderung, Migrantinnen, jüdischen<br />

Frauen <strong>und</strong> Schwarzen Frauen. Diese sahen sich, so Walgenbach, im feministischen „Mainstream“<br />

mit ihren Erfahrungen nicht repräsentiert, sondern durch Prozesse des „othering“<br />

zu „den Anderen“ gemacht, also marginalisiert oder vereinnahmt. Daraus folgt nun allerdings<br />

nicht, „die“ Frauenbewegung in viele Unterbewegungen aufzuteilen, denn dies wäre<br />

eine unzulässige Homogenisierung marginalisierter Frauen. Vielmehr wird hier deutlich,<br />

dass Ungleichheiten nicht entlang einer Differenz verlaufen. Frauen sind mehrdimensional<br />

von <strong>Diskriminierung</strong> betroffen. Daher zielte die Kritik nicht auf binäre Gegenüberstellungen<br />

von Diskriminierten oder Marginalisierten <strong>und</strong> Privilegierten oder „Etablierten“,<br />

sondern auf die Anerkennung je spezifischer Erfahrungen <strong>und</strong> eben mehrdimensionaler<br />

Verhältnisse. <strong>Diskriminierung</strong> findet auch unter Marginalisierten statt, in je bestimmten<br />

Kontexten, die wiederum hinsichtlich einer (oder auch mehrerer) Kategorisierung(-en)<br />

nicht immer <strong>und</strong> überall <strong>und</strong> in jeglicher Hinsicht, aber irgendwo privilegiert sind. Es gibt,<br />

so Walgenbach, also keinen „genuinen Kern“ von Kategorien:<br />

„Der Überblick über die politischen Interventionen […] zeigte deutlich, dass ein solch ‚genuiner<br />

Kern‘ nur zu deklarieren wäre, wenn man spezifische Lebensformen, Subjektpositionen<br />

oder Diskurse privilegiert <strong>und</strong> zum theoretischen Zentrum erklärt (wie z. B. die mehrheitsdeutsche<br />

Mittelschichtsfrau). […] Nimmt man […] sämtliche angeführten Dominanzverhältnisse<br />

zusammen (Befähigung/Behinderung, Alter, Sexualität, Lokalität, Nation, Klasse/<br />

Schicht, Ethnizität, ‚Rasse‘) so stellt sich die Frage, ob die Figur der ‚marginalisierten Frau‘<br />

wirklich auf einen ‚Sonderfall‘ oder ‚Spezialinteressen‘ reduziert werden kann.“ 21<br />

20 Ausführlich dazu Walgenbach (2007), weiter Hornscheidt (2007), 84: Einen genuinen Kern von Kategorien<br />

abzulehnen heißt, dass „so auch implizite Normalvorstellungen von Identitätskategorisierungen analysier-<br />

<strong>und</strong> explizierbar“ werden.<br />

21 Walgenbach (2007), 39.<br />

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