Mehrdimensionale Diskriminierung – Begriffe, Theorien und ...
Mehrdimensionale Diskriminierung – Begriffe, Theorien und ...
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Um das Perpetuum mobile zu durchbrechen, dass fehlende Klagen zu fehlender Rechtspre-<br />
chung zu fehlender Thematisierung in der Prozessstrategie führen, bedarf es auch der<br />
Förderung von Einrichtungen, die sich mit Rechtsdurchsetzung <strong>–</strong> auch mit strategischer<br />
Rechtsdurchsetzung <strong>–</strong> befassen. Da die Erfahrung der Beratungseinrichtungen zeigt, dass<br />
das Anliegen von Betroffenen oft eher psychosoziale Beratung <strong>und</strong> Information über die<br />
Rechtslage ist, aber selten den Gang vor Gericht zur Folge hat, sollte es die Beförderung<br />
strategischer Prozessführung geben. Allerdings muss berücksichtigt werden, dass es die<br />
Gefahr der strategischen Prozessführung gibt, nur potenziell „erfolgreiche“ Klagen von<br />
Verbänden unterstützt zu sehen288 , <strong>und</strong> dann die Menschen mit „weniger spektakulären“<br />
Erfahrungen keine Unterstützung erfahren. So bliebe mehrdimensionale <strong>Diskriminierung</strong><br />
weiterhin vor Gericht unsichtbar.<br />
Weitere Schwierigkeiten ergeben sich in der Praxis im Umgang mit der Beweisführung bei<br />
mittelbarer <strong>Diskriminierung</strong> <strong>und</strong> auch mit der Beweiserleichterung nach § 22 AGG. Gerade<br />
bei mehrdimensionaler <strong>Diskriminierung</strong> wird derzeit in der Praxis erwartet, einen<br />
Anfangsverdacht für mehrere <strong>Diskriminierung</strong>en zu erbringen, was abschreckend wirkt<br />
<strong>und</strong> auch eingedenk des § 4 AGG unangebracht ist. Zudem ist bislang unklar, welche statistischen<br />
Daten zeigen können, dass mehrdimensionale <strong>Diskriminierung</strong> vorliegt, weil<br />
eventuell diskriminierende Folgen nur für eine sehr kleine Gruppe Mehrfachzugehöriger<br />
belegt werden können, quantitative Daten aber auch nur ein mögliches Beweismittel sind.<br />
Hier bedarf es insgesamt der Klarstellung. Wieder sind aufklärende Öffentlichkeitsarbeit<br />
<strong>und</strong> die Kompetenzerweiterung bei Gerichten <strong>und</strong> der Anwaltschaft sowie bei Beratenden<br />
wichtig. Alltagsnahe Vorverständnisse, die Gruppen homogenisieren, müssen abgebaut<br />
werden, damit nicht jeweils die meist privilegierten zur Norm gemacht werden. Dies betrifft<br />
allerdings generell <strong>Diskriminierung</strong> <strong>und</strong> so auch mehrdimensionale <strong>Diskriminierung</strong>.<br />
Gerichte können nur so auch selbst die relevanten Dimensionen vollständig erfassen. 289<br />
Neben der Durchsetzung des individuellen <strong>Diskriminierung</strong>sverbots des AGG stehen<br />
schließlich die Konzeption <strong>und</strong> Implementation struktureller Maßnahmen. Intersektionalität<br />
ist ein Konzept, das gerade auf institutionelle <strong>und</strong> strukturelle <strong>Diskriminierung</strong> zielt.<br />
Das AGG bietet mit den positiven Maßnahmen hier ein Instrument an. Bei der Ausgestaltung<br />
müsste die Existenz der mehrdimensionalen <strong>Diskriminierung</strong> berücksichtigt werden290<br />
. Dazu wäre bei bereits vorhandenen Maßnahmen zu prüfen, wer genau von der<br />
Maßnahme profitiert <strong>und</strong> welche impliziten Normen <strong>und</strong> Privilegien damit reproduziert<br />
werden291 . Auch sind hier Missverständnisse <strong>und</strong> problematische Funktionalisierungen zu<br />
vermeiden. Arbeitgeber_innen, die eine Stelle mit einer mehrfach marginalisierten Person<br />
besetzen, erfüllen nicht etwa mit einem Schlag ein „Soll“, sondern müssen die Bekämpfung<br />
jedweder <strong>Diskriminierung</strong> weiter verfolgen. Hier zeigt sich auch wieder die Bedeutung der<br />
Öffentlichkeitsarbeit, die sich an Akteure in Entscheidungspositionen richtet.<br />
288 Dern (2008), 221 f.<br />
289 Dazu VG Frankfurt 9 L 3454/09.F, Beschluss v. 09.12.2009, <strong>und</strong> 4.4.5.<br />
290 Fredman (2005), 19.<br />
291 So könnte eine Studie erfragen, welche Frauen exakt von Maßnahmen der Frauenförderung profitiert<br />
haben, da hier in Deutschland im öffentlichen Dienst <strong>und</strong> in einigen Gemeinwohleinrichtungen die meisten<br />
Erfahrungen vorliegen.<br />
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