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Mehrdimensionale Diskriminierung – Begriffe, Theorien und ...

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sehen sei. Der Verband habe also bereits bei Einstellung wissen müssen, dass die Arbeitneh-<br />

merin muslimischen Glaubens sei. Er habe sie damals eingestellt <strong>und</strong> könne sie nun nicht<br />

kündigen. Das greift das Gericht auf: „Die Klägerin ist erkennbar türkischer Abstammung.<br />

Es liegt nahe, dass sie muslimischen Glaubens ist.“ 250 Der Begriff des AGG („ethnische Herkunft“)<br />

wird allerdings nicht benutzt. Diese Argumentation ist im Ergebnis vorteilhaft für<br />

die Klägerin. Sie arbeitet jedoch mit einer diskriminierenden Stereotypbildung: Nicht alle<br />

Menschen türkischer Abstammung sind muslimischen Glaubens, <strong>und</strong> das AGG wendet sich<br />

gerade dagegen, vom äußeren Erscheinungsbild auf Religion oder ethnische Herkunft zu<br />

schließen. Im Kern ging es in diesem Fall um ein widersprüchliches Verhalten des Arbeitgebers,<br />

das Frauen einer bestimmten Religion benachteiligt.<br />

In einem anderen Fall ging es um die Klage einer Lehramtsbewerberin, die wegen ihres<br />

Kopftuchs nicht in das Beamtenverhältnis eingestellt wurde. Im Tatbestand beschreibt das<br />

VG Düsseldorf251 die Klägerin als „Kind türkischer Eltern [...] muslimischen Glaubens“. Wiederum<br />

werden zwei Kategorisierungen <strong>–</strong> ethnische Herkunft <strong>und</strong> Religion <strong>–</strong> thematisiert,<br />

allerdings nicht ausdrücklich. Auch hier nutzt das Gericht also das AGG nicht umfassend,<br />

denn die Ethnisierung spielt in der Entscheidung für das Gericht keine Rolle mehr. Es geht<br />

allein um die Benachteiligung wegen der Religion, die mit dem Bek<strong>und</strong>ungsverbot des<br />

Schulgesetzes Nordrhein-Westfalens als Ausdruck des staatlichen Neutralitätsgebots nach<br />

§ 8 I AGG gerechtfertigt sei.<br />

In anderen Entscheidungen spielt Ethnisierung keine Rolle, aber das Geschlecht. Das LAG<br />

Düsseldorf252 hatte ebenfalls über die schulgesetzliche Regelung zu Kleidung zu entscheiden.<br />

Eine Lehrerin trug statt des Kopftuchs eine Baskenmütze <strong>und</strong> wurde abgemahnt, dies<br />

zu unterlassen. Das Gericht thematisiert eine mögliche <strong>Diskriminierung</strong> wegen der Religion<br />

<strong>und</strong> des Geschlechts, sieht aber beide nach § 8 I AGG als gerechtfertigt an. Ausdrücklich<br />

befasst sich das Gericht dann aber nur noch mit der Religion. Die das Urteil bestätigende<br />

Entscheidung des B<strong>und</strong>esarbeitsgerichts (BAG) 253 greift die geschlechtsspezifische Benachteiligung<br />

immerhin kurz, wenn auch mit problematischen Argumenten auf: Da die Regelung<br />

des Schulgesetzes religiöse Bek<strong>und</strong>ungen unabhängig vom Geschlecht verbiete <strong>und</strong><br />

nicht etwa speziell das von Frauen getragene islamische Kopftuch, liege keine Ungleichbehandlung<br />

wegen des Geschlechts vor. 254 Hier wird verkannt, dass Benachteiligung nach<br />

dem AGG unabhängig von speziellen Regelungsintentionen gerade auch dann als mittelbare<br />

<strong>Diskriminierung</strong> vorliegt, wenn von einer geschlechtsneutralen Regelung ganz überwiegend<br />

Frauen betroffen sind. 255<br />

Umgekehrt wird die Frage geschlechtsbezogener <strong>Diskriminierung</strong> dann auch benutzt, um<br />

das Kopftuch zu verbieten. Es sei, so einst das BVerfG, ein Symbol, „das die Abgrenzung zu<br />

Werten der westlichen Gesellschaft, wie individuelle Selbstbestimmung <strong>und</strong> insbesondere<br />

Emanzipation der Frau, ausdrückt“. 256 Das zeigt sich in einer Entscheidung des ArbG<br />

250 ArbG Köln 19 Ca 7222/07, Rn. 6.<br />

251 VG Düsseldorf 2 K 6225/06, Urteil v. 05.06.2007.<br />

252 LAG Düsseldorf 5 Sa 1836/07, Urteil v. 10.04.2008.<br />

253 BAG 2 AZR 499/08, Urteil v. 20.08.2009.<br />

254 Ebenso in der wenig älteren Entscheidung BAG 2 AZR 55/09, Urteil v. 10.12. 2009, in dem es um Abmahnung<br />

<strong>und</strong> Kündigung einer Lehrerin geht. Mit gleicher Argumentation <strong>und</strong> gleichem Ergebnis bezüglich einer<br />

dienstlichen Weisung <strong>und</strong> betreffend Schulgesetz Baden-Württemberg: VGH Baden-Württemberg<br />

4 S 516/07, Urteil v. 14.03.2008, bestätigt von BVerwG 2 B 46/08, Beschluss v. 16.12.2008.<br />

255 Ausführlich Baer/Wiese (2008).<br />

256 So BVerfG 2 BvR 1436/02, Urteil v. 24.09.2003, Rn. 50.<br />

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